18.06.2022

Julian Assange

Ikone der Pressefreiheit oder Spion?

Die britische Regierung hat die Auslieferung von Wikileaks-Gründer Julian Assange an die USA genehmigt. Dort drohen ihm bis zu 175 Jahre Haft.
Julian Assange: Ikone der Pressefreiheit oder Spion?
Die US-Justiz wirft dem 50-jährigen Australier vor, unter anderem geheimes Material von US-Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan gestohlen und veröffentlicht zu haben. (Bild: Facundo Arrizabalaga)

Immer wieder bricht Stella Assange die Stimme weg, als sie bei einer Pressekonferenz über die Entscheidung der britischen Regierung spricht, ihren Mann Julian an die USA auszuliefern. «Das ist ein Präzedenzfall über die Reichweite der Pressefreiheit», ruft sie den Journalisten in dem Saal am Freitag in London zu. «Er ist einer von euch, ob es euch gefällt oder nicht, weil er strafrechtlich als einer von euch verfolgt wird.»

Noch vor wenigen Monaten hiess sie noch Stella Moris. Erst im März heiratete sie den Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks im berüchtigten Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in London.

Glaubt man Stella Assange, so ist der 50-Jährige Australier ein Opfer staatlicher Willkür. Seit April 2019 sitzt er in Belmarsh ein – gemeinsam mit Mördern, Vergewaltigern und Terroristen. Verurteilt ist er nicht. Doch die USA wollen ihm den Prozess wegen Spionagevorwürfen machen, und die Fluchtgefahr gilt als hoch.

Noch ist es nicht soweit. Bevor Assange in einen Flieger in die USA gesetzt werden kann, wo ihm bis zu 175 Jahren Haft drohen, muss der Rechtsweg ausgeschöpft sein. «Wir haben 14 Tage, und wir werden das bis zum Ende anfechten», sagte Assanges Anwältin Jennifer Robinson über die Einspruchsfrist. Doch bis es zu einer weiteren Entscheidung komme, könne ein ganzes Jahr vergehen. Notfalls will sie bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen. Eine Reaktion aus Washington gab es zu den Entwicklungen in London zunächst nicht.

Die US-Justiz wirft Assange vor, gemeinsam mit der Whistleblowerin Chelsea Manning geheimes Material von US-Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan sowie eine riesige Zahl diplomatischer Depeschen gestohlen und auf der Internetplattform Wikileaks veröffentlicht zu haben. Damit sei das Leben amerikanischer Informanten in vielen Ländern in Gefahr gebracht worden. Für die US-Ermittler ist Assange ein Spion.

Doch seine Unterstützer argumentieren, die Veröffentlichungen hätten Kriegsverbrechen aufgedeckt und seien daher von der Pressefreiheit gedeckt. Beispielsweise zeigte ein Video die Tötung von Zivilisten durch die Besatzung eines US-Hubschraubers im Irak. Anders als Assange musste sich von den beteiligten Soldaten bislang kein einziger vor Gericht verantworten. Sollte Assange verurteilt werden, wäre kein investigativer Journalist, dem geheimes Material zugespielt wird, mehr vor Strafverfolgung sicher, glauben sie.

Assange stemmt sich bereits seit einem Jahrzehnt gegen eine Auslieferung. Im Jahr 2012 rettete er sich in die ecuadorianische Botschaft in London. Damals sollte er wegen Vergewaltigungsvorwürfen nach Schweden gebracht werden. Die Vorwürfe wurden später mangels Beweisen jedoch fallengelassen. Doch als er 2019 von Polizisten aus dem Botschaftsgebäude gezerrt wurde, stellten die USA ein Auslieferungsersuchen.

Zunächst sah es so aus, als würde das juristische Tauziehen zugunsten Assanges ausgehen, als ein Londoner Gericht im Januar 2021 ein Auslieferungsverbot verhängte. Als Begründung nannte die Richterin die Suizidgefahr, sollte Assange in ein US-Hochsicherheitsgefängnis gebracht werden. Stella Morris bestätigte am Freitag die Absicht ihres Mannes, sich das Leben zu nehmen, sollte er ausgeliefert werden.

Die Überraschung war gross, als der High Court dann die erstinstanzliche Entscheidung Ende 2021 revidierte. Als das oberste Gericht daraufhin einen Berufungsantrag ablehnte, landete das Auslieferungsersuchen auf dem Schreibtisch von Innenministerin Priti Patel – die nun unterzeichnete.

Die USA hatten Zugeständnisse gemacht unter anderem bei den Haftbedingungen. Die Amerikaner versprachen, er werde nicht in das berüchtigte Hochsicherheitsgefängnis ADX in Florence im Bundesstaat Colorado kommen. Es gilt als das sicherste – und härteste – Gefängnis des Landes, für besonders gefährliche Straftäter. Assange solle auch nicht besonders strikten Vorgaben zur Isolierung unterworfen werden. Ausserdem sagten die Amerikaner zu, dass sie im Fall einer Verurteilung der Überstellung von Assange in seine Heimat Australien zustimmen würden, damit er dort seine Haftstrafe verbüssen könne.

Allerdings stellte Washington die Zusicherungen unter dem Vorbehalt, dass Assange nach der Abgabe dieser Zusicherungen nichts tue, was solche Massnahmen nötig mache. Für Stella Assange, die US-Geheimdiensten vorwirft, in ein Mordkomplott gegen ihren Mann verstrickt zu sein, ist das nicht gut genug. (sda/dpa/mj)

Von Christoph Meyer und Christiane Jacke, DPA

 



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