17.03.2024

Mal ehrlich

«Ein Wachstum für noch mehr Denkanstösse»

Die Medienmarke Any Working Mom verschwindet. Die Plattform für Eltern heisst neu «Mal ehrlich». Andrea Jansen, Rebecca Krausse und Anja Knabenhans sagen, wie sie mehr Männer ansprechen wollen. Und sie sprechen über Werbekooperationen – auch solche, die sie ablehnen.
Mal ehrlich: «Ein Wachstum für noch mehr Denkanstösse»
Wollen mit ihrer Elternplattform Mal ehrlich künftig mehr Väter ansprechen: Andrea Jansen (Gründerin und VRP), Rebecca Krausse (CEO) und Anja Knabenhans (Content-Chefin). (Bilder: zVg)

Jetzt mal ehrlich: Warum lassen Sie einen so verankerten Medienbrand wie Any Working Mom sterben?
Andrea Jansen: Diese Frage haben wir uns natürlich sehr lange gestellt. Wir mussten uns immer häufiger rechtfertigen für unseren Namen. Und es ist uns je länger, je mehr schwergefallen. Vor acht Jahren, als ich mit dem damaligen Blog angefangen habe, hatte eine «Working Mom» noch eine andere Konnotation. Das war die Frau, die Familie hat, aber auch auswärts arbeiten geht. Die Frau, die probiert, möglichst viel unter diesen lächerlich kleinen Hut zu bringen. Mittlerweile haben wir einen sehr anderen Blick auf die Definition von Arbeit. Arbeit findet überall statt, nicht nur dann, wenn sie bezahlt wird. Auch für das «Mom» im Namen mussten wir uns immer mehr erklären, weil wir ja eine Plattform für alle Elternteile sind. Am Schluss hat der Name für uns nicht mehr gestimmt. Und es war klar: Wenn wir uns ein neues Gesicht geben, dann muss auch ein neuer Name her. Einer, hinter dem wir voll und ganz stehen können.

Sie sagten es, Any Working Mom ist vor acht Jahren als Blog gestartet. Wie definieren Sie das Unternehmen heute selbst?
Rebecca Krausse: Wir sind ein professionell aufgestelltes Onlinemagazin mit einer ausgeprägten Nähe zur eigenen Community. Sie ist unsere grösste Stärke.

«Mal ehrlich» lässt als Name vieles offen. So könnte auch ein Onlinemagazin im Gesundheitswesen oder vielleicht in der Versicherungsbranche heissen. Besteht nicht die Gefahr der Markenverwässerung?
Jansen: In der Versicherungsbranche, ich weiss nicht so recht (lacht). Ja, vielleicht lässt sich Mal ehrlich tatsächlich auch auf andere Bereiche adaptieren. Das zeigt aber auch gleich, wie viele Facetten das Thema Gleichberechtigung im Elternsein hat. In wie vielen Gebieten in unserem Leben sich das manifestiert hat. Und erst wenn man quasi «draufgelüpft» wird, wird es einem klar. Unter anderem genau hier sehen wir unsere Aufgabe. Wir haben eine lange Namensfindung durchlaufen und hatten auch andere Ideen auf dem Tisch. Am Schluss war die Entscheidung ganz klar.

Krausse: Ehrlichkeit liegt in unserer DNA. Unsere Community, mit der wir in regem Austausch stehen, bekommt das schon lange zu spüren. Indem, wie wir Inhalte finden, wie wir sie nach aussen tragen oder wie wir mit Leuten zusammenarbeiten. Auch in unserer Organisation leben wir Ehrlichkeit. Die ersten Rückmeldungen aus der Community auf unseren neuen Auftritt sind positiv und bestärken uns in der Entscheidung.

Anja Knabenhans: Ich stosse immer wieder auf Unternehmen, die mit dem Thema Ehrlichkeit arbeiten. Wie beim Greenwashing kommt nun auch eine Art Honestwashing auf. Im Unterschied dazu leben wir Ehrlichkeit bereits seit Jahren. Und wir haben uns damit eine grosse Glaubwürdigkeit aufgebaut.

Nun wollen Sie verstärkt auch Väter ansprechen. Wie viele Männer sind aktuell Teil Ihrer Community?
Jansen: Mit unserem Onlinemagazin erreichen wir rund 22 Prozent Männer. Mit unseren Social-Media-Kanälen sind es bisher 8 Prozent.

Knabenhans: In Wahrheit lesen Männer vielleicht schon jetzt mehr mit, als diese Zahlen zeigen. Wir hören immer wieder, dass Leserinnen ihren Partnern unsere Artikel ausgedruckt auf den Tisch legen oder weiterschicken. Nun wollen wir versuchen, sie direkter anzusprechen.

