21.11.2018

SRF

«Ich bin freier und unabhängiger»

Am Mittwoch befasst sich SRF mit dem digitalen Wandel. Moderatorin Susanne Wille führt durch den dreistündigen Themenabend «Dataland». Im Interview spricht sie über die Vor- und Nachteile der Digitalisierung – und sagt, wie sich ihre Arbeit dadurch verändert hat.
SRF: «Ich bin freier und unabhängiger»
«Wir haben gerade im Zuge der Digitalisierung mit viel Schub alle Prozesse der Nachrichtensendungen komplett umgestellt», sagt SRF-Moderatorin Susanne Wille. (Bild: SRF)
von Christian Beck

Frau Wille, ist für Sie die Digitalisierung Fluch oder Segen?
Ich beobachte sie mit einer neugierig-kritischen Haltung. Die Digitalisierung ist Verheissung und Bedrohung zugleich. Sie hat eine enorme Veränderungsmacht. Im Rahmen der Vorbereitung für die Sendung war ich an einer Diskussionsrunde. Dabei verwies Medienwissenschaftlerin Sarah Genner, die sich mit dem digitalen Wandel befasst, auf eine pikante Studie. Man fragte 3000 Menschen, ob sie eher bereit seien, ihren Geruchssinn oder den Internetzugang aufzugeben. 42 Prozent der Befragten würden eher den Geruchssinn aufgeben. Also nie mehr den Duft vom Sommerregen einatmen, den Duft einer Orangenschale oder des Meeres, dafür weiterhin im Internet surfen können.

Und was sagt Ihnen dieses Resultat?
Das zeigt, wie sehr die Digitalisierung Teil unseres Alltags geworden ist, für viele nicht mehr wegzudenken. Kommt hinzu, dass künstliche Intelligenz immer besser wird dank enormer Datenmengen und Rechenpower. Also müssen wir auch überlegen, mit welchen Datensätzen wir die Maschinen füttern. Gerade weil Computer von dort aus selbständig denken und lernen. Und wir müssen hinterfragen, wie sich die künstliche Intelligenz (KI) auf uns und unseren Alltag auswirkt, was wir überhaupt wollen. Ohne dabei den Teufel an die Wand zu malen. Denn KI eröffnet auch viele Chancen.

Alle SRG-Fernsehsender widmen sich am Mittwoch der Digitalisierung mit dem Themenabend «Dataland» (persoenlich.com berichtete). Warum ist das nötig?
Die Digitalisierung stellt unser ganzes Leben auf den Kopf. Und sie geht uns alle an. Künstliche Intelligenz und Datenberge revolutionieren unser Leben und unser Land. Also müssen wir darüber reden. Nicht erst morgen, sondern jetzt. Ich verstehe unseren Auftrag als öffentliches Medienhaus so, dass wir Debatten anstossen bei Themen, die unser Land prägen und prägen werden. Ich finde: Gerade weil Maschinen in atemberaubendem Tempo klüger werden, müssen wir Menschen unseren Kopf brauchen und fragen: In welchem Datenland wollen wir eigentlich leben? Die Sendung setzt genau hier an, ist also auch ein Treffpunkt für die Schweiz von morgen. Wir stellen als Gesellschaft heute die Weichen für unsere digitale Zukunft. Darum bringen in der Sendung auch viele Junge ihre Standpunkte und Gedanken ein.

«Die Digitalisierung verändert auch die Demokratie»

Medienministerin Doris Leuthard diskutiert in der Sendung mit. Welche Frage an sie brennt Ihnen unter den Nägeln?
Ich picke drei Punkte heraus. Bundesrätin Leuthard ist seit kurzem in einem hochrangigen UNO-Panel zur digitalen Kooperation. Wir leben in Nationalstaaten, aber Daten kennen keine Grenzen. Die Macht der Technologie-Konzerne wächst und wächst. Wir haben kaum Institutionen auf globaler Ebene, die der geballten Machtfülle der Konzerne etwas entgegenhalten. Wofür wird sie sich einsetzen? Und: Da ist ein weltweit knallhartes Wettrennen im Gang rund um die künstliche Intelligenz. Es wird auch Space Race des 21. Jahrhundert genannt. So wie in den 50er- und 60er-Jahren die USA und Russland um die Vorherrschaft bei ihren Raumfahrtprogrammen kämpften, stehen heute die Supermächte – vor allem auch China – im Wettbewerb. Vladmir Putin sagte, wer in der KI-Forschung die Nase vorn habe, beherrsche die Welt. Also ist die Frage: Wie will die Schweiz mithalten?

