Nathalie Christen, wie wohl fühlen Sie sich unter den Zürcher Kolleginnen und Kollegen?
Sehr wohl. Unser Team ist top motiviert, und zwischendurch gibt es auch zu lachen. Das ist mir wichtig.
Bereits seit zwei Wochen haben Sie nämlich Ihren Arbeitsort von Bern nach Zürich verlegt, um sich auf die Wahlsendung vom Sonntag vorzubereiten. Warum ist diese Nähe zum Studio nötig?
Die Wahl-Redaktion befindet sich hier, und hier proben wir auch. Es wäre keine gute Idee, das Studio, in dem man zwölf Stunden moderiert, am Wahlsonntag zum ersten Mal zu sehen. Ich werde die nationalen Hochrechnungen an einem drei Meter breiten Screen präsentieren, und Bundeshauskollege Curdin Vincenz wird dort auch kantonale Hochrechnungen und inhaltliche Inputs zur Sendung beisteuern. Seine Rolle eines «Sidekicks» gibt es zum ersten Mal. Wir möchten das eher dialogisch machen, auch das will geübt sein.
«Die beste Vorbereitung ist, dass ich in der Bundeshaus-Redaktion jeden Tag am Puls des politischen Lebens und auch des Wahlkampfs bin», sagte Ihr Kollege Urs Leuthard in einem persoenlich.com-Interview. Dann irrt er also?
Ich würde doch nie meinem Chef widersprechen (lacht). Glauben Sie mir, auch er bereitet sich separat vor. Seine Erfahrung mit dieser Sendung verringert den Aufwand sicher, vor allem aber haben wir verschiedene Aufgaben: Er hat mit dem Politologen Lukas Golder stets den gleichen Gesprächspartner und den gleichen Blickwinkel, nämlich die Analyse aus nationaler Optik. Ich hingegen muss auch auf Entwicklungen in 26 einzelnen Kantonen reagieren können, was nicht sowieso zu meinen Aufgaben gehört. Dazu kommen neu auch Gespräche im Studio.
«Medien wie persoenlich.com möchten auch noch gerne Auskunft»
Insgesamt investieren Sie drei Wochen intensive Vorbereitungszeit in die Wahlsendung. Ist das nicht etwas gar übertrieben?
Es scheint mir eher knapp und ist definitiv weniger, als die Crew vor vier Jahren zur Verfügung hatte. Neben der inhaltlichen Einarbeitung und Themensetzung im Team kommen ja auch unzählige Absprachen dazu, zum Beispiel mit unseren Leuten in den Kantonen. Dazu planen wir Grafiken, nehmen Trailer für die Sendung auf, lassen unseren Outfits den letzten Schliff verpassen, proben, und Medien wie persoenlich.com möchten auch noch gerne Auskunft …
Danke, dass Sie sich dafür Zeit genommen haben. Auf was achten Sie während Ihrer Vorbereitungsarbeit?
Wir versuchen, neben den aktuellen Facts und Analysen mehr thematische Schwerpunkte zu setzen und so Vertiefung zu bieten. Zum Beispiel zur speziellen Rolle des Ständerates. Aber wir blicken auch hinter die Kulissen, etwa in einem Auszähllokal, und zeigen auch das Menschliche. Wie verändert einen zum Beispiel eine Abwahl?
Am Ende kommt es am Sonntag anders, als Sie es vorbereitet haben. Wie gut können Sie improvisieren?
Ich improvisiere sehr gern. Genau darum mag ich Live-Situationen so sehr: Nach intensiver Vorbereitung lässt man los, alle Sinne sind wach, und mit ein bisschen Humor können auch kleinere Pannen ganz lustig werden. So musste ich in der Bunderatswahl-Sendung dem neuen Bundesrat Albert Rösti hinterherrufen, weil er aus Versehen an uns vorspazierte, statt zum Interview zu kommen.
Vor vier Jahren moderierte Susanne Wille die Wahlsendung. Haben Sie sich ausgetauscht?
