26.07.2023

Jelmoli

«Die Liquidation wird erst am Schluss kommen»

Vor drei Monaten hat er einen schwierigen Job angetreten: Reto Braegger, CEO auf Zeit von Jelmoli. Ende 2024 schliesst das Traditionshaus an der Bahnhofstrasse Zürich die Türen. Doch zuvor wird noch der 190. Geburtstag gefeiert. Ein Andenken hat er bereits.
Jelmoli: «Die Liquidation wird erst am Schluss kommen»
«Mein Auftrag fokussiert sich auf die Rückabwicklung und diese dauert etwas über die Schliessung der Türen hinaus», so Reto Braegger, CEO von Jelmoli. (Bilder: zVg)

Herr Braegger*, in welcher Rolle sehen Sie sich eher: Feuerwehrmann oder Bestatter?
Weder noch. Es brennt nicht und Jelmoli ist nicht gestorben. Im Gegenteil. Wir sind so lebendig wie immer und darum geht es – mit der nötigen Aufmerksamkeit den anstehenden Auftrag auszuführen. Nämlich den operativen Betrieb bis Ende 2024 zu sichern, gleichzeitig herunterzufahren und das Haus vorzubereiten, um es in die neue Ära zu überführen. Dazu braucht es eher die Fähigkeiten eines Dirigenten.

Sie traten Anfang Mai die Nachfolge von CEO Nina Müller an. Geschäftsführer bleiben Sie nur bis Ende 2024, dann wird das Warenhaus Jelmoli geschlossen (persoenlich.com berichtete). Wie ist es, CEO auf Zeit zu sein?
Die Endlichkeit gibt eine Klarheit in den Auftrag, wie es sonst nicht immer der Fall ist, wenn man ein Unternehmen aufbaut oder entwickelt. Die kommenden 18 Monate werden die gesamte Klaviatur der Führungsverantwortung und eine breite Varianz an Themen – geplante und weniger planbare – mit sich bringen. Ich freue mich, zusammen mit meinem Führungsteam und den Mitarbeitenden diese Herausforderungen anzunehmen und zu meistern.

Was für eine Stimmung fanden Sie bei Ihrem Stellenantritt vor?
Ich bin ja bereits seit zwei Jahren im Unternehmen und war vorher CMO (Chief Merchandise Officer, Anm. der Red.). Wenn Sie nun den Moment Anfang Mai meinen, als ich offiziell als CEO übernommen habe, dann war dort die Stimmung irgendwo zwischen Trauer und Kampfgeist. Jeder erlebt die Situation anders und ist jeweils an einem anderen Punkt im Trauerprozess. Im Grossen und Ganzen spürte ich aber immer eine grosse Solidarität mit Jelmoli.

«Viele sind sehr motiviert und möchten Jelmoli bis zum Schluss begleiten»

Von der Schliessung betroffen sind 550 Jelmoli-Mitarbeitende und 300 Angestellte von im Warenhaus eingemieteten Marken. Wie gross ist die Motivation für die Leute, bis zum Ende durchzuhalten?
Auch hier gibt es keine Standardantwort für alle. Viele sind sehr motiviert und möchten Jelmoli bis zum Schluss begleiten. Einige werden sich schneller neu orientieren.

Können Sie gut motivieren?
Ich bin per se selbst ein motivierter Mensch und glaube, dass sich diese Haltung auf mein Team überträgt. Motivation ist etwas, das von innen kommt. Jeder muss sich selbst motivieren. Ich kann lediglich eine Umgebung schaffen, in der dies meinen Kolleginnen und Kollegen leichter fällt – und das ist mein tägliches Ziel.

Müssen Sie manchmal auch Trost spenden?
Ja, das gehört dazu. Wir sind Menschen und damit emotionale Wesen. Es wäre komisch, wenn wir nicht traurig sind.

Die Kundinnen und Kunden sollen ja möglichst nichts von der Endzeitstimmung bemerken. Was für Tricks wenden Sie an?
Es geht hier nicht um Trickserei oder darum, etwas zu verstecken, sondern vielmehr um unsere Grundhaltung im Alltag. Wir möchten, dass alle Menschen bei Jelmoli in den kommenden 18 Monaten eine gute Zeit erleben und Jelmoli als Warenhaus in bester Erinnerung behalten werden. Das gilt vor allem für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und natürlich auch für unsere Kundinnen und Kunden.

«Wir feiern Jelmoli mit Würde und Wertschätzung»

Jelmoli feiert in diesem Jahr den 190. Geburtstag. Wie wird gefeiert?
Wir feiern Jelmoli mit Würde und Wertschätzung für die grossartige Geschichte, die diese Marke seit 1833 geprägt hat. Wir haben bereits im Frühling mit der Lancierung von einigen Special Editions begonnen. Soeder hat eine Seife lanciert und das Etikett aus alten Jelmoli-Plakaten gestaltet, Turicum hat einen Gin mit lokalen Zutaten nur für Jelmoli produziert, von Pack Easy gibt es einen Koffer mit einem historischen Sujet und so weiter. Im September und Oktober folgen eine grosse Kampagne und viele Aktivitäten im Haus bis zum «Grande Finale» Anfang November. Am 2. November 1833 datiert nämlich der Handelsregistereintrag von Jelmoli.

