Just am «Tag der peinlichen Momente», den die Amerikaner jeweils am 18. März feiern, hat das Satiremagazin Nebelspalter sein neues Onlinemagazin lanciert. Pünktlich um 7 Uhr, wie geplant, ging nebelspalter.ch ans Netz (persoenlich.com berichtete).
Ein erster Eindruck zeigt: Die Seite wirkt sehr aufgeräumt. So aufgeräumt, dass zumindest auf dem Browser Firefox sogar der Nebelspalter-Schriftzug im schwarzen Balken fehlt. Damit fehlt auch die Möglichkeit, jeweils wieder zur Startseite zurückzukehren. In den Browsern Safari und Google Chrome hingegen ist das Logo vorhanden – ebenso weitere Navigationselemente.
Gegen Abend wird klar: Es wird noch an der Seite gearbeitet. Auch via Firefox ist das Nebelspalter-Logo mittlerweile sichtbar.
Die Struktur
Das Design stösst bei Experten nicht nur auf Begeisterung. So schreibt Sven Gallinelli, Art Director bei der Zentralredaktion von CH Media, auf Twitter, dass visuelle Aspekte beim neuen Auftritt wohl «keine ernst zu nehmende Rolle» gespielt hätten:
Fazit zum Design des neuen Online-Auftritts vom @nebelspalter: Visuelle Aspekte scheinen da keine ernst zu nehmende Rolle gespielt zu haben.
— Sven Gallinelli (@happysven) March 18, 2021
Oben auf nebelspalter.ch zu finden sind «Highlight» und «Neuste» – insgesamt vier Beiträge werden hier angezeigt. Anschliessend folgen, auf schwarzem Hintergrund, die Video-Casts und Podcasts. Wer weiter scrollt, entdeckt Kommentare von verschiedenen Autoren, bevor dann die Rubrik «Satire» erscheint. Die satirischen Beiträge stammen hauptsächlich aus der Printausgabe.
Weiter oben gibt es die Navigationselemente «Politik», «Schweiz», «Wirtschaft», «Kommentare» und «Video-Casts», die beim Anklicken teilweise noch eine gezieltere Eingrenzung ermöglichen, wie beispielsweise «Zürich» oder «Polizei». Lesestoff gibt es reichlich.
Bitte bezahlen
Wer auf einen Artikel klickt, kann den Titel, den Lead und die ersten paar Zeilen lesen. Dann folgt die Zahlungsaufforderung. Wer nur den einen Artikel zu Ende lesen will, muss diesen für 1.60 Franken kaufen, ein Monatsabo gibt es für 16 Franken. Schnupperabos zum Kennenlernen? Fehlanzeige. Aber immerhin werden bereits gekaufte Einzelartikel an das Monatsabo angerechnet. Ein spannender Ansatz.
Wer das Abo löst, wird aufgefordert, sich zu registrieren oder mit den Logins von Facebook, Google, Apple oder Microsoft anzumelden. Bezahlt werden kann ausschliesslich mit Kreditkarte. Weitere Zahlungsmöglichkeiten wie beispielsweise PayPal oder Twint fehlen. Das heisst also: Karte hervorkramen und sämtliche Daten eintippen. Wer das Monatsabo nicht verlängern will, muss in den Benutzereinstellungen auf «Abonnement beenden» klicken. Sonst werden in einem Monat automatisch wieder 16 Franken abgebucht.
Das Login funktioniert übrigens auf mehreren Geräten gleichzeitig. So kann man sich beispielsweise auf dem Desktop und dem Tablet einloggen. Kostenlos zugänglich sind die Podcasts und Video-Casts.
Es gibt was auf die Ohren – und Augen
Besitzer Markus Somm liess Anfang März durchblicken, dass er prominent auf Audio- und Video-Podcasts setzt. So will er im Podcast «Friendly Fire» regelmässig mit Politikaktivistin Laura Zimmermann «über alles streiten». In der ersten Episode debattieren «der alte weisse Mann» (Eigendeklaration Somm) und die «etwas jüngere Frau» (ebenfalls Deklaration Somm) über das neue Format an sich, den vergangenen Abstimmungssonntag – Schwerpunkt Verhüllungsverbot – und die britische Monarchie. Das 35-minütige Gespräch ist freundlich, es wird gelacht, von Streiten ist (noch) wenig zu spüren. Somm hört sich zeitweise so an, als ob er während dem Gespräch durch den Raum spaziert – der Ton wird stellenweise leiser. Ob da sein Ansteckmikrofon Aussetzer hatte?