Und der dritte Punkt?
Die Digitalisierung verändert auch die Demokratie. Das Stimmvolk organisiert sich via Social Media. Neue Mobilisierungsformen sind möglich. Bekommen wir durch die Digitalisierung gar eine bessere Demokratie? Das will ich sie fragen.

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Sollen Bürgerinnen und Bürger die Kontrolle über die Daten erhalten?
Tatsächlich sind unsere Daten wertvoller Stoff für die Wirtschaft. Wir werden getrackt und vermessen. Oft wissen wir nicht, in welchem Zusammenhang unsere Daten verwendet werden. Das hat auch der Datenskandal rund um Cambridge Analytica und Facebook gezeigt. Wem wir die Kontrolle über die eigenen Daten abgeben, ist also die Frage der Stunde. Mich interessiert hier, welche Alternativen gibt es eigentlich und wie reagiert die Gesellschaft auf das Thema Datenkontrolle? Sogar der Erfinder des Internets, Tim Berners-Lee, hat eine solche Plattform ins Leben gerufen. Bei seinem Projekt haben die Nutzer die alleinige Kontrolle über ihre Daten. In Skandinavien gibt es die «mydata»-Bewegung. Benutzer verwalten ihre persönlichen Daten selbst, sie können sie interessierten Unternehmen zur Verfügung stellen. Freiwillig. Apps dürfen nur mit der Zustimmung der Besitzer auf die Daten zugreifen. So entwickeln auch zwei Schweizer eine neue Web-Browser-App, mit der die Studenten Datentracking verhindern. Darauf gehen wir in der Sendung ein. Ich sehe, dass viele Ansätze vorhanden sind – und das befeuert diese wichtige Debatte. Selber finde ich, nebst der Frage nach der Kontrolle der Daten, müssen wir uns grundsätzlich noch viel stärker überlegen, wo wir Daten hinterlassen. Daten leben länger als jede Software oder Hardware.

«Das ist ein Epochenwechsel»

Sie arbeiten bei SRF in einem Strategieteam, das sich mit der Neuausrichtung der Newssendungen befasst. Wie stark spielt beim neuen Newsroom die Digitalisierung eine Rolle?
Wir haben gerade im Zuge der Digitalisierung mit viel Schub alle Prozesse der Nachrichtensendungen komplett umgestellt. Wir freuen uns zwar nach wie vor über starke Quoten bei den Newssendungen. Aber immer mehr Menschen konsumieren News rund um die Uhr online. Gerade wegen der Digitalisierung mussten wir uns also neu aufstellen und so den digitalen Inhalten mehr Gewicht geben. Gleichzeitig stärken wir das Fachwissen auf allen Kanälen, auch den digitalen. Via Internet und Social Media werden News nonstop um den Globus gejagt, also setzen wir noch mehr auf Einordnung und Erklärung. Auch die Planung wird darum komplett neu aufgestellt. Eine «10vor10»-Geschichte beispielsweise muss von Beginn weg auch einen digitalen Ansatz in der Planung haben. Wir haben letzten Montag damit begonnen, nach monatelanger Vorbereitung. Ich würde sagen: Das ist ein Epochenwechsel. Zum ersten Mal in der Geschichte von SRF produzierten Macherinnen und Macher von «Tagesschau», «Schweiz aktuell» und «10vor10» im gleichen Raum gemeinsam die verschiedenen Sendungen. Zum ersten Mal war auch die neu gegründete Videoredaktion mit dabei, die das tagesaktuelle Bewegtbildangebot im Web, aber auch kürzere Beiträge für die verschiedenen Nachrichtensendungen im TV verantwortet. 

Welches sind die grössten Vorteile, die die Digitalisierung mit sich gebracht hat?
Noch nie stand uns so viel wertvolles Wissen so einfach zur Verfügung. Ein Klick und ich weiss, wie das Wetter in Indien oder Schweden ist. Ein Klick und ich weiss, was an einer amerikanischen Elite-Universität läuft. Auch das Kommunizieren ist sehr viel einfacher geworden. Für manche hat Automatisierung/Digitalisierung/Künstliche Intelligenz die Arbeit erleichtert und neue Jobs sind entstanden, andere Menschen hingegen bangen um ihre Arbeit. Obwohl ich längst nicht mit allem einverstanden bin, was Historiker Yuval Hariri sagt: Er hat recht, wenn er aufzeigt, dass die Gesellschaft bei der industriellen Revolution und dem Aufkommen der grossen Fabriken das Problem der Ausbeutung angehen musste.