Wie gehen Sie das redaktionell an? Holen Sie verstärkt männliche Stimmen aufs Portal?
Knabenhans: Wir haben uns immer auch um männliche Autoren bemüht. Und seit Kurzem haben wir tatsächlich einen Mann bei uns im Team. Aus der Community erhalten wir immer wieder Inputs aus der männlich sozialisierten Perspektive. Diese wollen wir nun noch mehr abholen – sei es mit der Wahl der Themen, der Sprache, der Bildauswahl oder dem Design. Wir haben rund 500 bestehende Artikel auf unserem Onlinemagazin, die wir nun, wo nötig, überarbeiten. Also zum Beispiel schauen: Spricht dieses Bild auch einen Mann an? Oder könnte das Beispiel im ersten Textabschnitt vielleicht auch eines aus männlicher Perspektive sein? Es liegt nun an uns, den Männern einerseits zu zeigen, dass es uns gibt. Andererseits müssen Männer auch lernen, dass sie über ihr Inneres, über ihre Schwierigkeiten als Mann in der Vaterrolle reden können.



Nicht nur der Name, sondern das ganze Corporate Design ist neu. Der Diamant verschwindet, im Zentrum steht jetzt das Wort «me» mit einem Doppelpunkt. Was sind die Überlegungen dahinter?
Jansen: In Zusammenarbeit mit der Zürcher Brandingagentur Solid Identities haben wir herausgeschält, was uns ausmacht und wofür wir stehen: Für uns steht der Mensch als Individuum im Zentrum. Von dem her war es Fügung, dass die Abkürzung von Mal ehrlich das englische Wort me ergibt. Damit arbeiten wir ab jetzt. Und der Doppelpunkt am Schluss steht für alles, was noch kommt. Denn es muss noch viel passieren, bis wir punkto Gleichstellung am Ziel sind.

Mal ehrlich erreicht aktuell rund 100’000 Leute im Monat. Welche konkreten Ziele haben Sie sich für den Relaunch und den Namenswechsel gesetzt?
Jansen: Wir gewichten unseren Purpose höher als unseren Umsatz, aber wir möchten dennoch gerne richtige Löhne zahlen und selbsttragend sein. Damit sich in der Gesellschaft in Sachen Gleichberechtigung etwas tut, müssen möglichst viele Leute anfangen, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Ich glaube, da gibt es noch wahnsinnig viel Potenzial für uns. Mal ehrlich ist in Zürich, Basel oder Bern sehr stark, aber wir wollen noch viel breiter wahrgenommen werden. In dem Sinn ist es ein Wachstum für noch mehr Denkanstösse.

Sie haben es erwähnt, 2020 war Ihr Medienunternehmen finanziell zum ersten Mal selbsttragend. Was hat das verändert?
Jansen: Wir haben in den jetzigen Relaunch und in unser Team investiert. Das Jahr 2024 werden wir wohl nicht mit schwarzen Zahlen abschliessen (lacht).

Knabenhans: Als Arbeitgeberin ist es uns wichtig, das zu erfüllen, was wir selbst von der Gesellschaft fordern. Nämlich gute Arbeitsbedingungen mit fairen Löhnen zu bieten – ohne dass wir und unsere Mitarbeitenden sich abschuften und neben der zusätzlichen Carearbeit, die wir leisten, ausbrennen.




Jansen: Da sind wir wieder bei unserem Purpose. Wenn wir die Themen einer selbstbestimmten Elternschaft in der Gesellschaft vorantreiben wollen, können wir unsere Inhalte nicht hinter einer Paywall verstecken. Allerdings haben wir nebst unseren redaktionellen Inhalten schon konkrete Pläne für Zusatzleistungen, die dann kostenpflichtig sein werden.

Knabenhans: Wir wollen auf keinen Fall, dass der Klassismus spielt und wir nur zu denjenigen predigen, die vielleicht auch mehr Möglichkeiten haben. Wir vergessen oft, dass wir uns in der eigenen Bubble bewegen und viele Leute nicht wissen, dass es zum Beispiel Mental Load gibt. Leute, die absolut nicht auf dem Schirm haben, warum jetzt diese Elternschaft so anstrengend ist. Und genau die wollen wir mit Mal ehrlich ja erreichen. Denen wollen wir nicht sagen: Zahl jetzt zuerst einmal fünf Franken, dann findest du etwas, das vielleicht hilft.



