07.06.2022

Breitling

«Digitale Transformation heisst nicht E-Commerce»

Unter Georges Kerns Ägide konnte Breitling seinen Umsatz vervierfachen. Seit genau fünf Jahren ist der 57-Jährige als CEO und Mitinhaber am Ruder. Ein Gespräch über die Coronakrise, den Ukraine-Krieg, analoge Uhren und ein aus der Zeit gefallenes Marketing.
Breitling: «Digitale Transformation heisst nicht E-Commerce»
«Wir sind Menschen, wir alle wollen Emotionen, umso mehr bei diesem Overkill an Digitalem», sagt Georges Kern, CEO von Breitling. (Bild: Thomas Buchwalder)

Herr Kern, die Welt wird momentan ziemlich durchgeschüttelt. Wie erleben Sie, als Chef einer Uhrenfirma, und die gesamte Branche diese Zeiten?
Wir kommen gerade aus zwei Jahren Corona heraus, und nun folgt nahtlos diese humanitäre Katastrophe in der Ukraine mit sicherlich langfristigen geopolitischen Konsequenzen. Wir sind geschockt, wie alle anderen auch, und müssen mit der Situation umgehen.

Ist die Luxusbranche stärker betroffen als andere Branchen?
Das ist schwierig zu sagen. Ich kann mich momentan nur zur Coronakrise äussern, da wir die makroökonomischen Folgen des Ukrainekriegs mit Inflation und Lieferkettenproblemen noch nicht abschätzen können. Die Coronakrise hat gezeigt, dass die Luxusgüterindustrie sehr widerstandsfähig ist – zu unserem Glück. Die meisten Marken und Konzernbewertungen sind aus verschiedenen Gründen massiv gestiegen. Fakt ist, dass wir Rekordjahre hatten. Zum einen gab es Kompensationskäufe, zum anderen wollten sich die Menschen in der Krise etwas Schönes gönnen. Ich glaube, dies ist sehr menschlich. Einerseits haben wir eine Überdigitalisierung, andererseits eine grosse Unsicherheit, und da vermittelt eine analoge Uhr einen positiven Wert und kann eine wichtige Rolle spielen. Aufgrund der ganzen Situation mit den Reiserestriktionen, Lieferengpässen in zahlreichen Branchen, wie beispielsweise in der Automobilbranche und anderen, hatte man verfügbare Mittel, mit denen man sich etwas Gutes tun konnte.

«Die Pandemie hat den Wandel des Konsumentenverhaltens beschleunigt»

Sie haben den Umsatz von Breitling seit Ihrem Start vor bald fünf Jahren vervierfacht.
Wir haben unsere Strategie vor 4,5 Jahren festgelegt und uns daran gehalten. Im April 2020, auf dem Höhepunkt der ersten Coronawelle, haben wir sogar das Redesign der Chronomat lanciert. Da wir immer stärker über die sozialen Medien kommunizieren und die Leute Zeit hatten, konnten sie sich während des Lockdowns mit unseren Produkten auseinandersetzen. Nach Ende des Lockdowns hatten sie das Bedürfnis, in unsere Geschäfte zu kommen, um die Produkte zu kaufen. Wir halten an unserer Strategie und an unseren Werten, die die Marke repräsentieren, fest. Die Pandemie hat den Wandel des Konsumentenverhaltens beschleunigt. Aber nicht nur das Verhalten der Konsumenten, sondern auch der Luxusbegriff per se hat sich gewandelt. Was in der Vergangenheit cool war, ist heute nicht mehr angesagt, und wir haben bereits vor Corona unseren eigenen Weg gefunden, den wir «Neo-Luxury» oder mit anderen Worten «Casual, Inclusive and Sustainable Luxury» nennen. Diese Werte haben uns sehr geholfen, und wir haben damit auch einen gewissen Zeitgeist getroffen. Unsere Marke ist in den vergangenen Jahren stärker geworden.

Früher galt Breitling als klassische Fliegeruhr. Jetzt haben Sie das Sortiment und den Brand erweitert.
Als ich damals zu Breitling kam, hatte ich die Marke der letzten 20 Jahre im Kopf. Also grosse, laute, polierte Pilotenuhren und ein aus der Zeit gefallenes Marketing. Dies war, grob zusammengefasst, das Image. Wenn man auf die ganze Geschichte der Marke zurückblickt, hat Breitling schon immer Zeitmesser für den Einsatz in der Luft, am Boden und im Wasser entwickelt. Diese beeindruckende Tradition und Geschichte haben wir in den letzten fünf Jahren wieder aufleben lassen und die Marke dementsprechend breiter aufgestellt. Breitling ist heute vergleichbar mit einem Automobilhersteller: Wir haben einen SUV, wir haben ein Cabrio, wir haben eine Limousine. Wir wollen und können in unserem Segment ein Generalist der Uhrenindustrie sein.

