Die Coronapandemie und ihre Folgen, der Krieg in der Ukraine, die Inflation und der Fachkräftemangel – die gegenwärtigen Herausforderungen sind nicht die besten Voraussetzungen, um ein Start-up zu gründen. Wie schätzen Sie das ein?
Das kommt auf die Perspektive an. In der Schweiz sind wir von den aktuellen globalen Herausforderungen bisher zu einem grossen Teil verschont geblieben. Aktuell gibt es sehr viele interessante Themenfelder, die einen grossen Einfluss auf die Gesellschaft und das wirtschaftliche Umfeld haben werden, in denen Schweizer Start-ups eine starke Stellung haben, zum Beispiel Generative AI oder Climate Tech. Natürlich gibt es auch Aspekte, die eher schwierig sind, wie das aktuelle Finanzierungsumfeld und – wie von Ihnen angesprochen – den Fachkräftemangel. Im Grossen und Ganzen bietet die aktuelle Situation aber deutlich mehr Chancen als Risiken.
Vor Kurzem sorgte ein Medienbericht zur TV-Show «Höhle der Löwen» für Wirbel. Die Hälfte der vereinbarten Deals zwischen Investoren und Jungunternehmern soll nach der Sendung platzen. Was läuft da schief aus Ihrer Sicht?
«Höhle der Löwen» ist ein Showformat. Und wie wir von anderen ähnlichen Formaten wissen, ist der Übergang von der Show zur Realität immer schwierig. In meinen Augen machen die Löwen (Juroren) einen guten Job und versuchen, nach bestem Wissen und Gewissen einen Deal hinzubekommen. Dass dies nicht einfach ist, liegt in der Natur der Sache. Deshalb ist es elementar, dass das Produktionsteam die Start-ups sehr klar und transparent informiert und die Erwartungshaltungen einordnet.
Die Gründerinnen und Gründer müssen wissen, worauf sie sich einlassen. Was würde sonst noch helfen?
Man könnte zudem über eine stärkere Standardisierung der Verträge nachdenken und diese den Start-ups vorgängig zur Verfügung stellen. Auch Bewertungsfragen könnten schon vor der Sendung geklärt werden. Auf der anderen Seite ist es verständlich, dass die Investoren die Gründer kennenlernen möchten, bevor man einen Deal eingeht. Und die Verhandlung bietet eine gute Gelegenheit dafür.
«Die Sendung bietet den Start-ups eine sehr gute Plattform, sich der Allgemeinheit zu präsentieren»
Nach den Deals kommt es zur massgeblichen Due-Diligence-Phase, wie CH-Media-TV-Chef Roger Elsener im Interview sagte. Was genau beinhaltet dieser Prozess?
Hier geht es darum, das Start-up auf Herz und Nieren zu überprüfen, also eine detaillierte Prüfung der Firma, des Markts sowie des Produkts vorzunehmen und die Gründerinnen und Gründer besser kennenzulernen, damit man ein fundiertes Bild von der Situation beziehungsweise vom Start-up hat. Da der Sender keine Haftung übernehmen will oder kann, muss dies direkt von den Löwen gemacht werden. Dieses Vorgehen halte ich für sinnvoll, gewichtet jeder Investor die verschiedenen Kriterien doch unterschiedlich. Dieser Prozess ist bei institutionellen Risikokapitalfirmen (Venture Capital Funds) im Übrigen nicht anders.
Wenn viele Deals am Schluss doch nicht zustande kommen, warum ist ein solches Format wie die «Höhle der Löwen» dennoch interessant für Jungunternehmer?
Ich denke, die Sendung bietet den Start-ups eine sehr gute Plattform, sich der Allgemeinheit zu präsentieren. Zudem hat man als Start-up die Möglichkeit, sich erfolgreichen Unternehmern (den Löwen) zu präsentieren und hilfreiches Ad-hoc-Feedback zu erhalten.
Woran scheitern Start-ups mit einer guten Geschäftsidee in den meisten Fällen?
Die häufigsten Gründe sind Probleme im Team, die schwindende Liquidität, die Überschätzung des Marktpotenzials sowie die Unterschätzung der Entwicklungs- und Marketingkosten.
Worauf muss man als Investorin oder als Investor besonders achten?
Am wichtigsten ist, dass man das Team beziehungsweise die Gründerinnen und Gründer gut kennenlernt. Zweitens sollte man sich mit dem Markt vertraut machen: Wie gross ist der Markt überhaupt, welches Marktpotenzial besteht oder wie sieht das Exit-Potenzial aus? Drittens muss das Produkt des Start-ups state-of-the-art sein beziehungsweise ein nachhaltiges und verteidigungsfähiges Differenzierungspotenzial aufweisen.
«Die Schweiz kann als guter Testmarkt fungieren»
Schon seit einigen Jahren gilt die Schweiz als innovationsstärkstes Land der Welt. Was machen Start-ups in der Schweiz besser als in anderen Ländern?
