12.03.2003

Bruno Widmer begründet seinen Rückzug bei AY&R

Anfang Februar erneuerte Advico Young & Rubicam fast seinen ganzen Verwaltungsrat, ohne die Veränderung zu kommunizieren ("persoenlich.com" berichtete am Montag exklusiv). Unter den Abgängern war auch VR-Präsident Bruno Widmer (Bild). "persoenlich.com" hat ihn zu Hintergründen, Motiven und Plänen befragt. Das Interview:
Bruno Widmer begründet seinen Rückzug bei AY&R

Advico betreut zahlreiche Budgets nicht mehr: Alpenarena, Kuoni (inkl. Helvetic Tours), Migros (Dachkampagne), Sinalco, Sonntagszeitung, Swiss(air), Swisscom Fixnet, Winterthur, Wincare, Woz und TamTam – die Agentur ist also kaum über den Berg. Wie können Sie es mit Ihrer Loyalität vereinbaren, jetzt von Bord zu gehen?

Ich gehe nicht von Bord. Ich bin vom Amt des VR-Präsidenten zurückgetreten, was ich bereits vor einem Jahr vorhatte, dann aber wegen des Abgangs der Geschäftsleitung nicht tun konnte. Dass die Konsolidierung der Agentur noch nicht abgeschlossen ist, ist klar. Das wird jetzt die Aufgabe der neuen Mannschaft sein. Weil der Verwaltungsrat in einem internationalen Konzern nicht die gleiche Rolle spielt, wie in einer Schweizer Gesellschaft, ist mein Abgang nur konsequent. Denn ich bin in meinem Geist ein Unternehmer. Ich distanziere mich aber in keiner Weise von der Agentur. Beispielsweise sprechen wir gegenwärtig über einen Beirat, in dem ich ganz sicher dabei wäre und eventuell sogar den Vorsitz übernehmen würde. Und noch ein Wort zu den Budgetabgängen: Nicht immer stehen hinter grossen Namen auch grosse Budgets. AY&R verfügt noch immer über eine erstklassige Kundenliste und hat unter anderem mit GE Capital oder Sunrise auch schönes Neugeschäft gewonnen -- in der heutigen Zeit keine Selbstverständlichkeit.

Mit Ihnen ging der gesamte alte Verwaltungsrat, bekannt gemacht wurde indes nichts -- der ideale Boden für Negativgerüchte. Wie konnte ein derartiger Lapsus passieren, noch dazu bei einer Kommunikationsagentur?

Einerseits hat der Verwaltungsrat -- wie gesagt -- nicht so eine grosse Bedeutung: Rechtlich trägt er zwar die Verantwortung, die operativen Entscheide fallen aber in der Konzernzentrale in London. Andererseits hat AY&R-CEO Edgar C. Britschgi beschlossen, den neuen VR gleichzeitig mit den geplanten personellen Veränderungen in der Geschäftsleitung vorstellen. Wenn Sie das für einen Lapsus halten, müssen Sie ihn mit Herrn Britschgi besprechen. Mein Vorschlag war, die Umstellung des VR gleichzeitig mit dem Einstieg bei Guye Benker zu kommunizieren. Man befürchtete aber, die beiden Meldungen könnten sich konkurrenzieren. Das ist für mich nachvollziehbar. Im Übrigen sind die Abgänge im Verwaltungsrat weitgehend Koinzidenz, nur Urs Beer ist in einer ähnlichen Lage wie ich. Tis Prager ist mein Anwalt, das erklärt seinen Austritt. Alain Rousset hat Y&R verlassen, und Michael J. Dolan konnte als Chairman und CEO von Y&R sowieso kaum an VR-Sitzungen teilnehmen. Er war im Schweizer VR, weil wir eine freundschaftliche Beziehung zueinander haben.

Was wird in der für April angekündigten neuen Geschäftsleitung anders sein?

Dazu kann ich nichts sagen. Es handelt sich um Entscheide, die ohne mein Zutun gefällt wurden, die ich aber gut finde.

