24.06.2002

"Reicht konsequenter ein"

Remy Fabrikant hat in Cannes als Schweizer "Press- and Outdoor"-Jurymitglied 9077 Arbeiten visioniert. Gilbert Fisch, unser Mann in der "Lions Direct"-Jury, bewertete in der neugeschaffenen Kategorie 1063 Arbeiten. Ihr gemeinsames Fazit: Wenn die Schweizer mehr Erfolg haben wollen, müssen sie auch mehr einreichen. Das Interview:
"Reicht konsequenter ein"

Herr Fabrikant, wie fühlen Sie sich nach sechs Tagen in der Retraite?

Ziemlich fertig (lacht). Es war tatsächlich ein unglaubliches Erlebnis. Und dann kommt man als Schweizer auch mit gewissen Minderwertigkeitkomplexen hierher. Schliesslich sind wir kaum die, die in Cannes jeweils Werbe-Geschichte schreiben...

Wie beurteilen Sie generell das Niveau der eingereichten Arbeiten?

In den ersten vier Tagen haben wir gedacht, das Ganze wachse sich zu einer Riesenkatastrophe aus. Wobei uns dann aber CEO Franz Prenner mit dem Satz beruhigen konnte, dass je länger eine Jurierung gehe, desto besser die Arbeiten würden (lacht). Und siehe da: Als dann die ersten Anzeigen an der Wand hingen, waren da doch tatsächlich richtig gute Sachen darunter. Mit ein Problem war aber, dass es in gewissen Kategorien wie zum Beispiel "Banking" nahezu überhaupt nichts Brauchbares gegeben hat.

Wo haben sich die Schweizer eingereiht?

Die Schweizer haben in meinen Augen ein schlechtes Jahr gehabt. Die Tibetkampagne, um ein Beispiel zu nennen, hat es im letzten Jahr auch schon gegeben, und da war sie ganz klar besser. Die Kampagnen Hakle und Theater Spektakel habe ich wiederholt versucht weiterzubringen – ohne Erfolg, da sie vorallem beim Theater Spektakel wegen ihrem lokalen Bezug nicht verstanden wurden. Es hat sich klar erwiesen, dass Werbung international funktionieren muss, um Erfolg zu haben. Eine Kampagne muss auch von einem Japaner, die übrigens bei "Press and Outdoor" nichts gewonnen haben, verstanden werden. Wenn er das nicht tut, dann hat die Anzeige kaum Chancen, da mindestens 15 von 21 Juroren zustimmen müssen. So kann zwar wirklich Ausgezeichnetes, das jedoch in einem lokalen Kontext steht, in der Schweiz punkten, aber sicherlich nicht hier in Cannes. Immerhin hat aber Silber für Generali rausgeschaut und so kann ich meinen Schweizer Kollegen hier nochmals dafür gratulieren...

Eine gewisse Erfolgsgarantie liegt ja bekanntlicherweise auch in der Menge der eingereichten Arbeiten...

...und hier happert es bei uns Schweizern ganz gewaltig. Wir müssen unbedingt sehr viel mehr Arbeiten einreichen. Und selbst wenn wir es achtmal auf eine Shortlist schaffen, ist das immer noch viel zu wenig. Anderseits muss man auch sehen, dass hier tatsächlich die Werber-WM stattfindet. Und wir haben in der Schweiz nun einmal nicht gerade sehr viele Siebenhundert-Mann-starke Agenturen. Aber gerade deshalb sollen wir die Sachen, die wir zu sagen haben, sagen. Und zwar als Land. Für uns kleine Schweiz muss Cannes in erster Linie eine Länderolympiade sein und als Schweizer Jurymitglied war es meine Aufgabe, so viel wie möglich für die Schweizer Arbeiten zu tun, unabhängig, ob sie nun von der Konkurrenz stammen. Denn schliesslich ist uns ja allen gedient, wenn es heisst, die Schweiz sei ein Land mit hohem werberischen Potential.

Herr Fisch, wie bewerten Sie das Niveau der eingereichten DM-Arbeiten?

