03.05.2022

Reporter ohne Grenzen

Düstere Zeiten für die Pressefreiheit

Am diesjährigen Welttag der Pressefreiheit veröffentlicht die Organisation Reporter ohne Grenzen die neue Rangliste der Pressefreiheit. Grund für Optimismus liefert sie keinen. «Der Ton gegenüber Journalisten ist aggressiver geworden», sagt Bettina Büsser von Reporter ohne Grenzen Schweiz.
Reporter ohne Grenzen: Düstere Zeiten für die Pressefreiheit
Letztes Jahr waren mehr Medienschaffende in Haft denn je. (Bild: Keystone/Dmitri Lovetsky)
von Maya Janik

Von Überwachung und Zensur über Hetzkampagnen und Einschüchterung bis hin zur brutalen Verfolgung – Journalistinnen und Journalisten werden weltweit in unterschiedlicher Form in ihrer Arbeit behindert. Manche von ihnen bezahlen mit ihrem Leben. Daran erinnert der internationale Tag der Pressefreiheit am 3. Mai.

Die Organisation Reporter ohne Grenze stellt eine zunehmende Polarisierung fest. In demokratischen Gesellschaften führe die Polarisierung der Medien zu sozialen Spannungen. Despotische Regime bekämpfen die freie Presse und führen Propagandakriege gegen Demokratien. Das Nachrichten- und Informationschaos begünstige Fake News und Propaganda und verstärke diese Entwicklung.

In der Rangliste der Pressefreiheit, mit der Reporter ohne Grenzen jährlich die Situation on Journalistinnen und Journalisten und Medien in 180 Ländern bewertet, wird im Jahr 2021 die Situation 28 Ländern als «sehr schlecht» bewertet. Zwölf davon sind neu dazugekommen, darunter in Russland (Rand 155) und Belarus (153). Die letzten Plätze auf der Liste belegen China, Myanmar, Turkmenistan, Iran, Eritrea und Nordkorea.

Zur Erstellung der Rangliste wurde diesmal eine neue Methode angewandt. Das mache einen Vergleich zu Ranglisten aus den Vorjahren schwierig, betont Bettina Büsser*, Koordinatorin Deutschschweiz von Reporter ohne Grenzen Schweiz. Neu wurden bei der Erstellung der Liste fünf Indikatoren verwendet: der politische Kontext, der rechtliche Rahmen, der wirtschaftliche Kontext, der sozikulturelle Kontext und Sicherheit.

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Die Corona-Pandemie hat auch im Journalismus ihre Spuren hinterlassen – eine Tendenz, die sich im letzten Jahr akzentuiert hat. Das Klima gegenüber Journalistinnen und Journalisten ist zusehends rauer geworden, bestätigt Bettina Büsser: «Der Ton gegenüber Journalisten ist aggressiver geworden. Sie werden beschimpft und bedroht. Das hat sich während der Corona-Pandemie verschärft.»

Dass Journalisten in Europa auch physisch angegriffen werden, wie das in Zusammenhang mit der Berichterstattung bei Anti-Corona-Demos der Fall war, sei neu. «Der zunehmende Hass auf Journalisten ist beängstigend. Es gibt Journalisten, die mittlerweile bei solchen Einsätzen von Sicherheitsleuten begleitet werden», so Büsser. Die Zahl der inhaftierten Journalistinnen und Journalisten habe letztes Jahr ein neues Rekordhoch erreicht.

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Seit fast 40 Jahren weist die Organisation Reporter ohne Grenzen mit internationalem Sekretariat in Paris auf Missstände und Verstösse gegen die Pressefreiheit hin und setzt sich für einen besseren Schutz von Journalistinnen und Journalisten ein. «Die Idee hinter der Arbeit von Reporter ohne Grenzen ist, dass Journalisten in ihrem Land frei arbeiten können. Durch unsere Öffentlichkeitsarbeit wollen wir die Aufmerksamkeit auf wichtige Themen lenken», erklärt Bettina Büsser. Das Ziel der Öffentlichkeitsarbeit sei es letztlich auch, Druck auf die Politik auszuüben.

Das Schweizer Büro der Organisation begleitet in die Schweiz geflüchtete Journalistinnen und Journalisten, die sich bei der Organisation melden. Häufig gehe es um praktische Hilfe, etwa bei der Asylsuche. Ein Brief von Reporter ohne Grenzen, der belegt, dass die betroffene Person tatsächlich wegen ihrer journalistischen Arbeit flüchten musste, verbessert ihre Chancen auf Asyl, so Büsser. Die Organisation bezahlt aus ihrem Fonds auch Sprachkurse oder Equipment, das Journalisten für ihre Arbeit benötigen.

Bei der Jobvermittlung stösst die Hilfe der Organisation allerdings an ihre Grenzen. Die meisten geflüchteten Journalistinnen und Journalisten können ihre Arbeit wegen fehlender Sprachkenntnisse nicht fortsetzen, stellt Bettina Büsser fest. Ein Teil von ihnen arbeite freiberuflich für Exilmedien, aber für die Lebenshaltungskosten reiche das nicht. Die meisten müssten sich beruflich umorientieren, erzählt die Koordinatorin des Büros. «Ein Journalist, den wir nach seiner Flucht aus Sri Lanka begleitet haben, hat eine Ausbildung zum Pfleger gemacht, nachdem er jahrelang vergeblich versucht hatte, in der Schweiz im Journalismus Fuss zu fassen.»

Die Organisation unterstützt auch Schweizer Journalistinnen und Journalisten Zum Beispiel, wenn es darum geht, die Anwaltskosten zu übernehmen, wenn Journalisten wegen ihrer Arbeit angeklagt werden. Die Luzerner Journalistin Jana Avanzini war so ein Fall. «Wegen einer Reportage aus einem besetzten Haus wurde sie wegen Hausfriedensbruchs angeklagt und erst vor Bundesgericht freigesprochen. Das ist durch alle Instanzen gegangen. Als freie Journalistin konnte sie es sich nicht leisten, die Kosten selbst zu tragen», erzählt Bettina Büsser.

In der aktuellen Liste steht die Schweiz auf Rang 14. Dass sie im Vergleich zum Vorjahr um vier Plätze zurückgefallen ist, sei vor allem auf die neue Methode und den verwendeten Wirtschaftsindikator zurückzuführen, der vor allem die Medienvielfalt misst, heisst es in dem Bericht der Reporter ohne Grenzen zur Rangliste.

«In der Schweiz steht es um die Pressefreiheit relativ gut», hält Bettina Büsser fest. Aber auch hier stehen Journalisten vor Herausforderungen. Neben dem rauen Klima, das auch hierzulande Journalistinnen und Journalisten zunehmend erleben, sei vor allem die wegen des Spardrucks schrumpfende Medienvielfalt eine beunruhigende Entwicklung.


*Bettina Büsser ist Koordinatorin für die Deutschschweiz bei Reporter ohne Grenzen und Redaktorin beim Schweizer Medienmagazin Edito. Seit 1990 ist sie als freie Journalistin tätig.



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