14.12.2020

20 Minuten Now!

Das ist die Antwort auf Blick TV

Vor etwas über einem Monat ist die Beta-Version des neuen Video-Formats von 20 Minuten angelaufen. Ohne grosses Aufsehen antwortet damit das zweitgrösste Nachrichtenportal der Schweiz auf die Konkurrenz. Ein Augenschein vor Ort.
20 Minuten Now!: Das ist die Antwort auf Blick TV
Hier das noch nicht ganz fertiggestellte Studio. Im Hintergrund ist der Newsroom von 20 Minuten zu sehen. Die Alarmlichter oben an den Screens sind nur Dekoration. (Bilder: zVg.)
von Loric Lehmann

Mittlerweile ist die Marke 20 Minuten weit weg von der Pendlerzeitung, die mal gegen Ende des letzten Jahrhunderts gegründet wurde. Die Inhalte kann man lesen, hören und seit einer Weile auch schauen. Innerhalb der Videostrategie, die seit 2019 stetig weiterentwickelt wird, ist ein neuer Meilenstein erreicht. Anfang November wurde das jüngste Produkt lanciert: «20 Minuten Now!» (persoenlich.com berichtete).

Ohne viel Tamtam – ungleich Blick TV, wo Ringier und allen voran Jonas Projer monatelang die Werbetrommel für das Projekt gerührt hatten. So wollte man an der Zürcher Werdstrasse aber wahrscheinlich der Häme entgehen, die bei Blick TV jeder Kinderkrankheit entgegenschlug. Obwohl: Bei «Now!» läuft auch erst die Beta-Version und man kann aktuell nur mittels 20-Minuten-App darauf zu greifen. Auch liegen die Social-Media-Kanäle momentan noch brach.

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«Wir bleiben die, die wir sind. Und versuchen nicht, jemand anderes zu sein», sagt 20-Minuten-Chefredaktor Gaudenz Looser in einem grossen Sitzungszimmer, oben im wegen Homeoffice fast komplett ausgestorbenen Holzbau der TX Group in Zürich. In den folgenden eineinhalb Stunden bekommen ausgewählte Fachmedien einen Einblick in die Strategie von «Now!». Ebenfalls stand Beat Krapf, Leiter Videostrategie & Prozesse, nach der Präsentation und Führung für ein Interview zu Verfügung.

Nau? Now!

Werfen wir einen Blick auf den Namen. Welche Strategie dahinter lag, erschliesst sich nicht ganz. Warum sich nicht klar von einem direkten Konkurrenten abgrenzen? Videostratege Krapf erklärt dies folgendermassen:

«Die Ähnlichkeit zu nau.ch ist uns selbstverständlich bewusst. Das ist aber keine Entscheidung für oder gegen die Konkurrenz, sondern beschreibt schlicht am besten, wie wir uns das Produkt vorstellen: Die Unmittelbarkeit und das Jetzt stehen im Zentrum.»

Schnelligkeit, News und Fokus auf Inhalte

Anders als beim Konkurrenten Blick TV wirft man bei 20 Minuten nicht ganz so stark mit Superlativen um sich. Man habe nie versucht, TV zu machen, sagt Chefredaktor Looser, sondern man wolle Bewegtbild für mobile Konsumenten machen, «dann, wenn auch die Nachfrage dafür besteht». Schnelligkeit, News und Fokus auf Inhalte setzt man dabei ins Zentrum.

Denn als Blick TV damals gross angekündigt und schliesslich lanciert wurde, hat man bei 20 Minuten schnell gemerkt, dass die damalige Videostrategie nicht reichen werde, um dem Konkurrenten ernsthaft entgegenzutreten. Deshalb hat man laufend ein News-Video-Team auf die Beine gestellt, das schnelle Live-News macht, wenn etwas passiert. «Wenn aber nichts passiert, machen wir ganz sicher keine News», so Looser.



Daher ist der Anspruch, wenn ein Flugzeug abstürzt oder der Bahnhof brennt, als erster vor Ort zu sein und Bewegtbild zu liefern. Da dies aber ja glücklicherweise nicht ständig passiert, machen die Reporter und Reporterinnen News-Begleitung. Aber einfach mehr konventionelle Videoinhalte zu produzieren, ist nicht der richtige Ansatz, wie der 20-Minuten-Chefredaktor weiter sagt.

Der User von 20 Minuten sei gewohnt, einen schnellen Überblick zu bekommen. Bei Video sei der Frust aber vorprogrammiert, wenn man auf einen Play-Button klicke, ein Rädchen komme, man warte und schliesslich zuerst Werbung abgespielt werde. «Es gibt nichts Schlimmeres als verlorene Lebenszeit des Konsumenten», weiss Looser. Dies solle bei «Now!» nicht vorkommen.