Gibt es eine Art Austrinkete?
Diese Eventidee ist tatsächlich schon angedacht worden. Macht ja auch Sinn bei zwölf Gastrobetrieben. Und auch für andere Bereiche machen wir uns Gedanken, wie wir sie spannend und spielerisch inszenieren können. Vielleicht versteigern wir unser letztes Hemd für einen guten Zweck, statt es zu verkaufen. Man darf gespannt sein.

Sie selbst bringen über 25 Jahre Retail-Erfahrung mit. Wie hat sich der stationäre Handel in dieser Zeit verändert?
Der stationäre Handel muss heute mehr Abwechslung und Erlebnis bieten, um relevant zu bleiben. Denn der heutige E-Commerce, was früher das Distanzgeschäft oder der Versandhandel war, welcher übrigens 1884 von Jelmoli erfunden wurde, hat das Shopping-Erlebnis vor allem mit dem Smartphone ortsunabhängig gemacht.

Bereits Manor an der Zürcher Bahnhofstrasse musste schliessen. Haben Warenhäuser überhaupt noch eine Chance?
Manor hat eine Filiale geschlossen infolge des ausgelaufenen Mietvertrages. Das hatte nichts mit dem Geschäftsmodell Warenhaus zu tun. Warenhäuser haben meines Erachtens eine Chance, wenn sie ihr Geschäftsmodell so aufsetzen, dass es zukunftsfähig ist – und dazu gehört eine gute und stringente Umsetzung einer Omnichannel-Strategie. Die Expertise eines Warenhauses ist ja im Wesentlichen das Kuratieren von Produkten, Services und Erlebnissen zu einem abgestimmten Gesamterlebnis. Und die Kuratoren müssen dabei Megatrends und den Zeitgeist beachten und respektieren.

«Die Liquidation wird kommen, aber erst in der Schlussphase»

Schauen wir auf Ende 2024, wenn Jelmoli als Warenhaus die Türen definitiv schliesst. Wird es dann einen radikalen Ausverkauf geben?
Wir werden auch 2024 nochmals tolle Kampagnen lancieren und spannende Geschichten erzählen. Die Liquidation wird kommen, aber erst in der Schlussphase. Vorher gibt es die üblichen Sale-Phasen und viele attraktive Promotionen. Wir haben zwölf verschiedene Warenwelten und jede funktioniert ein bisschen anders. Viele Marken wollen ihre Produkte nicht rabattieren und nehmen sie nach der Schliessung zurück. Auch hier sind wieder Dirigenten-Fähigkeiten gefragt, damit das Ganze am Ende gut klingt.

Was wird dann passieren, wenn Sie den Schlüssel zu den Eingangstüren zum letzten Mal drehen? Kollektive Trauer oder grosse Erleichterung?
Ich wünsche mir, dass zu diesem Zeitpunkt am liebsten alle unsere Mitarbeitenden eine gute Folgelösung haben und wir den Schlüssel mit Wertschätzung für die gemeinsame Abschlusszeit mit einem weinenden und einem lachenden Auge umdrehen können.


Ist für Sie Ihre Arbeit Ende 2024 auch fertig oder geht es dann erst richtig los?
Mein Auftrag fokussiert sich auf die Rückabwicklung und diese dauert etwas über die Schliessung der Türen hinaus. Logistik und Finanzen werden bis Mitte 2025 mit Rückführung der Waren und Abschlüssen beschäftigt sein.

Gibt es ein Andenken im Haus Jelmoli, das Sie sich noch sichern möchten?
Ja, gibt es effektiv. Ich habe mir gerade letzte Woche noch eines der letzten Stand-up-Paddleboards aus einer limitierten Serie mit Jelmoli-Logo gekauft. Dies wird mich auch über 2024 hinaus zu neuen und spannenden Ufern führen …



* Reto Braegger hat per 1. Mai 2023 als neuer CEO die Führung von Jelmoli übernommen. Bis Ende 2024 läuft das operative Geschäft bei Jelmoli weiter. Braegger war Mitglied der Geschäftsleitung bei den Magazinen zum Globus und verantwortete unter anderem die Beschaffungs- und Sortimentsstrategie. Zuvor war er als Unternehmensleiter im damaligen Modehaus Schild für die Verbindung von On- und Offline sowie die Digitalisierung verantwortlich. Vor seinem Wechsel zu Jelmoli verantwortete er als Unternehmensleiter die Weiterentwicklung der Marke Navyboot.


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KOMMENTARE

Christine Daborn
27.07.2023 14:09 Uhr
Es ist schwer zu verstehen, dass es keinen Investor gibt, der Jelmoli weiterführt. Es gibt in der Schweiz doch so viele Milliardäre. Das wäre doch eine grosse sinnvolle Tat, das traditionsreichste Warenhaus zu retten und damit sich und Zürich ein Denkmal zu verschaffen.
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