18.04.2006

Marcus Knill

Blick-Kampagne gibt zu denken

Vorverurteilungen statt Recherchen.

Der Kommunikationsberater Marcus Knill erläutert im Folgenden seine Ansicht über die Blick-Berichterstattung zum Heim-Skandal in Spanien.

"Wenn eine Zeitung ein Thema so inszeniert, dass eine Partei einseitig dargestellt wird, handelt es sich in der Regel um Kampagnenjournalismus. Das Boulevardblatt Blick suggerierte mit einer Serie über ein sogenanntes 'Folter Camp' in Spanien, dass alle Aussagen der geflohenen Insassen richtig und alle Aussagen der Leiter falsch sein müssen. Diese Kampagne zählt auch zum anwaltschaftlichen Journalismus: Blick machte sich nämlich nur aufgrund von Mutmassungen zum Anwalt der geflohenen Jugendlichen, obschon die Angelegenheit noch gar noch nicht untersucht und gar kein Leiter angeklagt ist. Der Kampagnenjournalist weiss stets, was wahr und richtig ist, ein professioneller hingegen arbeitet mit Fragen. Er recherchiert, sammelt Fakten und distanziert sich von Vorverurteilungen.

Es hat sich gezeigt, dass im Camp in Spanien nicht alles zum Besten bestellt war und später weitere gravierende Mängel nachgewiesen werden könnten. Bevor jedoch Sachverhalte gründlich überprüft und geklärt sind, sollten Medien keine Vorverurteilungskampagnen betreiben. Es ist uns bekannt, dass es sich bei der umstrittenen Organisation Time Out um eine Institution handelt, die erstaunliche Erfolge zu verzeichnen hatte bei der Therapie verhaltensauffälliger Jugendlicher, Drogensüchtiger und Schwererziehbarer. Jugendliche, die immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt kamen und dauernd rückfällig geworden sind oder sich wiederholt der Therapie entzogen. Sie wurden dort konsequent und streng (zu hart?) geführt, Massnahmen werden ebenfalls konsequent durchgesetzt. Methoden, die von vielen Soziologen und Jugendarbeitern nicht akzeptiert werden. Die Stadt Zürich machte übrigens bei den Time-out Projekten mit und zahlte monatlich 6000 Franken pro Jugendlichen. Nach der Blickkampagne wurden nun diese Zusammenarbeit (laut der Nachrichtenagentur AP) sofort eingestellt.

Ein paar Insassen, die jüngst aus dem Camp geflohen waren, klagten die Leitung öffentlich an und warfen ihr vor, sie wären gefoltert und in Wildschweinkäfige gesperrt worden. Diese medienträchtige Geschichte wurde vom Blick unverzüglich aufgenommen. Es folgte eine medienträchtige Kampagne. Blick hätte nach diesen Informationen ohne weiteres investigativen Journalismus betreiben können, um tatsächliche Mängel aufzudecken, doch man wählte den Weg der Kampagne. Blick zeigte gegenüber den Aussagen der geflohenen Jugendlichen keinerlei Skepsis, obschon diese schwierigen Zöglinge nicht über alle Zweifel erhaben sind und bekanntlich auf eine recht facettenreiche Vergangenheit zurückblicken.

Für Blick war es eindeutig klar: Der Leiter des Time Out Camps muss 100-prozentig schuldig sein. Zwar ist bis zum heutigen Tag keiner der Leiter angeklagt, dennoch wurde Beat D. im Blick wie ein Verbrecher mit schwarzen Balken vor den Augen abgebildet. Der Name ist wie bei einem Kriminellen nur mit einem Buchstaben geschrieben, obschon er auch im Fernsehprogramm mit vollem Namen erwähnt war. Blick machte damit zumindest optisch aus Beat D. einen Schwerverbrecher -- ohne dass dieser angeklagt ist.

Jugendlichen geht es vor allem um Medienpräsenz

In Deutschland kam es kürzlich zu einem analogen Vorfall. In einer deutschen Schule wurden die Gewalttaten im Schulhof gefilmt und in den Medien gezeigt. Auch nachdem die gewalttätigen Jugendlichen behauptet hatten, sie wären für die Darstellung der Szenen von Journalisten bezahlt und man habe die angeblich originalen Szenen nachgestellt, gab es zuerst auch Journalisten, die den betreffenden Schülern diese Anschuldigung kritiklos abnahmen. Sie wollten den Klägern sogar eine Plattform vor der Kamera anbieten. Die Aussagen der 'Schläger' wurden für bare Münze genommen.