Im Gegensatz zu Blick TV setzt man den Fokus auf die Inhalte und weniger auf die Moderation. Diese wird generell lediglich punktuell eingesetzt. Nur während höchstens einer halben Stunde nach Vermelden einer Breaking News werde man dies anwenden. Bis man eben jemanden vor Ort habe, so Looser. Bei der Ausstattung der Reporter und Reporterinnen gibt man sich bodenständig: «Bei uns wird es keine schönen Anzüge oder Deux-Pièces geben.» Ein weiterer Seitenhieb von Looser an die Dufourstrasse.

Totale Selbstbestimmung

Zentral beim neuen Produkt ist die weitgehende Kontrolle des Users. Wie bei TikTok soll man jederzeit Videos weiterswipen können. Auch soll man nicht von Bild oder Ton abhängig sein: 20 Minuten hat sich das hohe Ziel gesetzt, dass man die Inhalte mit oder ohne Ton und sogar ohne Bild konsumieren kann, ohne dass dies dem Storytelling abträglich sein soll. Dabei soll auch das Know-how von 20 Minuten Radio einfliessen, das kürzlich das erste Jubiläum feierte.

Um Videos ohne Ton zu konsumieren, kommt eine besondere Schrift in den Videos zum Zug: «Active Typo» nennt sich dies bei 20 Minuten. Darauf ist man besonders stolz. Beat Krapf sagt dazu: «Wir haben sehr viel Wert auf die Typografie gelegt. Mittels Schriftgestaltung versuchen wir aktiv die Geschichte zu unterstützen: Untertitel sehen beispielsweise anders aus als Off-Texte. Deswegen gibt es verschiedene Betonungen, Grössen und Ähnliches.»

Der User im Zentrum – nicht der Werbemarkt

Die bereits erwähnte Selbstbestimmung durch den User hört bei den redaktionellen Inhalten aber nicht auf. Auch Anzeigen können einfach geskippt werden. Dies sorge auf Nutzerseite natürlich für grosse Freude, meint Looser dazu. Der Trick dabei: Die Nutzerinnen müssen zuerst herausfinden, dass man dies kann. Längerfristig steckt man sich aber hier grosse Ziele. Dabei setzt man auf Native Advertising.

Denn bei so einem Produkt könne man nicht beliebig Pre-Rolls platzieren. Das würde die User Experience zerstören, sagt Krapf im Gespräch. Denn für klassische Werbeintegrationen, bei denen der Klick auf einen Skip-Button bereits gelernt ist, biete sich «Now!» nicht an. «Deswegen bevorzugen wir Native Ads, die durch das Commercial Publishing erstellt werden. Wir möchten den Werbekunden bewusst zeigen, wie Werbung konzipiert sein muss, damit sie innerhalb von ‹Now!› funktioniert.»

Die Werbeintegration sei aber sicher noch nicht ganz fertig entwickelt. Man wolle aber in diesem Falle auch bewusst den User ins Zentrum stellen – und nicht den Werbemarkt. «Unser Ziel ist es, so attraktive Werbung zu zeigen, dass sie gerne geschaut wird», so Krapf.

Kein TV-Studio

«Beim Studio haben wir uns nicht ganz am gleichen Ort inspirieren lassen wie der Blick», erzählte Looser während der Führung durch den umgebauten Newsroom verschmitzt. Gleichzeitig sei es aber so, dass einem ohne Studio niemand glaubt, Bewegtbild zu machen. Daher kam der Gedanke, eine Infrastruktur zu schaffen, aber bescheiden zu bleiben. Es sollte kein TV-Studio werden. Man solle auch sehen, dass man immer noch auf einer Redaktion sei.

Und dies sieht man auch. Das Studio ist klein, aber doch drängt es sich etwas auf, wenn man im Newsroom steht. Als Mitarbeitender die Videostrategie zu verdrängen, wird schwer. Der weitläufige Raum unter den Holzbalken von Architeckt Shigeru Ban wirkt auch etwas beklemmend, da die eh schon eng platzierten Pulte der Redaktoren und Redaktorinnen nun auch noch vom abgetrennten Studio zusammengerückt werden. Darauf angesprochen, sagt Looser, dass «der Ausbau der Video-Unit in Planung» sei. Das Studio selbst scheint aber den Ambitionen von 20 Minuten aktuell zu genügen. Nach den Sternen greifen sieht anders aus.



Mehr über das Team hinter «Now!» lesen Sie hier.



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