Die Werbeumsätze in den Medienhäusern gehen drastisch zurück, überall wird gespart und abgebaut. Sie hingegen lehnen die Hälfte der Anfragen für Kooperationen ab. Warum leisten Sie sich das?
Krausse: Wir wollen auch hier ehrlich und glaubwürdig sein. Wir gehen nur Werbepartnerschaften oder andere Kooperationen ein, wenn wir wirklich hinter einer Firma oder einem Produkt stehen können. Aus diesem Grund testen wir Produkte auch häufig.

Und wer entscheidet am Schluss darüber, ob eine Partnerschaft zustande kommt?
Krausse: Wir in unserem zehnköpfigen Team gemeinsam. Dabei entstehen jeweils spannende Diskussionen. Klar kam es auch schon vor, dass sich jemand im Team nicht überzeugen liess und wir eine Kooperation am Schluss dennoch eingegangen sind. Aber wenn alle gemeinsam das Veto einlegen, dann lehnen wir ab.

Umgekehrt kann man sagen, wenn ein Produkt den Mal-ehrlich-Stempel aufgedrückt erhält, ist mehr möglich als vielleicht bei anderen Medien. Dann verschwimmen die Grenzen von Werbung und redaktionellem Inhalt.
Knabenhans: Unsere redaktionelle Arbeit ist unabhängig. Auch wenn wir mit einem Partner zusammenarbeiten, schreiben wir die Texte komplett in Eigenregie. Der Werbekunde darf lediglich gegenlesen.

Beim Podcast sprechen Sie die Werbung selber. Für viele Journalistinnen und Journalisten wäre das ein No-Go.
Knabenhans: Ich habe genug Nähe zur Medienbranche, um zu wissen, wie häufig Kooperationen oder andere Deals nicht deklariert werden. Ich halte dieses Schubladendenken von «Journalismus ist gut und PR ist böse» für wenig zielführend. Mir ist es lieber, ich kann wirklich hinter einem Produkt stehen und deklariere die Partnerschaft dafür klar. Gerade beim Podcast könnten wir es uns viel einfacher machen und vorgefasste Werbetexte eins zu eins vorlesen. Das machen wir eben nicht, weil wir finden, dass unsere Community spüren muss, dass wir ein Produkt gut finden.

Welche Kooperationen haben Sie denn schon abgelehnt? Können Sie ein Beispiel nennen?
Knabenhans: Bei Weight Watchers waren wir uns alle einig, dass wir da nicht dahinterstehen können.

Jansen: Diese Entscheidungen sind immer schwierig. Häufig braucht es eine zusätzliche Perspektive, um klarer zu sehen. Ich kann das an einem Beispiel veranschaulichen. Wir haben lange mit Barbie zusammengearbeitet. Seit dem Film im letzten Jahr ist das vielleicht etwas anders, aber früher war die Puppe für viele das Sinnbild von Antifeminismus. Dieses Feedback erhielten wir auch aus der Community. Ich hatte allerdings ein anderes Bild im Kopf, weil ich die Dokumentation «Tiny Shoulders: Rethinking Barbie» gesehen hatte. Die Barbie-Schöpferin Ruth Handler wollte, dass Mädchen nicht nur mit Puppen spielen, die sie pflegen müssen, sondern auch mit solchen, die ihnen zeigen: Du kannst alles sein, was du möchtest.

Krausse: Bei dieser Kooperation haben wir uns tatsächlich auf dünnes Eis begeben. Solche Entscheidungen müssen wir unserer Community erklären. Und genau darum geht es uns bei allem, was wir machen. Wir versuchen zum Nachdenken anzuregen und zu zeigen, dass es immer unterschiedliche Perspektiven und Möglichkeiten gibt.

Jansen: Ich finde es spannend, dass wir über Werbung auf das Thema kommen: Aber genau dieser Perspektivenwechsel steht bei uns im Fokus. Denn nur so kann man jemanden verstehen, der nicht dieselbe Meinung teilt. Nur so kann man Empathie und Verständnis aufbringen. Der Perspektivenwechsel ist sozusagen der Samen, aus dem ein Miteinander auf Augenhöhe wachsen kann und mit dem wir zu Gleichberechtigung kommen.

In einem Videointerview mit persoenlich.com sagten Sie vor einigen Jahren, dass Sie damals beim Start von Any Working Mom sehr strategisch vorgegangen sind. Wie sieht diese Vision für Mal ehrlich heute aus?
Jansen: Einerseits wollen wir natürlich in der Gesellschaft etwas verändern. Bei Mal ehrlich haben wir mit diesem Relaunch, der Umwandlung von einer GmbH in eine Aktiengesellschaft, mit dem Advisory Board und dem Verwaltungsrat einen riesigen Schritt gemacht und die Weichen für einen Brand gestellt, der sich in viele Richtungen entwickeln kann.


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