09.02.2025

Nie-allein-Kampagne

«Diese Energie war ansteckend»

Gemeinsam stärker: Die neue Kampagne der Schweizer Paraplegiker-Stiftung (SPS) bricht mit alten Sehgewohnheiten. Was Menschen im Rollstuhl wirklich ausmacht, erklären Stefanie Kaufmann, Projektleiterin Marketing und Kommunikation, und Samuel Textor, Creative Director von Freundliche Grüsse.
Nie-allein-Kampagne: «Diese Energie war ansteckend»
«Da es echte Situationen waren, stellte sich das Problem der Authentizität gar nicht»: Samuel Textor, Creative Director Freundliche Grüsse, und Stefanie Kaufmann, Projektleiterin Marketing und Kommunikation Schweizer Paraplegiker-Stiftung (SPS). (Bilder: zVg)

Stefanie Kaufmann, wenn Ihre neue Kampagne ein populärer Song wäre – welcher wäre es?
Stefanie Kaufmann: Ein passender Song wäre «Lean on Me» von Bill Withers. Der Song betont Mitgefühl, Zusammenhalt und die Kraft, sich gegenseitig zu unterstützen – genau wie die Kampagne «Nie allein». Er vermittelt die Botschaft, dass niemand mit schwierigen Herausforderungen allein sein muss und dass wir gemeinsam stärker sind.

Und bei Ihnen, Samuel Textor?
Samuel Textor: Auch wenn es kein weltbekannter Hit ist: Ich finde der in der Kampagne eingesetzte Song der St. Galler Band «Shelter 12» trifft den Ton sehr gut – fast ganz ohne Worte. Etwas nachdenklich, doch positiv und hoffnungsvoll. Beim Hören möchte man sich gleich mit seinen Liebsten zusammengesellen.

Die Kernbotschaft der Kampagne lautet «Im Rollstuhl sitzt man nie allein» (persoenlich.com berichtete). Wie sind Sie auf diesen Satz gekommen?
Textor: Wir hatten im Vorfeld zum Pitch sehr viele Interviews mit Betroffenen geführt. Dabei hat sich herauskristallisiert, dass Freunde und Familie für das Wohlbefinden von Querschnittgelähmten entscheidend sind. Die Betroffenen sind aber auch für ihr Umfeld und die Gesellschaft als Ganzes von zentraler Bedeutung. Dies wollten wir rüberbringen und Menschen aufzeigen, wie wirkungsvoll eine Mitgliedschaft sein kann – für beide Seiten.

Was war die grösste kreative Herausforderung bei der Entwicklung der Kampagne?
Kaufmann: Mit ganz gewöhnlichen Aufnahmen aus dem Alltag das Zielpublikum mitten im Herz zu berühren.

Textor: Mit realen Situationen aus den Leben der teilnehmenden Querschnittgelähmten eine Kampagne zu entwickeln, die sowohl für Betroffene als auch für alle anderen Mitglieder und Nichtmitglieder Wirkung entfaltet. Zum Glück waren die Betroffenen schlussendlich bei den Filmaufnahmen einfach sie selbst – wunderbar eingefangen von Regisseur Lukas Wälli.

Die Kampagne zeigt Menschen mit Querschnittlähmung in aktiven, selbstbestimmten Rollen. Wie haben Sie die Balance zwischen Authentizität und möglicher Überzeichnung gefunden?
Kaufmann: Die Protagonist:innen werden so gezeigt, wie sie sind. Wir haben uns bewusst auf Szenen aus dem Alltag der Protagonist:innen konzentriert. Rosa liebt das Töfffahren mit Lukas. Chiara ist von Herzen gerne Lehrerin. Heiri war mit seiner Familie am Set und Tim mit seinen Freunden aus Winterthur. Wir haben also keine Szenen «nachgespielt», sondern die Aufnahmen an das wirkliche Leben der vier angepasst. So fühlten sie sich wohl und konnten sie selbst sein, authentisch. Das war unser Hauptziel.

Textor: Genau. Da es echte Situationen waren, stellte sich das Problem der Authentizität gar nicht.

