11.10.2022

LaRegione

«Das institutionelle Modell des Journalismus überwinden»

Die Tessiner Tageszeitung LaRegione wirbt mit einer Kampagne um Leser südlich des Ceneri – mit einem Seitenhieb auf den Hauptkonkurrenten. CEO Rocco Salvioni spricht über Mut und sagt, weshalb seine Zeitung eine bessere journalistische Alternative zum Corriere del Ticino bietet.
LaRegione: «Das institutionelle Modell des Journalismus überwinden»
«Man braucht nicht viel Zeit zur Reflexion, um festzustellen, dass es für LaRegione genau die richtige Kampagne zum richtigen Zeitpunkt ist», sagt LaRegione-CEO Rocco Salvioni. (Bilder: zVg)
von Tim Frei

Die Abokampagne von LaRegione hat im Tessin hohe Wellen geschlagen: Mehrere Medien im Kanton berichteten darüber, darunter tio.ch (20 Minuti) und das Radio Rete (RSI/SRG). Der Corriere del Ticino (CdT) reagierte auf den Seitenhieb von LaRegione – der «wahre Kurier des Tessins» – mit einer Verlagsnotiz auf der Frontseite (siehe Bild unten). Dabei betonten die Macher des CdT unter anderem, dass «trotz der (unerlaubten) Verwendung von grafischen Elementen, die eindeutig auf das Logo des Corriere del Ticino verweisen, weder eine Fusion der beiden Zeitungen bevorsteht, noch dass unsere Gruppe die Absicht hat, LaRegione zu übernehmen».

Herr Salvioni*, mögen Sie sich daran erinnern, wann Sie im Privatleben letztmals Mut beweisen mussten?
Das weiss ich nicht. Angst ist kein Zustand, der mir besonders vertraut ist. Aber ich neige dazu, mich einzumischen, wenn es darum geht, Ungerechtigkeiten zu beenden.

Auch beruflich haben Sie mit der am Montag lancierten Abokampagne 2023 von LaRegione einiges gewagt, präsentiert sich die Tessiner Tageszeitung doch damit als «der wahre Kurier des Tessins». Wie viel Überzeugungsarbeit mussten die Werber von Rod und Farner leisten, die für diese Idee verantwortlich sind?
Diese Idee wurde als letzte von drei Ideen präsentiert. Man hat sofort gespürt, dass es die Lieblingsidee der Agentur ist. Auch wir haben das Kribbeln verspürt. Man braucht aber auch nicht viel Zeit zur Reflexion, um festzustellen, dass es für LaRegione genau die richtige Kampagne zum richtigen Zeitpunkt ist.

«Der wahre Kurier des Tessins» – inwiefern passt dieser Seitenhieb an die Adresse Ihres Hauptkonkurrenten im Kanton, den Corriere del Ticino (auf Deutsch: Kurier des Tessins) zur LaRegione?
Natürlich wollen wir nicht der Corriere del Ticino sein, wir glauben an die Stärken von LaRegione mit hervorragendem Journalismus-Handwerk und Meinungsvielfalt. Dies wollen wir mit dieser Kampagne gerade südlich des Ceneri betonen, wo traditionell der Corriere sehr präsent ist. Hier ist das Potenzial für LaRegione.

Was stimmt Sie optimistisch, dass Sie dieses Potenzial ausgerechnet in der Region Ihres Hauptkonkurrenten ausschöpfen können?
Wir glauben, rein journalistisch der Leserschaft das bessere Angebot zu machen. Einzelne Leserinnen und Leser, die traditionell den Corriere konsumieren, haben uns bescheinigt, interessanter zu sein. Das ist natürlich subjektiv. Objektiv gesehen sagen die Leserzahlen, dass wir nah am Corriere dran sind. Für uns ist nun der Moment gekommen, Präsenz zu markieren.

«Der Ärger beim Corriere del Ticino scheint sich in Grenzen zu halten»

Sollen neben Lugano und Chiasso weitere Lokalredaktionen im Sottoceneri dazukommen?
Schon heute wir haben zwei Redaktionen in Sottoceneri (eine ist in Chiasso für Mendrisiotto) und wir arbeiten fleissig an einer engeren Zusammenarbeit zwischen Chiasso und Lugano.

