29.01.2021

Keystone-SDA

«Die Textdienste sind immer noch defizitär»

Die Schweizer Nachrichtenagentur Keystone-SDA ist in der Krise. Wie lange reichen die zusätzlichen vier Millionen Franken vom Bund? Jann Jenatsch, stellvertretender Geschäftsführer, über den Ernst der Lage und Nachrichten-Diebstahl bei Bluewin.ch.
Keystone-SDA: «Die Textdienste sind immer noch defizitär»
«Falls nötig erfolgen Abmahnungen, oder die Nutzungsverstösse werden in Rechnung gestellt», sagt Jann Jenatsch. Er ist Stv. Geschäftsführer und publizistischer Leiter von Keystone-SDA. (Bild: Keystone-SDA: Alessandro della Valle)
von Edith Hollenstein

Herr Jenatsch, wann denken Sie, wird die Keystone-SDA in die SRG integriert?
Das wäre wohl kaum eine mehrheitsfähige Lösung ...

Das ist also kein Szenario, das Sie für eine längere Frist in Betracht ziehen?
Keystone-SDA hat lange Zeit Geld verdient. Das wird immer schwieriger. Trotz der Unterstützung durch den Bund, werden wir das letzte Jahr mit einem Verlust abschliessen. Die Konsolidierung der Medienlandschaft schreitet voran, es gibt immer weniger Kunden und der Preisdruck nimmt zu. Grosse Verlagshäuser versuchen, eine eigene Grundversorgung aufzubauen. Gleichzeitig nimmt die Bedeutung unseres Angebots für kleinere Verlage zu. Mit der Erhöhung der Förderung ist das Bundesamt für Kommunikation (Bakom) zu einem gewichtigen Partner für die Agentur geworden. Jetzt geht es darum, dass der Verwaltungsrat die verschiedenen Handlungsoptionen für die Zukunft definiert.

Sie haben ja mittlerweile einen Auftrag, der der SRG-Konzession ähnelt: «Die Versorgung der Schweizer Medien mit Dienstleistungen für alle Landesteile und für alle Landessprachen.» Sie werden vom Bakom relativ eng kontrolliert. Und die SRG dürfte auch Ihre grösste Kundin sein.
Die SRG stellt die Existenz der Nachrichtenagentur nicht in Frage, im Gegenteil, sie unterstützt die Nachrichtenagentur voll und ganz. Und ja, sie ist ein wichtiger Kunde. Für viele Medien ist die Konstanz im Sinn von Qualität, der Umfang und die Zuverlässigkeit der Grundversorgung eine Art Existenzgrundlage. Darin liegt eine demokratiepolitische Komponente. Daher ist es unerlässlich, auch in Zukunft auf die Grundversorgung einer nationalen Nachrichtenagentur zurückgreifen zu können, als Quelle für alle.

«Wir hoffen, möglichst viele Kleinstverlage begeistern zu können»

Im Verlegerverband VSM kriselt es derzeit wieder. Die kleineren und mittleren Verlage haben eine eigene Interessengemeinschaft gegründet. Offenbar haben die VSM-Mitglieder auch in Bezug auf Keystone-SDA unterschiedliche Bedürfnisse.
Kleinere Kunden verfügen über wesentlich weniger Ressourcen als grössere. Aus diesem Grund sind sie sehr stark auf die Leistungen der Nachrichtenagentur angewiesen. Doch es ist so: Die Solidarität unter den Medien im Land schwindet. Die grossen Verlage beschäftigen sich damit, wie sie sich selbst versorgen können – und sie tun dies auf keinen Fall miteinander. Das Modell der Agentur, in der Schweiz vor gut 125 Jahren von den Medien gemeinsam aufgebaut, wird teilweise in Frage gestellt.

