06.06.2016

Tamedia

Freispruch für Chefredaktor Arthur Rutishauser aufgehoben

Der Chefredaktor von «Tages-Anzeiger» und «SonntagsZeitung» soll sich der Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen schuldig gemacht haben. Das Bundesgericht hat den Freispruch des Zürcher Obergerichts in Bezug auf die BVK-Affäre aufgehoben. Für Tamedia zeugt das Urteil von einem «merkwürdigen Medienverständnis».
Tamedia: Freispruch für Chefredaktor Arthur Rutishauser aufgehoben

Arthur Rutishauser, heute Chefredaktor von «Tages-Anzeiger» und «SonntagsZeitung», soll sich doch der Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen schuldig gemacht haben. Das Bundesgericht hat den Freispruch des Zürcher Obergerichts aufgehoben. Dieses muss sich nun erneut mit dem Fall beschäftigen.

Rutishauser hatte am 28. August 2012 und am 10. September 2012 im «Tages- Anzeiger» zwei Artikel über den Korruptionsfall bei der Zürcher Pensionskasse BVK veröffentlicht. Er zitierte rund ein Dutzend Mal Passagen aus dem noch unter Verschluss gehaltenen Entwurf des Schlussberichts der Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) des Zürcher Kantonsrats. Das Statthalteramt des Bezirks Zürich verurteilte ihn deswegen zu einer Busse von 800 Franken.

Sowohl vom Bezirks- als auch vom Obergericht Zürich wurde Rutishauser in der Folge freigesprochen. Das Obergericht kam zum Schluss, dass ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit bestand, bereits vor der für Anfang Oktober 2012 angekündigten Veröffentlichung des Berichts informiert zu werden.

Beitrag zur Debatte

Das Bundesgericht hat nun den entsprechenden Entscheid in einem am Montag publizierten Urteil aufgehoben. Entscheidend für die Veröffentlichung eines geheimen amtlichen Dokuments sei, ob mit der Information ein Beitrag zur öffentlichen Debatte zum Thema geliefert werde oder nicht. Dies sei nicht der Fall gewesen. Die öffentliche Debatte hätte gemäss den Richtern in Lausanne auch im Anschluss an die offizielle Veröffentlichung des PUK-Schlussberichts stattfinden können.

Der Meinungsfindungsprozess innerhalb der PUK sei zum Zeitpunkt der Publikation des ersten Zeitungsartikels noch nicht abgeschlossen gewesen. Die Arbeit der PUK hätte deshalb gestört werden können. Es besteht gemäss Bundesgericht jedoch ein grosses staatliches Interesse an der Geheimhaltung der Tätigkeit einer PUK.

Tamedia: «Merkwürdiges Medienverständnis»

Nach Ansicht von Rutishausers Arbeitgeberin Tamedia zeugt das Argument, die Medien hätten mit der Berichterstattung auch bis zur offiziellen Publikation des Berichts warten können, von einem «merkwürdigen Medienverständnis» des Bundesgerichts. Ein Recherchestopp während der Arbeit einer PUK kommt «nicht in Frage», wie Tamedia-Sprecher Christoph Zimmer auf Anfrage der Nachrichtenagentur sda sagte.

Der «Tages-Anzeiger» habe mit seiner Berichterstattung einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung der BVK-Affäre geleistet, einem der grössten Korruptionsskandale in der Zürcher Geschichte mit einem Schaden von bis zu 1,5 Milliarden Franken, sagte Zimmer. Journalisten wegen der Veröffentlichung amtlicher Dokumente zu verurteilen, sei «ein verheerendes Signal für die Medienfreiheit in unserem Land».

Ruf nach Gesetzesrevision 

Zimmer wies auch explizit darauf hin, dass es nach wie vor kein rechtskräftiges Urteil gegen Arthur Rutishauser gibt. Sollte das vom Bundesgericht angeordnete erneute Urteil des Zürcher Obergerichts negativ ausfallen, werde Tamedia «selbstverständlich alle Rechtsmittel prüfen». Es ist also durchaus möglich, dass sich auch das Bundesgericht nochmals mit dem Fall beschäftigen muss. Gegenüber persoenlich.com zeigte Zimmer sogar ein gewisses Verständnis für die Argumentation des Bundesgerichtes, wonach gewisse Vorgänge der Vertraulichkeit unterliegen.  Trotzdem sei es nicht Aufgabe der Medien, diese Vertraulichkeit zu schützen, so der Tamedia-Sprecher. 

Der Entscheid des Bundesgerichtes reihe sich vielmehr  in eine immer länger werdende Reihe von Versuchen verschiedener Behörden ein, den Zugang zu Informationen zu verunmöglichen, über viel zu hohe Gebühren und externe Anwälte zu erschweren oder mit Klagen gegen Veröffentlichungen vorzugehen. «Die nachhaltigste Lösung wäre deshalb eine Gesetzesrevision, die es endlich verunmöglicht, Journalistinnen und Journalisten nach Artikel 293 des Strafgesetzbuches für die Veröffentlichung von vertraulichen Dokumente zu verurteilen - mit Ausnahme wirklich heikler und sicherheitsrelevanter Informationen», schlägt Zimmer gegenüber persoenlich.com vor.  

Bild: zVg.



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