Ich glaube, dass Niveau entspricht dem der anderen Kategorien hier in Cannes – von brilliant bis unbrauchbar. Es hat recht viele Eingaben gegeben, wo man sich gefragt hat, wie verzweifelt eine Agentur sein muss, um so etwas einzureichen: Arbeiten mit null Relevanz, null Signifikanz. Markus Ruf hat das übrigens schön formuliert: "Die hätten noch nicht einmal am lokalen Tischservietten-Wettbewerb irgendeine Chance gehabt". Wen man die Shortlist anschaut, fällt auf, dass vor allem ganz einfache, fadengerade Arbeiten glänzen. Ideen, von denen man sich im nachhinein wundert, warum man nicht selber darauf gekommen ist. Genau so ein Beispiel ist auch der DM-Grand Prix, der aus einem Stück Wellkarton besteht. Auf der einen Seite ist eine Kuvertgestaltung, die letzte Mahnstufe des englischen Automobilverbands, man solle doch seinen Mitgliederbeitrag einzahlen, um auch in Zukunft bei Pannen gewappnet zu sein. Die Rückseite ist dann ein Hitch-Hiker Sign. Fadengerade, einfach, bestechend.

Das Erfolgrezept heisst also direkt sein?

Es gibt natürlich auch Aufgabenstellungen, die zu komplex sind, um in dieser Simplizität gelöst zu werden. Wenn man jedoch die Gold Lions-Gewinner beim Film, bei "Press and Outdoor" analysiert, dann stellt man fest, das das alte Rezept noch immer gilt: Single Mindedness, eine unverschlüsselte Botschaft, fadengerade heraus. Ein ebenfalls gutes Beispiel ist der diesjährige Grand Prix-Sieger bei den Anzeigen. Da wirbt ein Ferienclub unverblümt mit Sex. Die sind hingegangen und haben gesagt, wenn du zu uns kommst, dann hast du Sex. Das Wunderschöne an dieser Anzeigenserie ist, das sie kontrovers ist, und das wirft Wellen. Nur was polarisiert, weckt Emotionen und damit es polarisieren kann, muss es positive und negative Emotionen wecken. Wobei ich lieber eine negative Emotion habe als gar keine. Und das ist bei uns im Direct Marketing in vielen Fällen gleich. Leider haben wir zu oft den Anspruch, Sachen zu verkomplizieren.

Die Schweiz hat mit dem "Expo.02-Vip-Mailing" von Lowe Direct ein einziges "Shortlist Certificate" abgeholt. Wo stehen wir im Vergleich mit dem Rest der Welt?

Ich hoffe, Christian Hansen nimmt mir es nicht übel, wenn ich das jetzt so sage: Lustigerweise hat es in meinen Augen seine schwächste Arbeit auf die Shortlist geschafft. Und ich kenne ja all seine Arbeiten. Das "Expo.02-Vip-Mailing" ist der typische Fall eines tadellos gemachten, auf schönem Papier gedruckten Mailings, in dem aber nicht die kreative Oberbrillanz steckt. Und diese Arbeit ist dann zum Glück von Hansen in der Juryecke gelandet, wobei zwei oder drei DM-Dinosaurier gesessen sind, die genau diese Art von guten, alten Mailing Pieces gesucht haben.

Von den grösseren DM-Agenturen in der Schweiz haben nur Lowe Direct und wir eingereicht. Wobei ich mich jedoch bereits nach dem ersten Tag Jurieren fürchterlich darüber geärgert habe, mit bloss zwei Arbeiten nach Cannes gekommen zu sein. Wenn ich den Standard hier in Cannes mit dem der Arbeiten vergleiche, die zum Beispiel am Schweizer DM-Preis gewonnen haben, dann kann ich allen nur raten, konsequent einzureichen! Von all diesen nicht eingereichten Arbeiten hätten es sicherlich vier bis fünf auf die Shortlist geschafft und es wäre wohl auch Metall dringelegen. Heute weiss ich, dass es falsch war abzuwarten. Gegen den Rat von Frank Bodin übrigens: "Du musst einreichen, du musst einreichen, soviel wie irgends möglich! Denn am Anfang ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass du etwas gewinnst", hat er gemeint (lacht). Und wohl nicht unrecht gehabt. Denn im Bezug auf die Qualität müssen wir Schweizer uns ganz klar nicht verstecken.

(Interview: Almut Berger).


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