Sie offerieren jetzt ja auch Kleinverlagen die Zusammenarbeit. Wie sieht das Angebot konkret aus?
Wir stehen mit diesem Angebot erst am Anfang. Unser Ansatz ist die Vielfalt – mit dem Angebot sollen auch eigenständige Kleinstverlage auf ein gutes Informationsangebot zurückgreifen können und darauf ihre regionale Identität aufbauen können. Wir haben Rahmenbedingungen definiert, die es diesen eigenständigen Kleinstverlagen erlaubt, unsere Dienste zu abonnieren. Damit wollen wir die Medienvielfalt in unserem Land stützen, denn unter Vielfalt verstehen wir die Vielfältigkeit von verschiedenen Meinungen, eine Diskussion aus verschiedenen Perspektiven. Vielfalt heisst für uns aber auch, dass in allen Landesteilen ein einigermassen vergleichbares Grundangebot vorhanden ist. 

«Auch Kleinvieh macht Mist», sagt man. Wie viele solcher Kleinstverlage brauchen Sie, damit es sich rechnet?
Wir sind für eine Branchenlösung, am liebsten wären mir alle Verlage. Es ist uns wichtig, nicht nur etwa La Région in Yverdon an Bord zu haben, sondern auch andere lokale Player im Tessin oder in der Ostschweiz. Wir hoffen, dass sich möglichst viele Kleinstverlage für dieses Produkt begeistern können.

«Seit der Fusion vor drei Jahren sind wir daran, unser Unternehmen so stark zu verschlanken wie nur möglich»

Keystone-SDA ist in grossen finanziellen Schwierigkeiten. Wie schwierig ist die Lage? Können Sie möglichst Zahlen nennen?
Die Lage ist ernst. Seit der Fusion vor drei Jahren sind wir daran, unser Unternehmen einerseits so stark zu verschlanken wie nur möglich. Auf der anderen Seite bemühen wir uns, die vertraglichen Leistungen voll und ganz zu erbringen, sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht.



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Fast alle SDA-Inhalte sind bei Blue News (ehemals Bluewin) zu finden. Wie verhindern Sie, dass sich ehemalige Kunden dort bedienen und einfach Copy-Paste machen?
Ziel ist es, unsere Inhalte zu schützen. Wer unsere Inhalte nutzen will, muss dafür bezahlen. Dennoch können wir nur beschränkt verhindern, dass sich Nicht-Kunden unserer Inhalte bedienen. Wir versuchen, die Löcher zu stopfen. Wir überprüfen unsere Filter, wir erneuern die Zugriffe respektive Logins und gleichzeitig sind wir beispielsweise mit der Schweizerischen Mediendatenbank SMD im Gespräch. Im Bildbereich ist es ein bisschen einfacher. Da arbeiten wir mit einem Unternehmen zusammen, das für uns unbezahlte Bildverwendungen aufspürt und sanktioniert.

Wie stark überprüft Keystone-SDA, ob eigene Inhalte von Nicht-Kunden übernommen werden?
Wir überprüfen die Produktion der Nicht-Kunden umfassend und überprüfen sie auf allfällige Nutzungsverstösse. Die gesammelten Informationen werden gebündelt und aufbereitet. Dann suchen wir das Gespräch mit den «fehlbaren» Medien.

Welche Sanktionen drohen?
Die von der Nachrichtenagentur produzierten Inhalte sind nicht gratis, der Aufwand sie zu erstellen ist beträchtlich. Wer geschützte Inhalte nicht bezahlt, fügt dem Urheber einen beträchtlichen Schaden zu und hat dafür Schadenersatz zu leisten. Aber wie gesagt, zuerst wird das Gespräch mit den «Fehlbaren» gesucht. Dann erfolgen Abmahnungen oder die Nutzungsverstösse werden in Rechnung gestellt.

Wie viele Gespräche mit «Fehlbaren» haben Sie führen müssen?
Einige wenige Gespräche haben bereits stattgefunden. Das Problem ist nicht neu. Bisher ist das weniger ins Gewicht gefallen, weil die Mehrheit der Medien unsere Dienste abonniert hatten. 

«Trotz Erweiterung des Portfolios und Erhöhung der Unterstützung sind die Textdienste immer noch defizitär»

Um den Anforderungen für Bundesgelder zu entsprechen, wurde die Keystone-SDA im letzten Jahr umgebaut: PR und Corporate Production fielen weg. Wie weit ist dieser Prozess?
Den PR-Teil haben wir übergeben, daraus ist ein junges Start-up-Unternehmen entstanden. Die ehemaligen Verantwortlichen Karin Lehmann und Sebastian Schneider haben den Bereich übernommen und sind seit Herbst 2020 mit der Agentur «We are Pepper» am Markt und gut gestartet, was uns sehr freut.

