19.07.2004

"Die deutschen Spitzenpolitiker kennen den Stellenwert eines quotenstarken Senders"

Roger Schawinski (Bild) ist wieder in seinem Element. Seit vergangenem Jahr leitet der einstige Schweizer Medienpionier den deutschen Privatsender Sat.1. Wo Schawinski ist, kommen auch die Schlagzeilen: der überraschende Abgang von Fernsehikone Harald Schmidt und die Einführung von "Anke Light Night" setzten den 59-Jährigen einem publizistischen Sperrfeuer aus. Im neusten "persönlich rot" äussert er sich über Anke Engelke, Haim Saban und Moritz Leuenberger, seine späten Erfahrungen als Angestellter und sein schwieriges Verhältnis zu den Schweizer Medien. "persoenlich.com" bringt einen Ausschnitt:
"Die deutschen Spitzenpolitiker kennen den Stellenwert eines quotenstarken Senders"

Roger Schawinski, Sie sind innerhalb eines halben Jahres zum bekanntesten Senderchef Deutschlands geworden und von Gala bis Spiegel dauerpräsent. Wie schafft man das?

Das ist krass übertrieben. Durch die Geschichte mit Harald Schmidt wurde ich unerwartet ins Scheinwerferlicht gestossen. Weil ich nicht ausschliesslich Standardinterviews gebe, sondern jedes Mal versuche, etwas persönliches von mir zu geben und manchmal auch eine dicke Lippe riskiere, komme ich bei den Journalisten nicht so schlecht an.

Durch den Abgang von Harald Schmidt und der Einführung von "Anke Late Night" verspürten Sie starken Gegenwind. Ist dieser mit anderen Extremsituationen wie bei der Gründung von Radio 24 oder der Verkaufsphase vonTele24 vergleichbar?

Überhaupt nicht. Bei den erwähnten Beispielen handelte es sich um existentielle Situationen, die mein wirtschaftliches Überleben betrafen. Dies ist in Deutschland nicht mehr der Fall. Trotzdem hat mir meine Krisenerfahrung bei der jetzigen Tätigkeit geholfen. Ich glaube nicht, dass jeder gleich besonnen reagiert hätte, wenn ihm Harald Schmidt, die Ikone des deutschen Fernsehens, am ersten Arbeitstag den Bettel hingeschmissen hätte.

Gegenüber der Fernsehzeitschrift TR7 bemängelten Sie, dass die Schweizer Medien über Ihre Tätigkeit in Deutschland nur falsches berichteten. Weswegen glauben Sie, werden Sie von den Schweizer Medien so hart angefasst?

Ich glaube schon, dass der Neid, der in der Schweiz vorherrscht, evident ist.

Beispielsweise?

Nehmen Sie nur die Berichterstattung des Blicks. Bei der Beurteilung von "Anke Late Night" wurden ausgerechnet Peter Schellenberg und Dieter Moor als Kritiker beigezogen, die den totalen Late-Night-Flop des Schweizer Fernsehens verschulden. Alle anderen haben abgesagt. Bei diesem Artikel handelt es sich nicht um Journalismus, sondern um ein übles Pamphlet. Ich glaube sogar, dass Ringier mit dieser Kampagne verhindern will, dass kein anderer Schweizer - mit Ausnahme ihres Chefpublizisten - in Berlin für Furore sorgen kann. Das Ganze erinnert mich entfernt an die Borer-Affaire.

Woher kommt diese Haltung? Missgönnt man Ihnen Ihr Comeback in Deutschland?

Ich glaube, dass dieser Karriereschritt vielen Berufskollegen Mühe bereitet hat. Ich habe auch kein Comeback gehabt, sondern eine grössere berufliche Ebene gewählt. Aus mangelndem Selbstbewusstsein wollen sich die Schweizer immer kleiner machen als sie sind. Dies entspricht leider unserer Mentalität und ist eine der Hauptkrankheiten dieses Landes. Trotzdem bereitet es mir jedes Mal Freude, wenn man mir auf dem Zürcher Flughafen "viel Glück in Dütschland" wünscht.

Dank Ihrer Funktion treffen Sie sich mit deutschen Spitzenpolitikern wie Bundeskanzler Schröder oder den bayrischen Ministerpräsidenten Stoiber. Haben diese ein anderes Verhältnis zum Privatfernsehen als Schweizer Politiker?

Eindeutig. Obwohl die grossen Politsendungen -- nicht zuletzt um deren Gebührenmonopol zu legitimieren --, immer noch in den öffentlich-rechtlichen Sendern stattfinden, kennen die Spitzenpolitiker den Stellenwert eines quotenstarken Senders wie Sat.1 ganz genau. Für mich auch eine neue Erfahrung. Hat sich je ein Bundesrat für Tele 24 und seine Arbeitsplätze engagiert? Bei der Zürcher Regierung hatte ich auch nie den Eindruck, dass sie sich für unsere Sender mit ihren insgesamt weit über 100 Arbeitsplätzen eingesetzt hätte. In Deutschland ist dies komplett anders: Die Politiker kämpfen um den Standort der privaten Stationen und selbst umd zwei, drei Arbeitsplätze.


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