In vielen bekannten Ortschaften gibt es immer noch einen Breitling-Shop. Das heisst, das traditionelle Geschäft ist weiterhin wichtig, trotz Onlineboom.
Das Online-Business in der Uhrenindustrie wird überschätzt, insbesondere in unserem Segment. Es besteht auch eine riesige Verwirrung in der Terminologie. Digitale Transformation heisst nicht E-Commerce. E-Commerce in unserer Branche beträgt etwa zehn Prozent. Wir wollen irgendwann 15 Prozent erreichen, doch das braucht Zeit. Das bedeutet aber nicht, dass wir keine digitalen Medien benutzen, um zu kommunizieren. Viel wichtiger für die Kundinnen und Kunden sind die stationären Geschäfte, weil wir ihnen dort das 360-Grad-Erlebnis anbieten können. Viele Studien besagen, dass die Menschen dieses Einkaufserlebnis wollen. Die Kundschaft will nicht nur digital kaufen. Wir verfolgen eine Omni-Channel-Strategie und haben unsere Boutiquen, aber eine ebenso starke Onlinepräsenz. Aber am Ende des Tages ist die Boutique die effizienteste Art, die Kunden in die Breitling-Welt eintauchen zu lassen. Wir sind Menschen, wir alle wollen Emotionen, umso mehr bei diesem Overkill an Digitalem.

«Ich glaube an Produkte, die das Leben lebenswert machen»

Wo sind die Zukunftsmärkte von Luxusmarken wie Breitling?
Die Schweiz ist ein Zukunftsmarkt, Deutschland, Asien generell und die USA ebenfalls. Alles ist ein Zukunftsmarkt. Jedes Segment ist ein Zukunftsmarkt. Der analoge Uhrenmarkt wird weiter boomen, weil die analoge Uhr das perfekte Produkt unserer Zeit ist, im Gegensatz zu dem, was man heute überall predigt oder glauben mag. Man weiss, dass ganz viele Firmen über Jahre hinweg ausverkauft sind, ohne Metaverse, NFTs oder E-Commerce. Die Nachfrage ist gross, und für jeden Trend gibt es einen Gegentrend. Die Hälfte unserer Industrie benötigt nicht einmal E-Commerce, was zeigt, worum es den Menschen geht. Leute verstehen ein analoges Produkt, so wie sie den analogen Motor eines Vintage-Autos verstehen, und haben einen Bezug dazu. Aber niemand hat eine emotionale Verbindung zu einem elektronischen Auto, einem Smartphone oder zu Smartwatches. Das ist es, was uns von Robotern unterscheidet. Deshalb glaube ich an die Gastronomie, an Reisen, analoge Produkte und guten Wein. Ich glaube an Produkte, die das Leben lebenswert machen.

Interessant ist: Je digitaler unsere Welt wird, desto grösser ist die Sehnsucht nach analogen Produkten wie eben Uhren.
Das glaube ich auch. Natürlich leben wir digital und kommunizieren auch stark über digitale Kanäle. Es gibt Online-Streamingdienste, und gleichzeitig kaufen die Leute Vinylplatten. Das Echte im Leben wird nicht verloren gehen, und wir werden uns nicht in unseren Zimmern einschliessen und in einer Parallelwelt leben. Es braucht die richtige Balance.

Zurück zum Ukrainekrieg: Sie haben Ihre Lieferungen an Russland eingestellt.
Wir halten uns selbstverständlich an die Sanktionen der EU und der Schweiz. Wir haben Mitarbeiter und Partner in Russland, für die wir eine Verantwortung tragen. Das gilt in Russland genauso wie in der Ukraine, wo zum Schutz der Mitarbeitenden sämtliche Verkaufspunkte geschlossen wurden.

Sie haben 45 Verkaufsstellen in Russland.
Ja, die allesamt mit Handelspartnern betrieben werden und die wir momentan nicht mehr beliefern können. Selbstverständlich werden die Gehälter der Mitarbeitenden weiterbezahlt, und wir versuchen, unsere Handelspartner so gut wie möglich zu unterstützen.

Ein positiver Ausblick zum Schluss: Was sind Ihre nächsten Projekte?
Wir fahren unsere Strategie weiter. Wir haben tolle Produkte in der Pipeline, die noch dieses Jahr lanciert werden. Die Nachfrage ist weiterhin stark. Wir müssen, so gut wie es geht, mit dem Gegenwind zurechtkommen. Wenn man wachsen möchte, kann man entweder auf der Welle mitsurfen oder Marktanteile gewinnen. Ich hoffe, dass wir trotz der aktuellen Situation weiterhin ein Wachstum der Industrie miterleben werden.



Georges Kern ist in Düsseldorf in einer Uhrmacherfamilie aufgewachsen. Nach dem Studium an der Universität St. Gallen (HSG) sammelte er bei Kraft Foods erste Erfahrungen im Konsumgütermarkt, bevor er in die Uhrenbranche zu Tag Heuer wechselte. Im Jahr 2000 kam er zum Luxusgüterkonzern Richemont, 2002 wurde er an die Spitze von IWC Schaffhausen berufen. 2017 übernahm er für kurze Zeit die Leitung aller Uhrenmarken innerhalb von Richemont, kurz danach wurde er CEO und Mitinhaber von Breitling.

Das ausführliche Interview ist in der aktuellen Printausgabe von «persönlich» erschienen.


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KOMMENTARE

Pierre Rothschild
09.06.2022 10:11 Uhr
Georges Kern sollte in vielen Chefetagen ein Vorbild sein. Er glaubt an seine Produkte und spart nicht, wenn es darum geht, diese mit einer perfekten Werbung zu lancieren. Kern beweist, dass "think big" wesentlich ist. Noch glauben zu viele Schweizer Unternehmer, dass man mit sehr wenig viel erreichen kann. Diese Zeiten sind vorbei. Breitling ist sichtbar - überall, wo es relevant ist.
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