Bei diesem Fall sehen wir eine Parallele zur Blickkampagne. Die Aussagen der Jugendlichen hätten ebenfalls stimmen können, doch wäre es wichtig gewesen, die Anschuldigungen vorerst prüfend zu hinterfragen. Das deutsche Fernsehen verhielt sich -- aus unserer Sicht -- in diesem Fall vorbildlich. Es machte sich nicht zum Anwalt von fragwürdigen Jugendlichen. Es analysierte die Filmsequenzen und liess zuerst die angeschuldigte Journalistin zu Wort kommen. Es war nämlich auch nicht auszuschliessen, dass die gewalttätigen Schüler die Geschichte mit der Bezahlung nur erfunden hatten, um von ihrer Schuld abzulenken. Es zeigte sich später, dass die Aussagen der Jugendlichen mit den Filmsequenzen nicht übereinstimmten. Leider ging es vielen Jugendlichen vor allem um die Medienpräsenz. Es ist bekannt, dass viele Halbwüchsige alles tun, um sich vor Mikrofon und Kamera zu profilieren. Denn wer den Bildschirm erobert, ist in der Gruppe ein Held. (Phänomen 'SuperStar').

Club mit durchdachtem Konzept

Aber zurück zur Blickkampagne: Nachdem Christine Maier im Club des Schweizer Fernsehens den Vermittler der verhaltensauffälligen Jugendlichen eingeladen hatte, warf der Blick der Leiterin des Clubs vor, Kindervermittler Beat D. habe seine Sicht der Dinge im Fernsehen ungestört darlegen können. Blick bezeichnete dies als Skandal. Wer jedoch den Club neutral verfolgte, konnte erstens feststellen, dass Beat Dünki sich im Grunde genommen gegen alle anderen Teilnehmer verteidigen musste. Er wurde gleichsam einem Multiverhör ausgesetzt. Zweitens lautete das Thema des Clubs nicht 'Folter Camp für Jugendliche?', sondern 'Erziehungscamp: Wohin mit Problemkindern?'

Der Club hatte ein klar durchdachtes Konzept. Er ging davon aus, dass die Öffentlichkeit es vor allem interessierte zu erfahren, wie derartige Camps funktionieren, bei denen nicht getürmt werden kann. Weil das Schweizer Fernsehen die Problematik nicht im Stile der Blickkampagne übernahm, sondern die Fragen ganzheitlich aufgriff, rächte sich Blick (vom 13. April 06) mit einer Frontgeschichte und dem Kampagnentitel 'Opfer attackieren Schweizer Fernsehen!'

Bild: Der gross aufgemachte Blick-Beitrag nach dem Club.

Kampagnen-Journalisten wollen keinen Dialog

Der Blick monierte dabei, das Fernsehen hätte auch die Betroffenen einladen müssen. Aus der Sicht des Kampagnenjournalisten müsste ein Beat Dünki am Bildschirm von den Jugendlichen angeklagt werden, wie an einem Verhör. Wir hingegen vertreten die Meinung: Christine Maier hat die Sendung gut vorbereitet und konzipiert. Und sie hat diese heikle Sendung erstaunlich gut moderiert.

Einem Kampagnenjournalisten passt natürlich diese Sendeform des Club nicht, da sie auf einem echtem Dialog basiert. Er möchte einseitig bestätigt haben, dass er recht hat. Die traktandierte Thematik 'Erziehungscamp: Wohin mit den Problemkindern?' ist nicht vereinbar mit seinem Konzept einer Kampagne.

Wir sind heute überzeugt, dass Blick die lancierte Kampagne weitertreiben wird und der Angriff auf das Schweizer Fernsehen noch nicht abgeschlossen sein wird - gemäss dem Grundsatz: 'Wir allein wissen, was richtig ist!' Uns bleibt zu hoffen, dass sich das Schweizer Fernsehen von Kampagnenjournalisten nicht beeinflussen lässt.



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