05.03.2023

#MediaToo

Das sagt Finn Canonica zu den Vorwürfen

Zum ersten Mal hat der ehemalige Magazin-Chefredaktor in einem Interview Stellung zu den Vorwürfen genommen. In einem über einstündigen Gespräch sprach er mit Radio-1-Chef Roger Schawinski über seine Familie, die Anschuldigungen und seine Reputation.
#MediaToo: Das sagt Finn Canonica zu den Vorwürfen
Der ehemalige Magazin-Chefredaktor Finn Canonica (links) äusserte sich im Gespräch mit Roger Schawinski in der Radio-1-Sendung «Doppelpunkt» über die Vorwürfe von Anuschka Roshani. (Bild: Radio 1)
von Christian Beck

Einen Monat nach den Vorwürfen der Journalistin Anuschka Roshani im deutschen Magazin Spiegel hat der frühere Magazin-Chefredaktor Finn Canonica erstmals – und voraussichtlich auch einmalig – ein Interview gegeben. Auf die Einstiegsfrage von Roger Schawinski in der Radio-1-Sendung «Doppelpunkt» vom Sonntag, wie er sich fühle, antwortete Canonica: «Ich fühle mich nicht gut, es ist eine sehr, sehr schwierige Zeit – und bleibt eine schwierige Zeit.» Als der Text erschienen sei, sei für ihn die Welt zusammengebrochen. «Es herrschte eine Katastrophenstimmung innerhalb der Familie.» Er sei in eine Depression gestürzt, habe den Boden unter den Füssen verloren und habe Medikamente nehmen müssen. «Ich musste zwischenzeitlich in eine Klinik gehen», so Canonica gefasst.

Erst nach ein paar Minuten stellte Schawinski seine sonst übliche Einstiegsfrage:

Finn, wer bist du?
Ach, schwierig (lacht). In erster Linie bin ich ein alter Mann – mittlerweile fühle ich mich wie ein alter Mann. Ich bin ein Mensch, der vielseitig interessiert ist. Dies trieb mich auch in den Journalismus.

In einem Brief an Freunde hattest du darauf hingewiesen, dass du aus einer speziellen Familie kommst.
Ja, ich komme aus einer speziellen Familie. Ich wuchs unter eher härteren, prekäreren Bedingungen in Zürich-Oerlikon auf. Meine Mutter ist französische Jüdin und überlebte den Krieg. Sie wurde bei einer Familie versteckt.


Der heute 57-jährige Canonica schilderte, dass seine Mutter nie gerne über ihre Vergangenheit gesprochen und er erst spät von ihren jüdischen Wurzeln erfahren habe. Seine Mutter sei lange in schlechter Verfassung gewesen, sie habe Medikamente genommen und Alkohol konsumiert. Er habe sich dadurch um sich selbst kümmern müssen. Sie lebe noch, sei aber gesundheitlich angeschlagen.

Sprechen wir über deinen Vater …
Ich will nicht über meinen Vater sprechen.

Kein Kontakt mehr mit ihm?
Nein, im Wesentlichen nicht.


Schawinski zitierte schliesslich aus einem NZZ-Artikel: «Der Machtrausch des Chefs hat Folgen.» Das Wort «Machtrausch» sei ihm total fremd, sagte Finn Canonica. Er schilderte, was 2014 geschah. Laut SRF-«Medientalk» hätten sich damals fünf Journalistinnen und Journalisten gegen Canonicas Verhalten zur Wehr gesetzt (persoenlich.com berichtete). «Es kam innerhalb der Redaktion zu Spannungen, zu Reibungsflächen zwischen mir und einigen Redaktoren», so Canonica zu Schawinski. Der Hauptgrund seien extreme Sparmassnahmen gewesen. Er sei von seinem damaligen Chef aufgefordert worden, das Redaktionsbudget von 3,2 auf 2 Millionen Franken zu reduzieren.

