09.11.2022

SRF

«Der Betrieb wird stark automatisiert»

Am Freitag sendet «10 vor 10» zum letzten Mal aus dem alten Studio, am Sonntag ist Dernière der «Tagesschau»-Hauptausgabe. Die Sendungen wechseln ab Montag in die neue Studiofläche. Gesamtprojektleiter Remo Vogt über ein komplexes Projekt, das nun einen Meilenstein erreicht.
SRF: «Der Betrieb wird stark automatisiert»
Die neue Studiofläche wird am Montag in Betrieb genommen und bietet Platz für diverse Sendungen. Für die Umsetzung verantwortlich ist Remo Vogt, Gesamtprojektleiter News- und Sportcenter SRF. (Bilder: SRF/Oscar Alessio, Keystone/Michael Buholzer)
von Christian Beck

Herr Vogt, am Montag werden die Hauptausgabe der «Tagesschau» und «10 vor 10» zum ersten Mal von der neuen Studiofläche ausgestrahlt. Wie nervös sind Sie?
Selbstverständlich bin ich nervös. Es war eine riesige Teamarbeit. Alle haben einen guten Job gemacht und sind deshalb auch überzeugt, dass es gut kommt. Die Nervosität dürfte bei der Crew, die hier am Montag im Studio stehen wird, aber noch ein bisschen grösser sein. Trotz allem wird es am Montag kribbeln – aber auf eine positive Art und Weise. Wir freuen uns, gepaart mit einer Prise Respekt.

Was, wenn es nicht klappt? Haben Sie einen Plan B?
Es wird klappen (lacht). Dieses Gebäude ist aber mit entsprechenden Havarie-Szenarien ausgestattet. Es könnte ja am Tag 1 zu einer Panne kommen, aber auch am Tag 2 oder am Tag 57 – und in jedem Fall müssen wir wissen, wie wir reagieren müssen. Wir haben andere Studios und Regien, in die wir ausweichen können. Es gibt sogar Szenarien, wenn das ganze News- und Sportcenter nicht funktionieren würde. Egal, an welchem Tag eine Panne passiert, wir müssen immer bereit sein.

Der Newsroom im News- und Sportcenter (NSC) wurde im November 2019 bezogen, die erste Sendung kam mit «Schweiz aktuell» allerdings erst zwei Jahre später (persoenlich.com berichtete). Nochmals zur Erinnerung: Was war das Hauptproblem für diese Verzögerung?
Zu Beginn waren wir mit einer klassischen Projektmethodik unterwegs, bei der man alles aufs Mal umsetzen wollte. Wir stellten aber 2019 fest, dass das Projekt aus verschiedenen Gründen einzigartig und komplex ist – und dies in einer stark vernetzten, digitalen Welt, in der es zu viele Abhängigkeiten gab. Deshalb entschieden wir uns, fortan Teil für Teil des Gesamtsystems umzusetzen. Dies bot für uns viele Vorteile: Mit jedem Produkt, das live ging, entstand ein Mehrwert und wir konnten Erfahrungen sammeln.

«Wir haben kaum noch technische Baustellen»

Sie erwähnten es: Das Grossprojekt musste in kleinere Pakete aufgeteilt werden. Rückblickend: Wer hat versagt?
Ursprünglich wurde das Projekt so eingeschätzt, dass alle Anlagen und alle Sendungen aufs Mal live gehen können. Im Verlauf des Projekts mussten wir aber feststellen, dass das in einer so vernetzten Welt nicht mehr möglich ist. Es ist ja auch kein Zufall, dass in der digitalen Welt Projekte prinzipiell agil umgesetzt werden. Im März 2020 wurde das Vorgehen umgestellt – und seither kann das Projekt erfolgreich Produkt um Produkt umgesetzt werden. Wir haben kaum noch technische Baustellen, sondern es ist nur noch eine Frage der personellen Ressourcen und der Priorisierung.

70 Millionen Franken kostete der Bau. Es entstanden Mehrkosten durch die Verzögerungen. Können diese beziffert werden?
Es gibt keinen Cash-out, wir haben also nicht mehr Geld nach aussen ausgeben müssen. Natürlich arbeiten aber Leute länger als erwartet an diesem Projekt. Daher werden unsere Eigenleistungen länger benötigt als geplant, während andere Projekte zurückgestellt werden müssen. Im Technikprojekt arbeiten aktuell 14 Vollzeitstellen an der weiteren Umsetzung.

Am Montag um 19.30 Uhr wird also die Studiofläche eingeweiht. Welche Abläufe werden dadurch einfacher?
Ab Montag werden wir in einer ganz neuen Landschaft produzieren. Wir haben ein Studio, das mit den Robotikkameras stark automatisiert ist. Alle Abläufe sind vorprogrammiert und können automatisch abgespielt werden. Wir werden im Look eine starke Veränderung haben – die Sendungen werden newsiger daherkommen. Zudem wird es neue Medienelemente geben. In der Regie wird nach wie vor Personal benötigt – verglichen mit anderen Rundfunkanstalten jedoch deutlich weniger. Der Betrieb wird also stark automatisiert mit sehr wenig Personal.

«10 vor 10» kommt aus der gleichen Studiofläche. Welches sind die Vorteile?
Wir wollten die Studioflächen konsolidieren. Vieles wird einheitlicher sein. Zudem können die Sendungen bei grossen Themen von Synergien profitieren. Und trotzdem werden sich die Sendungen unterscheiden, weil die Positionen von Moderation und Kameraeinstellungen unterschiedlich sein werden. Zudem werden die «Tagesschau» und «10 vor 10» wie gehabt eigene Sendeprofile haben.