Wie haben Sie die vier Protagonistinnen und Protagonisten für den TV-Spot ausgewählt?
Kaufmann: Wir haben verschiedene Kriterien festgelegt. Alter, Geschlecht, Herkunft, Art der Querschnittlähmung (Para- oder Tetraplegie) und Interessen. Wir wollten mit Menschen arbeiten, die einen Bezug zur Schweizer Paraplegiker-Stiftung haben, und es war uns auch sehr wichtig, dass wir schon einmal mit ihnen in Kontakt waren, damit ein gegenseitiges Grundvertrauen vorhanden ist. Schliesslich dauert eine solche Kampagne mehrere Jahre. Bei der Suche nach Protagonist:innen haben unsere Themenmanager:innen und Storyteller:innen im Newsroom eine wichtige Rolle gespielt.

Was war für Sie der bewegendste Moment während der Produktion?
Kaufmann: Es gab viele bewegende Momente. Unter anderem gingen mir die unglaublich schönen Rückmeldungen während der Drehtage von den Protagonist:innen unter die Haut. So sagte Heiri: «Ich bin unendlich dankbar für das, was ich in Nottwil erlebt und erhalten habe.»

Textor: Uns hat die unkomplizierte und einnehmende Art der querschnittgelähmten Menschen beeindruckt. Diese Energie war ansteckend. So ansteckend, dass sich gleich mehrere aus dem Foto- und Filmteam nach dem Dreh als Mitglieder der Schweizer Paraplegiker-Stiftung (SPS) registrierten – einige liessen sich sogar für die Kampagne fotografieren. Natürlich sind wir als Agentur mit einer Firmenmitgliedschaft mitgezogen.

Die Kampagne ist auf mehrere Jahre ausgelegt. Wie entwickelt sich die Botschaft über diesen Zeitraum?
Kaufmann: Die Kernbotschaft «Nie allein» bleibt bestehen, kann aber über die Jahre mit neuen Perspektiven und Geschichten erweitert werden.

Textor: Da wir – wie es sich für einen inklusiven Ansatz gehört, der auf Gemeinschaft setzt – sowohl Para- und Tetraplegiker:innen als auch Mitglieder ohne Querschnittlähmung in der Kampagne zu Wort kommen lassen, können wir verschiedene Aspekte beleuchten: Zuerst ist der Fokus auf den Betroffenen, dann auf den Mitgliedern, gleichzeitig gehen wir in die Tiefe mit Storytelling.

«Die letzten Kampagnen waren von der Aufmachung her eher düster»

Wie unterscheidet sich diese Kampagne von früheren Kommunikationsstrategien der Schweizer Paraplegiker-Stiftung?
Kaufmann: Die letzten Kampagnen waren von der Aufmachung her eher düster, aber dennoch sehr erfolgreich. Der Fokus lag mehr auf der Botschaft und weniger auf den Protagonist:innen selbst. Das ist dieses Mal ganz anders. Die Botschaft ist stark mit den Menschen verbunden, die Einblick geben in ihr Leben, ihre Höhen und Tiefen – und was heute wieder möglich ist, gerade weil sie eben nie allein sind und immer auf die Stiftung und ihre zwei Millionen Mitglieder zählen können.

Welche Reaktionen aus der Community der Menschen mit Querschnittlähmung erhoffen Sie sich?
Kaufmann: Dass sie sich mit unserer Kampagne, unserer Botschaft und dem Einblick in das Leben von Betroffenen identifizieren können und sich abgeholt fühlen. Besonders wichtig ist, dass sich Menschen mit Querschnittlähmung nicht als passive Empfänger:innen von Hilfe, sondern als aktive Gestalter:innen wahrnehmen.

Textor: Uns war wichtig, querschnittgelähmte Menschen nicht als isoliert oder hilfsbedürftig zu porträtieren, sondern voll im Leben. Wir hoffen, dass dies ankommt und sie sich verstanden und repräsentiert sehen. Der zentrale Aspekt, nämlich dass Para- und Tetraplegiker:innen der Gesellschaft viel zu geben haben, soll bei einer breiten Bevölkerung ankommen.