Schawinski zitierte aus einem Untersuchungsbericht der Anwaltskanzlei Rudin Cantieni, wonach Canonica dafür kritisiert worden sei, sich oft «eher grob» und ein «bisschen krass» zu äussern, «wobei sich dies dennoch im Rahmen einer grundsätzlichen Freundlichkeit und Zugewandtheit zu bewegen scheint».

Das ist ein Gegensatz: Einerseits «zugewandt», andererseits «krass» und «grob» …
Du weisst mehr als ich, weil du mehr aus dem Bericht gelesen hast als ich. Ich glaube aber schon, dass ich sicher zu damaligen Zeiten relativ hart kommunizierte. Ich stand stark unter Druck.


Schliesslich lenkte Schawinski das Gespräch auf Anuschka Roshani. Sie startete 2002 beim Magazin, Canonica ein halbes Jahr zuvor 2001. Sie hätten von Beginn weg ein gutes Verhältnis gehabt. Als Canonica 2007 zum Chefredaktor ernennt worden sei, habe er Roshani gefragt, ob sie seine Stellvertreterin werden wolle. Roshani, damals hochschwanger, habe aber abgelehnt.

Schawinski erwähnte die Recherche des Magazins Schweizer Journalist:in und spielte ein Interview mit Chefredaktor Marcus Hebein ein. Hebein sprach mit mehreren Mitgliedern der aktuellen Redaktion oder solchen, die das Magazin erst vor Kurzem verliessen. Einige hätten von einer sehr guten Atmosphäre gesprochen, von Mobbing hätten sie nichts mitbekommen. Dann wandte sich Schawinski wieder Canonica zu.

Es gibt im Untersuchungsbericht einen Hauptvorwurf gegen dich: Hakenkreuze. Du hattest dies als Joke hingestellt. Das geht natürlich gar nicht. Was hast du dir dabei überlegt? Das ging über Jahre so.
Über Jahre ist stark übertrieben (lacht).

Doch, weil das im Spiegel gezeigte Beispiel stammt von 2019 – und das Manuskript war nicht von Anuschka Roshani, sondern von einer anderen deutschen Journalistin, die bei dir arbeitete.
Ich fasste dies tatsächlich als Joke auf. Im Nachhinein tut es mir wahnsinnig leid. Es war eine extreme Dummheit.


Roger Schawinski erwähnte, dass Roshani behauptet habe, Canonica habe touretteartig das Wort «ficken» benützt. Der Untersuchungsbericht habe aber ergeben: «Dem tatsächlich verwendeten ‹Fuck› und ‹Bullshit› sprechen die Untersuchungspersonen eine sexuelle Komponente ab.» Canonica antwortete: «Das rhetorische Potenzial einer guten Schreiberin wie Anuschka Roshani konnte sich hier gut entfalten. Ich meine das nicht ironisch.»

Nach rund einer Stunde – normalerweise würde der «Doppelpunkt» hier enden – kam Moderator Schawinski auf eine angebliche Frauenbrust zu sprechen, die auf dem Pult von Canonica gewesen sein soll. In der Tat handelte es sich um ein Brustimplantat, das nicht als Brust erkennbar war. «Dieser Vorwurf klingt wie aus einem schlecht geschriebenen Kioskroman», so Canonica.

Wie geht es nun weiter? Deine Reputation als Journalist, vielleicht auch als Mensch, ist zerstört. Lässt sich das korrigieren?
Im Moment habe ich nicht das Gefühl. Ich mag mich auch nicht als Opfer bezeichnen. Ich bin geschädigt von einer massiven Welle negativer Berichterstattung über meine Person. Ob sich das je wieder korrigieren lässt, weiss ich nicht. Es gibt Momente der totalen Verzweiflung, das sind die schlimmsten Momente.


Canonica erwähnte abschliessend, dass nun juristische Schritte geprüft würden. Im Vordergrund stehe aber seine Familie. Schawinski sagte, er hoffe, dass Tamedia gegen den Spiegel klage, «im Sinne einer Fürsorgepflicht». Tamedia prüft derzeit rechtliche Schritte.



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