Schweizer Start-ups sind sehr stark auf den ersten fünf Kilometern, also in der Grundlagenforschung sowie der Erarbeitung von erstklassigen Konzepten. Dummerweise ist das Rennen aber nicht bereits dann zu Ende. Innovationsweltmeister ist sicherlich eine wichtige Stärke, viel wichtiger ist jedoch die erfolgreiche Umsetzung der Innovation. Hierbei sind Mut und Kühnheit, eventuell sogar eine Prise Dreistigkeit wichtige Eigenschaften, die man heute eher in Ländern wie den USA, Israel oder in Skandinavien antrifft, wobei sich Schweizer Start-ups stetig und spürbar verbessern.
Was spricht dafür, in der Schweiz ein Start-up zu gründen?
Die Schweiz ist zwar im Vergleich mit anderen Ländern nicht sonderlich gross, aber dafür sind die Rahmenbedingungen vielversprechend. Wir haben eine hohe Kaufkraft, tiefe Inflation, die steuerliche Behandlung von Start-ups verbessert sich ebenfalls. Zudem kann die Schweiz auch als guter Testmarkt fungieren. Wenn sie schweizweit erfolgreich unterwegs sind, können sie dies als Sprungbrett für eine Expansion in Länder wie Deutschland, Frankreich und Italien nutzen.
In welchen Branchen sind Start-ups in der Schweiz zurzeit besonders gefragt? Welche sind das?
Was auffällig ist, ist dass die Schweiz in vielen Themen, die sich in den nächsten fünf bis zehn Jahren sehr dynamisch entwickeln werden, führend ist. Ich könnte hier nun weit über 30 Start-ups aufzählen. Speziell erwähnenswert sind zum Beispiel Yokoy (Fintech), Planted (Foodtech), Bloom Biorenewables (Cleantech), ClearSpace (Spacetech) oder Properti (Proptech).
«Erfolgreiche Gründerinnen und Gründer in der Schweiz sind sehr gewissenhafte und visionsgetriebene Personen»
Etwas salopp gefragt: Wie ticken die Gründerinnen und Gründer von Start-ups in der Schweiz?
Das kann man nicht generalisieren, zumal auch die starke Entwicklung der Gen-Z eine spürbare Durchmischung in den Gründerteams gebracht hat. Erfolgreiche Gründerinnen und Gründer in der Schweiz sind sehr gewissenhafte und visionsgetriebene Personen, die ein klares Ziel vor Augen haben und bereit sind, die Extrameile zu gehen. In der Schweiz gründet man nicht primär, um möglichst viel zu verdienen, dies wäre auf eine andere Art und Weise deutlich einfacher zu haben. Der klare inhaltliche Purpose ist bei Gründerinnen und Gründern in der Schweiz deshalb stark spürbar.
Welches neue Start-up aus den letzten paar Jahren hat Sie besonders beeindruckt?
Mich haben viele Start-ups beeindruckt, natürlich nicht zuletzt diejenigen, in die wir investiert haben. Sehr interessant war die Entwicklung von Planted. Ich kann mich gut an unser erstes Treffen mit den Gründern an der ETH erinnern, als sie noch die Räumlichkeiten dort benutzen konnten. Was die Gründer innert kürzester Zeit auf die Beine gestellt haben, ist bewundernswert.
Bleiben wir bei diesem Beispiel. Was macht den Erfolg von diesem Start-up aus?
Erstens ein erstklassiges Gründerteam, das sich enorm gut ergänzt. Zweitens ein sehr grosser Markt, der von einer klaren Substitution getrieben ist. Drittens ein qualitativ erstklassiges Produkt, dessen Marktpenetration im In- und Ausland rasch gelungen ist.
Wo sehen Sie die Schweizer Start-up-Szene in fünf bis zehn Jahren?
Ich bin sehr optimistisch für die Zukunft. Wie bereits erwähnt, gibt es viele Start-ups hierzulande, die in Branchen und Sektoren zu Hause sind, die sich in den nächsten Jahren stark entwickeln werden. Elementar wichtig wird sein, dass wir die Finanzierung der Schweizer Start-ups sicherstellen können. Es darf nicht sein, dass sich ausschliesslich ausländische Investoren an rasch wachsenden Schweizer Scale-ups beteiligen können und so das Geistige Eigentum (IP) ins Ausland transferiert wird. Deshalb braucht es Kapital nicht nur für junge Start-ups, sondern auch für Wachstumsfirmen. Falls Letzteres sichergestellt werden kann, hat das Schweizer Start-up-Ökosystem eine grosse Zukunft vor sich.
Welchen Tipp geben Sie Menschen, die eine Idee haben und ein Unternehmen gründen wollen?
Es gibt nicht nur den einen Tipp. Aber sinnvoll ist sicherlich, eine saubere Marktanalyse zu machen, damit man eine realistische Einschätzung des Marktpotenzials hat. Zudem empfehle ich Gründerinnen und Gründern, nie allein zu gründen, sondern einen Mitstreiter oder eine Mitstreiterin zu suchen. Ich habe es fast noch nie erlebt, dass Alleingründer erfolgreich sind.
Max Meister, Start-up- und Venture-Capital-Experte sowie Dozent für Entrepreneurship an der HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich.
Mitarbeit: Maya Janik