Die zweite Phase der Kampagne fokussiert auf die Mitglieder. Wie stellen Sie sicher, dass beide Phasen nahtlos ineinandergreifen?
Textor: Letztlich geht es in beiden Phasen um dasselbe: Man wird Teil einer grossen Gemeinschaft, und unterstützt sich gegenseitig. Daher fliessen die beiden Perspektiven nahtlos ineinander, und können auch gleichzeitig stattfinden. Die Mitglieder sind ja auch im Hauptfilm schon Teil der Kampagne.

«Die Zusammenarbeit hat beide Seiten berührt und sensibilisiert»

Inwiefern hat die Zusammenarbeit zwischen Agentur und SPS Ihre jeweilige Sichtweise auf das Thema verändert?
Kaufmann: Die Zusammenarbeit hat beide Seiten berührt und sensibilisiert. Die Arbeit hat uns als SPS darin bestärkt, wie wichtig Authentizität und echte Geschichten von Menschen mit Querschnittlähmung in der öffentlichen Wahrnehmung sind.

Textor: Uns hat die Herangehensweise des gesamten Marketing- und Kommunikationsteams der Schweizer Paraplegiker-Stiftung rund um Stephan Michel und Stefanie Kaufmann beeindruckt. Wir merkten gleich, dass sie mit viel Herzblut und Ernsthaftigkeit für die Sache einstehen – und dass sie dies auch von uns erwarten. Zum Glück hatten wir gleich ebenso Feuer gefangen – dies hat Kunde und Agentur gleich für das Thema zusammengeschweisst.

Was war der ausschlaggebende Punkt, der Sie überzeugt hat, dass dies die richtige Kampagne ist?
Kaufmann: Die Kampagne ist positiv und spannend, weil sie beide Perspektiven verbindet: Betroffene und Mitglieder. Natürlich wollen wir auch Nichtmitglieder zum Nachdenken anregen: «Zwei Millionen – warum gehöre ich nicht auch dazu?» Immerhin ist die Schweizer Paraplegiker-Stiftung nach der Rega die zweitgrösste Mitgliederorganisation der Schweiz – und jeden zweiten Tag wird jemand durch einen Unfall querschnittgelähmt.

Wie messen Sie den Erfolg dieser Kampagne – gibt es neben den klassischen KPIs auch «weichere» Faktoren?
Kaufmann: Natürlich wollen wir in erster Linie neue Mitglieder gewinnen, das ist das Hauptziel der Kampagne. Daneben werden wir aber auch weichere Faktoren in die Erfolgsmessung einbeziehen. Dazu gehören unter anderem Rückmeldungen von querschnittgelähmten Menschen, unseren Mitgliedern, Mitarbeitenden oder auch aus der Bevölkerung und von unseren rund 90'000 Follower:innen auf Social Media. Selbstverständlich werden wir auch zusammen mit einem Marktforschungsinstitut den Einfluss der Kampagne auf die Markenbekanntheit und das Image der Schweizer Paraplegiker-Stiftung messen.

Welche Rolle spielen Social Media und digitale Kanäle in der Gesamtstrategie?
Kaufmann: Sie ermöglichen es uns, ein breites Publikum zu erreichen und direktes Feedback zur Kampagne zu erhalten. Besonders wichtig ist, dass wir dieses Mal von Anfang an ganzheitlich geplant haben – ausgehend vom zentralen Thema und über alle Kommunikationskanäle hinweg. So können wir unsere Botschaft einheitlich und wirkungsvoll vermitteln. Wir nutzen digitale Plattformen zudem, um gezielt auch eine jüngere Zielgruppe anzusprechen, sie für eine Mitgliedschaft zu sensibilisieren und zum aktiven Beitritt zu motivieren.

Wenn Sie in fünf Jahren auf diese Kampagne zurückblicken – was soll sich in der Gesellschaft durch sie verändert haben?
Kaufmann: Mehr Mitglieder durch ein besseres Verständnis dafür, was es bedeutet, querschnittgelähmt zu sein und wie eine Mitgliedschaft das Leben von Betroffenen positiv verändern kann.

Textor: Wir wünschen uns, dass die Kampagne qualitativ dazu beiträgt, dass Querschnittgelähmte in der Gesellschaft stärker als das wahrgenommen werden, was sie sind: Ein wertvoller und wichtiger Bestandteil – wie du und ich.


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