Vergleichende Werbung ist dann erlaubt, wenn sie sich an Vorgaben des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb hält. Vergleiche dürfen unter anderem nicht unrichtig und nicht irreführend sein. Wird dies mit dem Kampagnenmotto nicht verletzt?
Wir sind überzeugt, den Leserinnen und Lesern die bessere journalistische Alternative zu bieten. Dies kommunizieren wir und positionieren LaRegione klar, wenn auch durchaus mit einem Augenzwinkern.

Alessandro Colombi, CEO der Corriere del Ticino-Gruppe, dürfte nicht erfreut sein. Hat er sich bereits bei Ihnen gemeldet?
Auf der Frontseite des Corriere vom Dienstag hat sich der Verlag bei LaRegione für die Aufmerksamkeit bedankt. Den Dank für den Hinweis auf die Kampagne an diesem prominenten Platz geben wir gerne zurück. Der Ärger scheint sich also in Grenzen zu halten.

Für die Kampagnenidee sind Rod und Farner verantwortlich. Ist es nicht irritierend, wenn eine Tessiner Tageszeitung auf Agenturen aus Zürich setzt?
Das ist nicht neu für uns. Rod hatte mit der Tessiner Agentur Variante schon das Lancierungskonzept von 20 Minuti entwickelt, mit sehr gutem Resultat. Michel Grunder, den Co-CEO von Farner, kenne und schätze ich übrigens seit der Rekrutenschule.

«Das Team von LaRegione produziert meiner Meinung nach die beste Zeitung im Tessin»

Das übergeordnete Ziel von LaRegione ist es, «die publizistisch wichtigste Stimme» im Tessin zu sein – sowie eine Zeitung, in der «auch unangenehme Themen Platz haben». Können Sie ein aktuelles Beispiel für ein solches Thema machen?
Das beste Beispiel, das mir einfällt, ist die Kontroverse, die nach einem Artikel in LaRegione entstand. Wir prangerten den Versuch einer Scheingewerkschaft an, einigen Unternehmen im Mendrisiotto zu helfen, die gesetzlichen Bestimmungen über den im Tessin kürzlich in Kraft getretenen Mindestlohn zu umgehen. Dieser Scheingewerkschaft gehörten zwei prominente Mitglieder der Lega dei Ticinesi an.

In den letzten Jahren habe sich LaRegione unter Chefredaktor Daniel Ritzer «stark gewandelt», wie es in einer Mitteilung heisst. Inwiefern? Und was war der Auslöser dafür?
Unter der Leitung von Daniel Ritzer behielt die Zeitung ihre flächendeckende Berichterstattung über die Region bei und stärkte das Profil über Meinungsvielfalt, Kritik und Konfrontation. Wir haben den Anspruch, ein Bezugspunkt für die öffentliche Debatte zu sein. Wir wollen das zu institutionelle Modell des Journalismus überwinden – sie erlauben mir die Bemerkung, dass der Corriere del Ticino dies unserer Meinung nach heute noch repräsentiert. Hier sehen wir die Chance für LaRegione.

LaRegione hat Anfang Oktober sein 30-jähriges Bestehen gefeiert. Wie sieht die Vision für die nächsten 30 Jahre aus?
30 Jahre sind eine lange Zeit und man kann die Zukunft nicht voraussagen. Das Ziel ist es, ein Verlag mit einer starken Redaktion zu sein, die fähig ist, auf verschiedenen Kanälen das zu vermitteln, was wichtig ist für die Gesellschaft. Was in 30 Jahren auch immer die wichtigen Kanäle sein werden.

Inwiefern hat die Erfahrung mit dieser mutigen Kampagne Ihre Einstellung zum Mut beeinflusst?
Ich weiss nicht, ob diese Kampagne mutig ist. Selbstbewusst ist sie bestimmt. Das Team von LaRegione produziert meiner Meinung nach die beste Zeitung im Tessin. Die Lektüre sollte der ganze Kanton geniessen.


*Rocco Salvioni, 1979 geboren, ist der Sohn von Giacomo Salvioni, dem Gründer von LaRegione. Rocco Salvioni, Vater von drei Kindern, ist seit 2004 in der Medienbranche tätig. 2011 – als 20 Minuti lanciert wurde – bis 2012 war er CEO des Pendants von 20 Minuten im Tessin. Seit 1. Januar 2013 ist er CEO von LaRegione.

Das Interview wurde schriftlich geführt.



Kommentar wird gesendet...

Kommentare

Kommentarfunktion wurde geschlossen

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren:

Zum Seitenanfang20240428