Natürlich. Sie setzte auch auf intensive Vorbereitung und riet, dafür fixe Zeitinseln einzuplanen. Wie sie werde ich zudem die wichtigsten Informationen zu den Kantonen in einem kleinen Ordner auf dem Moderationspult bereit haben.
«Nach etwa acht Stunden gibt es auch mal eine grössere Pause»
Zwölf Stunden soll die Livesendung dauern. Setzen Sie auf literweise Kaffee oder eher auf Energy-Getränke?
Ich teste mich zurzeit durch Sportler-Gels. Die sind mir eigentlich zu süss, aber liefern innert Kürze Energie. Und nach etwa acht Stunden gibt es während eines Doks zur Parteienfinanzierung auch mal eine grössere Pause, in der wir hoffentlich etwas ganz Normales essen können.
Werden Sie auch einen Glücksbringer unter dem Moderationspult haben?
Nein. Meine Glücksbringer sind das tolle Team und das Vertrauen des Publikums.
Dem Schweizer Fernsehen wird immer wieder Linkslastigkeit vorgeworfen. Eine kürzlich publizierte Studie attestierte dem SRF eine politisch neutrale Positionierung. Machen Ihnen solche Vorwürfe zu schaffen?
Mich freut, dass die Studie belegt, was ich im Alltag erlebe: Dass wir uns nach bestem Wissen und Gewissen um Ausgewogenheit bemühen. Wenn man uns das Gegenteil vorwirft, verletzt das mein Gerechtigkeitsempfinden. Aber damit muss man leben.
Was antworten Sie jeweils, wenn Sie in der Wandelhalle vom Bundeshaus mit dem Vorwurf konfrontiert werden, SRF sei links?
Dass ein ähnlicher Vorwurf, nur umgekehrt, auch von links kommt: Wir würden zu oft Themen von rechts aufgreifen. Vielleicht ist das ein Indiz, dass wir gar nicht so danebenliegen. Wichtig ist, dass die Fakten stimmen und Einschätzungen gut begründet sind.
«Wahlen ohne Überraschungen wären ja an sich schon eine Überraschung»
Wie ausgewogen wird die Liveberichterstattung sein: Besucht SRF sowohl linke wie auch rechte Parteien?
Natürlich kommt links bis rechts zu Wort. Wo wir genauer hinschauen, wird nach journalistischen Kriterien entschieden. Wie: Wer gewinnt, wer verliert, wo gibt es gewichtige Veränderungen?
Und wie ist es mit den kleinen Splitterparteien, von denen es in diesem Jahr reichlich gibt? Berichtet man über diese, besteht die Gefahr von False Balance, also falscher Ausgewogenheit.
Kommt ganz drauf an, was am Wahlsonntag passiert. Ziehen zum Beispiel erstmals Corona-Massnahmenkritiker ins Parlament ein, ist dies sicher berichtenswert und als Teil einer zwölfstündigen Sendung keine False Balance.
Ihre Prognose für den Wahlsonntag vom 22. Oktober: Wird es zu einer Überraschung kommen?
Aber sicher, mindestens im Kleinen, bei Köpfen. Wahlen ohne Überraschungen wären ja an sich schon eine Überraschung … Das liebe ich ja so an den Wahlen: Sie sind spannend, sie sind wichtig, und es menschelt ungemein.
Sie arbeiten sonst in Bern und wohnen in Münsingen. Haben Sie auch den Wohnort vorübergehend nach Zürich verlegt und lassen Mann und Töchter drei Wochen alleine?
Ja, unter der Woche wohne ich in einem Zimmer in Glattbrugg. Das erspart mir viereinhalb Stunden Pendelzeit täglich. Die Töchter sind ja Teenager, und mein Mann ist ein genauso aktiver Vater wie ich eine aktive Mutter bin, da braucht es mich nicht dauernd. Umso schöner ist es dann, meine Liebsten am Wochenende wieder in die Arme schliessen zu dürfen.
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13.10.2023 10:02 Uhr