15.06.2017

Schweizer Presserat

«Die Institution stösst an ihre finanziellen Grenzen»

Immer mehr und immer komplexer: Allein in diesem Jahr muss der Schweizer Presserat bereits über 50 Beschwerden behandeln – das kostet. Im Interview mit persoenlich.com fordert Stiftungsratspräsident Markus Spillmann, dass die Finanzierung auf eine breitere Basis gestellt wird. Sonst sei die Existenz gefährdet.
Schweizer Presserat: «Die Institution stösst an ihre finanziellen Grenzen»
Der frühere NZZ-Chefredaktor Markus Spillmann ist seit Dezember 2016 Stiftungsratspräsident des Schweizer Presserats. (Bild: Keystone)
von Marion Loher

Herr Spillmann, wie lange wird es den Schweizer Presserat noch geben?
Der Stiftungsrat und ich setzen uns dafür ein, dass sich diese Frage gar nie stellt. Der Presserat muss ein integraler Bestandteil eines gut funktionierenden Mediensystems sein. Solange es publizistische Medien gibt, sollte es auch eine Form der medienethischen Selbstregulierung geben.

In einem Gastkommentar in der NZZ schreiben Sie, «die Existenz des Presserats ist als Folge ungenügender Finanzierung gefährdet».
Angesichts der zunehmenden Komplexität der Beschwerden und der Tatsache des digitalen Wandels stösst die Institution an ihre Grenzen. Allein dieses Jahr sind schon über 50 Beschwerden eingereicht worden. Das führt zu höheren Kosten, die wir inzwischen auch aus dem Angesparten finanzieren. Das ist endlich.

Im vergangenen Jahr sorgte der Verband Schweizer Medien für Schlagzeilen, als er seine Zahlungen an die Stiftung einstellte, dann aber doch wieder aufnahm (persoenlich.com berichtete). Wie finanziert sich der Presserat?
Zuerst durch die Träger der Stiftung, also durch Arbeitnehmerorganisationen und Gewerkschaften sowie den Verband Schweizer Medien, die SRG und – ohne Einsitz in der Stiftung zu nehmen – Ringier Axel Springer Schweiz. Die öffentliche Hand unterstützt auf Projektebene die Arbeit des Presserates.

Wie realistisch ist dieses Finanzierungsmodell in Zukunft, wo doch das Geld in der Medienbranche immer knapper wird?
Es ist zu fragil und nicht ausreichend angesichts der Erwartungen, die der Presserat als Garant für journalistische Qualität in diesem Land erfüllen sollte.

Was muss sich ändern, damit die Existenz des Presserats langfristig gesichert ist?
Die Finanzierung muss auf eine solidere und breitere Basis gestellt werden. Das fordert in erster Linie die Branche, realistischerweise vor allem die Arbeitgeber. Aber es braucht auch zusätzliche Beiträge, etwa aus der Wirtschaft, von Stiftungen und möglicherweise auch von der öffentlichen Hand.

Gibt es diesbezüglich konkrete Pläne?
Dazu kann und möchte ich noch keine näheren Angaben machen.

Weshalb braucht es den Schweizer Presserat?
Die Arbeit des Presserates als unabhängige Beschwerdeinstanz für medienethische Fragen ist unbestritten. Weniger bewusst scheint einer breiteren Öffentlichkeit aber zu sein, dass seine Existenz nicht einfach nur der Glaubwürdigkeit einer Branche dient, sondern uns allen als Gesellschaft und der Schweiz als direktdemokratisch verfassten Rechtsstaat.

Was heisst das?
Im Zeitalter von Fake News, Filterblasen und Meinungsmanipulation kommt einer unabhängigen medienethischen Instanz eine kardinale Bedeutung zu. Entsprechend müssen die Branche und darüber hinaus auch die Bürger, die Wirtschaft und die Politik Interesse daran haben, dass ein solches Gremium professionell und schnell Beschwerden auf Verletzung des Journalistenkodex prüfen und beurteilen kann. Das kostet etwas, ist aber um Faktoren günstiger als der Gang zum Richter.

Was zeichnet den Presserat aus?
Er ist kein Gericht, sondern ein Gremium, in dem Fachleute, Publikumsvertreter und Journalisten unabhängig von einzelnen Akteuren im Markt darüber urteilen, ob auf der Basis des Journalistenkodex medienethische Grundsätze verletzt werden. Er beurteilt Fragen zur Medienpraxis und Medienethik und rügt gegebenenfalls Verletzungen, er verteidigt die Informationsfreiheit, nimmt Stellung zu Fragen der Berufspraxis in der Medienbranche, bildet Journalisten in medienethischen und -rechtlichen Fragen aus und berät Dritte in Fragen der Medienethik und des Medienrechts.

Wie viele Beschwerden werden jährlich behandelt?
Das variiert naturgemäss; es können einmal 70 bis 100 sein, dann wieder weniger. Wichtiger als die Zahl ist die Komplexität der Fälle. Und diese nimmt klar zu.

Arbeitet der Presserat ehrenamtlich?
Der Stiftungsrat und ich arbeiten bis auf die Rückerstattung der Bahnspesen ehrenamtlich, das Präsidium und die Mitglieder der Kammer erhalten ein bescheidenes Aufwand- und Sitzungshonorar. Einzig die Geschäftsstelle ist mit 140 Stellenprozent dotiert.

Sie sind seit einem halben Jahr Präsident des Stiftungsrats (persoenlich.com berichtete). Wie sind Ihre Eindrücke bislang?
Ich erlebe Seriosität und grosses Engagement – da sind Leute am Werk, die sich mit viel Energie für den Journalismus und die Medienqualität in diesem Land einsetzen. Es geht nun darum, mit diesen Kompetenzen die Herausforderungen des Medienwandels und der Informationsgesellschaft zu meistern. Wir müssen angesichts der Digitalisierung nicht nur mehr leisten, sondern auch sichtbarer und noch schneller werden. Dazu braucht es eine vernünftige Ressourcenausstattung.

Das Interview wurde schriftlich geführt.



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