Und wie profitieren die Zuschauerinnen und Zuschauer?
Von der Nähe und der Authentizität. Das Publikum wird näher am Geschehen, näher an der Moderatorin oder dem Moderator dran sein – aber auch näher an den Inhalten dank dem grossen Medienelement im Hintergrund. Der Fokus wird noch stärker auf die Inhalte der Sendungen gelegt – und das wird sichtbar sein.

Werden die Zuschauerinnen und Zuschauer am Montag ihre Sendungen noch erkennen?
Ja, weil sich unsere Sendungen eben über Inhalte definieren. Unser Journalismus ist hochstehend und unabhängig von einem Studiodekor.

TeleZüri sendet ein paar hundert Meter nebenan aus einem topmodernen virtuellen Studio. Weshalb hat SRF kein virtuelles Studio?
Beides hat Vor- und Nachteile. Auch bei uns gab und gibt es Diskussionen um virtuelle Studios. Bei der Entwicklung der Studioflächen haben wir darauf geachtet, Authentizität und Nähe zu schaffen. Auf Formenvielfalt und überladene Gestaltungselemente haben wir verzichtet, um den Fokus auf den Inhalt der Sendungen zu legen. Aufgrund der genannten Punkte und dem Wunsch nach Nachvollziehbarkeit des Settings haben wir bewusst auf virtuelle Studios verzichtet.

«Es ist ein Gewinn für unsere Zukunft»

Blicken Sie nicht etwas neidisch zum Nachbarn CH Media, wo alles reibungslos in Betrieb genommen wurde?
Es hat immer Vorteile, wenn man auf einer grünen Wiese starten kann. Wir hatten bei uns ein grosses Projekt, das nicht nur ein Fernsehstudio ist. Das News- und Sportcenter ist ein technisches Gebäude mit sehr vielen Teams, die hier einzogen. Die Studios sind zwar ein wichtiger Teil, aber sie sind eben nur ein Teil. Von daher bin ich nicht neidisch, sondern habe Freude und bin stolz auf das, was wir hier geschaffen haben. Es ist ein Gewinn für unsere Zukunft.

Was passiert nun mit dem alten Studio von «Tagesschau» und «10 vor 10»?
Wir sind in Sachen Immobilienflächen stark in Bewegung. Wir arbeiten an einer Konsolidierung der Immobilienflächen auf dem Campus Leutschenbach. Eben erst gaben wir das Radiostudio Brunnenhof ab und zogen in die Radio Hall ein. Bisherige Studioflächen werden umgenutzt. In ihnen werden beispielsweise Jugendangebote oder Angebote in Gebärdensprache produziert.

Für Sie persönlich «endet» nun ein riesiges Projekt. Was werden Sie am Montagabend nach «10 vor 10» als Erstes machen?
Ich werde sicherlich ein Bier öffnen – oder mir ein Glas Champagner genehmigen (lacht). Wir vom Projektteam werden hier sein, und wir sind überzeugt, dass es klappen wird. Es wird schön sein, wenn man den Kolleginnen und Kollegen, die viel zum Gelingen beigetragen haben, Danke sagen, die Hand schütteln und zusammen etwas trinken kann.

Und doch geht das Projekt auch danach weiter. Was kommt nach der «Tagesschau»-Hauptausgabe und «10 vor 10» noch in diese Studiofläche?
Als nächstes wird «Gesichter und Geschichten» in der Studiolandschaft im Erdgeschoss einziehen. Weiter folgen Sendungen wie «Eco Talk», «Wort zum Sonntag», Sondersendungen und Sportformate. Der Fahrplan ist weiterhin aktiv und das Projekt läuft noch ein Stück weiter. Aber sicher werden wir am Montag einen grossen Meilenstein erreicht haben.



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Kommentare

  • Heinz Megert, 15.11.2022 13:51 Uhr
    Beschämend, dass es weniger Menschen braucht und dafür auf die Computergötter gesetzt wird! Das Resultat ist auch dementsprechend steril, kalt und künstlich hergestellt. Die versprochene Nähe wirkt eher bedrohlich, sowohl für den Zuschauer wir für den zwischen seinem Regiepult und dem überdimensionalen Screen eingeklemmten Moderator. Atmosphäre entsteht nicht durch den Gebrauch technischer Krücken, sondern durch sicht- und spürbare Menschen mit einer positiven Ausstrahlung, die aber nur in einer positiven Umgebung entstehen kann. Schade für die 70 Millionen, die in den Sand gesetzt bzw. dem Technikwahn einiger weniger geopfert wurden. Man hätte das Geld sinnvoller einsetzen können. Zum Glück gibt es noch andere Sender die Nachrichten in guter Qualität und ansprechenderer Umgebung produzieren. Ich wünsche ihnen einen möglichst unfallfreien Abstieg vom Computerpferd und gute Genesung vom Computerwahn. Mit freundlichen Grüssen H. Megert P.S. Meine Grossmutter hat mir mal einen Leitsatz mitgegeben, der da lautet: "Denk daran, auch der am schönsten bemalte Bauerschrank ist innen nur hohl". Sie liefern ein gutes Beispiel dafür.
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