Die Neubestellung der Geschäftsleitung war Ihre Aufgabe. Weshalb dauerte das über ein Jahr?

Es hat überhaupt nicht lange gedauert, die meisten Positionen waren rasch besetzt. Nur im kreativen Teil konnten wir uns etwas Zeit lassen, weil der Druck dank Hansjürg Zürchers spontanem Einspringen als Creative Coach glücklicherweise nicht so gross war. Meine Grundhaltung war, dass nur ein absoluter Spitzenmann nach Gockhausen kommen kann. André Benker war unser Wunschkandidat, die Situation aber etwas kompliziert.

Ist die Beteiligung an Guye Benker wirklich die beste Lösung? Wurde nicht viel mehr André Benker herausgekauft?

Nein! Doch dazu müsste sich Edgar C. Britschgi äussern. Aus meiner Sicht war es ein strategisch guter Entscheid, diese reputierte Agentur an Bord zu holen. Sie verbreitert unser Angebot am Markt. Von einem Zwang zum Kauf kann nicht die Rede sein.

Dass ein CD für zwei Agenturen arbeiten muss, ist aber doch eher suboptimal. Wie sieht die längerfristige Lösung aus?

Was ist heute längerfristig? Heute verändern sich Gegebenheiten so rasch, dass man jede Lösung wieder überdenken muss. Ich sehe keinen Grund, warum das nicht funktionieren sollte, André Benker hat ein grosses Potential. Als CD muss er die entscheidenden Impulse geben, das kann er auch an zwei Fronten.

Wie lange kann es sich Advico leisten, zwei verschiedene Agenturen zu führen?

Christoph Guye hat bewiesen, dass er eine Agentur führen kann. Und er kennt die Philosophie und Instrumente von AY&R von seiner früheren Tätigkeit bei uns.

Die Liegenschaft in Gockhausen gehört Ihnen und Ruedi Külling. Verkaufen Sie sie jetzt, wo Sie sich ganz von der Werbung lösen wollen?

Ich habe mich bereits aus der Werbung gelöst, denn ich habe nicht gerne Situationen, in denen man überall ein bisschen drin ist. Ich habe heute andere Interessen, mein Leben hat noch andere Dimensionen. Die Liegenschaft hat damit aber nichts zu tun, das ist ein anderes Geschäftsfeld. Schön, dass wir in Gockhausen einen guten Mieter haben.

Warum interessiert Sie die Werbung nicht mehr?

Das ist völlig falsch. Werbung interessiert mich nach wie vor, sie infiziert einen, das kann man nicht einfach ablegen. Ich war gegen vierzig Jahre in der Werbung und hatte viel Erfolg. Ich habe meinen Entscheid, in die Werbung zu gehen, nie nur einen Moment bereut. Ich bin vielen tollen Leuten auf Agentur- und Kundenseite begegnet. Daraus sind freundschaftliche Beziehungen entstanden, die wohl für den Rest meines Lebens halten. Aber ich will heute einen klaren Strich zeihen. Wenn allerdings irgendein Werber -- nicht nur aus Gockhausen -- ein Problem hat, das er mit mir besprechen möchte, dann ist meine Tür offen. Das war schon immer so.

Vor rund einem Jahr wurden Sie Chairman der Panoramic, die inzwischen teilweise an WPP verkauft ist. Haben Sie auf internationaler Ebene noch andere Eisen im Feuer?

Nicht im Kommunikationsbereich.

Was werden Sie jetzt machen: Sich Ihrem VR-Mandat bei der Unaxis stärker widmen? Mehr Weine anbauen?

Es reizt mich vieles, und ich werde immer wieder Neues anreissen. Ausserdem besitze ich verschiedenste Beteiligungen im In- und Ausland, bei denen ich eine aktivere Rolle spielen will. Neben meinen eigenen Wein-Aktivitäten bin ich auch an einem grossen italienischen Wein-Unternehmen, der Castello di Broglio/Barone Ricasole, massgeblich beteiligt. Und schliesslich will ich auch endlich mehr Zeit für mich selber haben. Es wird mir also kein Tag langweilig werden.


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