Und welches Problem stellt sich bei der digitalen Revolution?
Bei der digitalen Revolution ist es nun das Problem der Bedeutungslosigkeit. Es existiert ja bereits das Schlagwort der «useless class». Wenn immer mehr Jobs von künstlicher Intelligenz übernommen werden, was bleibt dann noch für den Menschen? Heisst, wir müssen die Debatte jetzt führen. Wo entstehen neue Jobs? Wo gibt es neue Chancen? Und ich meine hier nicht nur knackige Modebegriffe wir Drohnen-Dispatcher, Roboter-Betreuer oder digitale Bestatter. Ich meine mehr, dass wir diskutieren müssen, wie wir das Beste aus der Transformation herausholen, auch Weiterbildungsfragen angehen, damit die Menschen weiterhin eine Perspektive haben.

«Ich bin sehr gern auch noch analog unterwegs»

Und im Privaten: Wie digital sind Sie unterwegs?
Für mich hat die Digitalisierung viele Vorteile gebracht. Via Social Media bin ich viel näher am Publikum als früher. Ich kann die Kanäle nutzen, um zu zeigen, wie das journalistische Handwerk funktioniert. Ich poste Videos, die Einblicke in den Redaktionsalltag geben, kann aufzeigen, was es für eine gute Recherche braucht, kann erklären oder kritische Fragen beantworten. Transparenz ist für mich ein zentrales Thema. Kommt hinzu, dass ich mittlerweile überall arbeiten kann. Das Büro ist im Smartphone und auf dem Laptop. Ich bin also freier und unabhängiger. Aber: Ich bin aber sehr gern auch noch analog unterwegs. Ich rede lieber persönlich mit jemandem, als nur ein Mail zu schreiben. Ich will lieber in ein Gesicht schauen können, wenn ich mit jemandem rede – und ich lese immer noch liebend gern Bücher mit echten Seiten, die ich mit Notizen vollkritzeln kann.

Sie sind Mutter von drei Kindern. Welche Daten dürfen Ihre Kinder in der Online-Welt preisgeben?
Das ist erst beim ältesten Sohn ein Thema. Wir reden viel darüber. Und betonen immer wieder, dass Daten länger leben als jeder Computer und jede Software. Aber auch an den Schulen ist das bereits ein Thema. Zum Glück. Datenkontrolle und weise Voraussicht sind wichtiger denn je.

«Ich mache einen grossen Unterschied zwischen Meinung und Haltung»

Sie haben hier im Interview Ihre eigene Meinung geäussert. Dürfen Sie das künftig noch? Die neue SRF-Chefin Nathalie Wappler will ja weniger Meinungsjournalismus, wie Sie in einem «NZZ am Sonntag»-Interview sagte…
Zuallererst: Ich freue mich über die Wahl von Nathalie Wappler. Ihre Aussage zum «Meinungsjournalismus» verunsichert mich in keiner Weise. Ich verstehe Nathalie Wappler so, dass die Beiträge von uns SRF-Macherinnen und -Machern nicht persönlich eingefärbt sein sollen, konkret, dass sie nicht parteipolitisch oder ideologisch gefärbt sein sollen, dass ihnen eine Distanz zur eigenen privaten Meinung inne liegen. Damit bin ich einverstanden. Denn als öffentliches Medienhaus haben wir den Auftrag, mit unseren Inhalten zur öffentlichen Meinungsbildung beizutragen. Achtung: Ich mache einen grossen Unterschied zwischen Meinung und Haltung. Eine journalistische Haltung dürfen und müssen wir zeigen, eine Haltung, die durchaus kritisch sein darf, zuweilen auch kritisch sein muss. Denn das kritische Hinterfragen ist ein Kernauftrag des Journalismus.



Auf SRF 1 startet der Themenabend «Dataland» am Mittwoch, 21. November, um 20.05 Uhr. Das Programm finden Sie hier.



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Kommentare

  • Peter Eberhard, 21.11.2018 08:53 Uhr
    Computer "denken selbständig? "Denken bedeutet, an der Triftigkeit von Argumenten, an der Plausibilität von Überzeugungen, an der Vernünftigkeit von Deutungen, an der Überprüfbarkeit von Behauptungen festzuhalten" (Konrad Paul Liessmann).
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