Wenn nun die grossen Redaktionen Keystone-SDA nicht mehr nutzen, wird auch die Originaltext-Dienstleistung (ots) weniger attraktiv. Wie lösen Sie dieses Problem?
Der ots-Dienst ist ein Produkt von News Aktuell, einer 100-prozentigen Tochter der Deutschen Presseagentur DPA. Keystone-SDA kümmert sich einzig um den Vertrieb dieser Mitteilungen.  

Haben Sie durch die Abkehr vom Auftragsgeschäft weitere gute Kunden verloren?
Die Fokussierung auf das Kerngeschäft hat uns gezwungen, uns auf die Nachrichtenagentur zu konzentrieren und diese entsprechend zu stärken, weil es uns in den letzten Jahren nicht gelungen ist, den Corporate-Bereich als neues Standbein aufzubauen und daraus ein tragfähiges Geschäft zu entwickeln. Heute bieten wir nur noch im visuellen Bereich Auftragsproduktionen für Nicht-Medien-Kunden an, sogenannte Assignments. Hier können wir beispielsweise die SBB oder den SFV nach wie vor zu unseren langjährigen Kunden zählen.

Nun erhält Keystone-SDA im Rahmen der Leistungsvereinbarung maximal 4 Millionen Franken statt bisher nur 2. Wie lange denken Sie, reichen diese 4 Millionen Franken?
Die Leistungsvereinbarung ist für ein Jahr gültig, da das RTVG und seine Verordnung derzeit überarbeitet werden, was Auswirkungen auf den rechtlichen Rahmen des Abkommens haben könnte. Die Unterstützung ist nach wie vor auf die Textdienste beschränkt. Die neue Vereinbarung deckt ein breiteres Leistungsspektrum ab als bisher, also auch überregionale und nationale Text-Dienste in Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Vermischtes und Sport. Trotz Erweiterung des Portfolios und Erhöhung der Unterstützung sind diese Textdienste immer noch defizitär.

«Der Aufbau eines Grundangebots im Nachrichtenbereich ist äusserst ressourcenintensiv»

Der Beitrag muss also in zwei, drei Jahren bereits wieder erhöht werden?
Was in zwei, drei Jahren sein wird, können wir heute schlicht nicht voraussehen. Es ist aber klar, dass der Unterstützungsbedarf eher grösser wird.

Nun bauen CH Media, Mengis, 20 Minuten oder auch die NZZ eigene Lösungen für Nachrichten und Bild auf. Was denken Sie, dürfte sich als die grösste Schwierigkeit erweisen bei diesem Vorhaben?
Diese Frage müssten sie eigentlich den erwähnten Medienhäusern stellen. Nur soviel: Der Aufbau eines Grundangebots im Nachrichtenbereich ist äusserst ressourcenintensiv. Und wenn jedes Medienhaus das für sich selbst macht, kann man sich fragen, ob das effizient ist. Aber es ist nachvollziehbar, dass jedes Medienhaus auch Alleinstellungsmerkmale sucht.

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Wo wird sich Keystone-SDA in den nächsten Monaten besonders stark weiterentwickeln müssen?
Wir fokussieren auf unser Kerngeschäft, auf eine multimediale, dreisprachige, digitale Entwicklung. Unsere Themenfelder sind Geschwindigkeit (Live), Automatisierung (Lena, interne Prozesse), die Vielfalt (Regionen) und die Kuratierung (Relevanz). Ein Beispiel, das sehr gut veranschaulicht, wie wir den Basisdienst erweitern und den Bedürfnissen des Marktes und der Kunden anpassen, ist der Live-Blog. Zuerst war es ein Test, jetzt ist das Kundeninteresse so gross, dass dieses Angebot beispielsweise bei Abstimmungen aus unserem Angebot nicht mehr wegzudenken ist.


Das Interview wurde schriftlich geführt.



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