18.02.2003

"persoenlich.com"-Serie "Zur Lage der Nation"

Fredy Collioud

Globalisierung, Konjunkturflaute, Werbeverbote -- wie wirken sich die Rahmenbedingungen auf die Werbung aus? Was ist von Gratis-Pitches zu halten? Und werden Below-the-Line-Aktivitäten in klassischen Agenturen zunehmen? "persoenlich.com" präsentiert in lockerer Folge die Einschätzung wichtiger Exponenten der Branche. Heute: Fredy Collioud (Bild), Chairman der Publicis-Gruppe Schweiz.
"persoenlich.com"-Serie "Zur Lage der Nation": Fredy Collioud

Welchen Einfluss hat die Globalisierung auf die Schweizer Werbung?

Fördert die Globalisierung den Wohlstand nachhaltig, wird es mehr Werbung geben -- ist das Gegenteil der Fall, wird es weniger Werbung geben. Ob die Schweiz davon profitieren wird, ist allerdings fraglich, hat die Schweiz doch den höchsten Pro-Kopf-Werbeumsatz der Welt! Mehr Globalisierung führt auch zu mehr globalen Kampagnen, die ihren Ursprung meist nicht in der Schweiz haben. Allerdings ist das auch eine Chance für die nationale oder regionale Schweizer Werbung, die sich dann wohltuend gegen globale Kampagnen abheben kann, sofern sie kreativer, überraschender und humorvoller daher kommt.

Leidet die Kreativität unter der schlechten Konjunktur?

Groteskerweise ja! Dabei schreit eine schlechte Konjunktur geradezu nach aussergewöhnlichen, kreativen Lösungen in allen Kommunikationsbereichen. Leider sind nur wenige Kunden bereit, sich antizyklisch zu verhalten und durch clevere respektive kreative Massnahmen in schlechten Zeiten Marktanteile zu gewinnen, und zwar mit deutlich weniger hohen Werbeausgaben als in wirtschaftlich boomenden Zeiten. Ein positives Beispiel dafür war im letzten Jahr die Kampagne "Die Migros geht an die Expo". Klar hätten sich die Migros-Verantwortlichen diese Kampagne sparen können, weil sie kaum verkaufsrelevant war, dafür der Migros aber gewaltige Image-Vorteile gebracht hat.

Welchen Einfluss haben die Werbeverbote auf Werbung und Medien?

Die Frage scheint mir grundsätzlich falsch gestellt, weil Werbeverbote gewiss einen Einfluss auf die Medien und die Werbeagenturen haben. Viel mehr scheint mir die Frage entscheidend, welchen Einfluss Werbeverbote auf unsere Gesellschaft haben und ob diese politisch überhaupt zu rechtfertigen sind. Werbeverbote sind generell undemokratisch, erinnern mich an die Zensur in den früheren Ostblockstaaten, sie behindern die freie Marktwirtschaft, sie bevorteilen protektionistische Systeme, z.B. in Zigarettenherstellerländern (wie u.a. Frankreich), die in der EU nur ihre eigenen Interessen wahrnehmen. Werbeverbote sind ein absolut untaugliches Mittel, um den Konsum irgendeines Genussmittels zu reduzieren oder zu verhindern. Das wissen auch die Politiker. Die Werbeagenturen werden wirtschaftlich durch Werbeverbote kaum betroffen, dafür umso mehr die freiheitsliebenden Bürger.

Schadet die Pitch-Inflation den Agenturen und Auftraggebern?

Eine Inflation von Wettbewerben schadet meiner Meinung nach vor allem den Auftraggebern, weil diese auf eine Unsicherheit und Ratlosigkeit vieler verantwortlicher Werbe- und Marketingleiter auf Kundenseite zu schliessen lässt. Die Agenturen können sich dieser Inflation ja selbst entziehen, indem sie einfach nein sagen. Wenn sie dies nicht tun, ist es auch ein Problem für die Agenturen. Allerdings ist der Schaden für den Auftraggeber wesentlich grösser, wird doch durch inflationäre Pitch-Orgien die Qualität eben dieser Pitches stark abnehmen. Zudem vermute ich, dass allzu viele Wettbewerbe auch darauf zurückzuführen sind, dass viele Unternehmen keine langfristigen Strategien mehr verfolgen. Und das ist, wie wir wissen, in der heutigen übersättigten und extrem kompetitiven Situation meist wirkungslos und teuer.


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