Auch «Brennwald» gibt es, wie «Friendly Fire», als Podcast und gleichzeitig als Bewegtbild-Format. Nach einem Streit in der Sendung «Standpunkte» haben sich Somm und Reto Brennwald wieder versöhnt und arbeiten nun zusammen. In der ersten Folge, sie dauert etwas gar lange 50 Minuten, spricht Somm über seinen neuen Nebelspalter. Das Setting des Gesprächs ist hübsch gemacht. Im Hintergrund sind eine Bücherwand und – je nach Kameraeinstellung – noch in Plastik verpackte Bilder zu sehen. Die Ausleuchtung könnte besser, und manche Einstellungen könnten etwas schärfer sein.
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Markus Somm (links) im Gespräch mit Reto Brennwald…
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Im Hintergrund (rechts unten) sind noch eingepackte Bilder zu sehen.
In weiteren Video-Casts spricht Gioia Porlezza über Sexismus, und Tamara Wernli stellt in ihrer ersten «Tamara-Show» klar, dass sie keine Satire machen werde. Obwohl: «Realität und Satire sind ja heute kaum noch voneinander zu unterscheiden.» Das Thema der knapp siebenminütigen Sendung: «Frausein ist die reinste Zumutung.»
Gegen die EU, gegen die Linke
«Wir bringen neue Informationen, frische Perspektiven und fähige Journalisten, die sich allerdings einer dezidiert liberalen Haltung verpflichtet fühlen», verkündete der Nebelspalter kurz vor dem Start. Nun fragen wir uns: Wird Somm dieses Versprechen einlösen können?
Nun, der erste grosse Leitartikel – oder das erste «Highlight» – vom Donnerstagmorgen trägt den Titel: «Schweiz unterstützte Sprengkandidat gegen die EU.» Dominik Feusi, der Nebelspalter-Chef im Bundeshaus, liefert dazu Hintergründe sowie einen Kommentar. Die Schweiz habe bei der Wahl des neuen OECD-Generalsekretärs den Australier Mathias Cormann unterstützt. «Die Schweiz hat auf den richtigen Kandidaten gesetzt. Statt blind die EU und deren Kandidatin zu unterstützen, hat sie Cormann gewählt, der den Interessen der Schweiz als weltoffene Volkswirtschaft besser entspricht», schreibt Feusi.
Und auch Somm griff in die Tasten. Das Bild zu seinem Artikel «Die Tage des Nebels sind gezählt» fotografierte Klarsicht-Verwaltungsratspräsident Konrad Hummler (gute Idee, so kann man Lizenzkosten sparen). Somm liefert nun aber nicht – wie man hätte erwarten können – eine Lobeshymne auf sein neues Onlinemagazin. «Dreissig Jahre lang hat die Linke geherrscht. Ihre Utopien sind verdampft. Wir stehen am Anfang einer neuen Epoche», schreibt er. Die Züge dieser Epoche würden allerdings noch im Nebel liegen. «Jede Partei, ob rechts oder links, ringt um die Gewissheit, überhaupt noch ein politisches Anliegen zu haben», so Somm.
Wo bleibt die Satire?
Die Reaktionen auf den neuen Online-Nebelspalter liessen am Donnerstag nicht lange auf sich warten. Einer, der nebelspalter.ch genau unter die Lupe nahm, ist Satiriker Karpi. Er stellte auf Twitter fest: «Der neue Nebelspalter startet komplett ohne Satire.»
Der neue @nebelspalter startet komplett ohne Satire. (oke ein mickriger Cartoon). Sind das Ladehemmungen? War das alles nur ein Ablenkungsmanöver? Oder ist's ein Blindgänger? Wir bleiben dran.
— Karpi (@karpi) March 18, 2021
Nicht nur Karpi äusserte sich auf Twitter zum neuen Nebelspalter. Der Tenor war vorwiegend kritisch:
Klar liberal? Guter Witz - aber halt nicht lustig.
— Charly Einstein (@CharlyEinstein) March 18, 2021
Ich habe mich auf ein Satire-Magazin eingestellt, nicht auf ein Pathos-Magazin.
— Stefan Schlegel (@schlegel_stefan) March 18, 2021
Ah! Endlich mal etwas komplett ohne satirischen Ansatz, Glossen oder sonstige Jokes. Einfach mal furztrocken und Langweilig. Tut auch mal gut in diesen Zeiten! #Nebelspalter
— Dominic Deville (@gangdeville) March 18, 2021
Der Fairness halber: Es gibt in den sozialen Medien durchaus auch vereinzelt positive Stimmen zu lesen. Möglicherweise sind diese aber satirisch gemeint. Denn wie Tamara Wernli in ihrem ersten Nebelspalter-Video sagt: «Realität und Satire sind ja heute kaum noch voneinander zu unterscheiden.»
Und wie zufrieden ist Somm?
«Heute, um 7 Uhr, Mitteleuropäische Zeit, ist der Nebelspalter ins Weltall gestartet. Alles hat einwandfrei gespielt, kein Absturz, keine Tränen, keine Explosion», schrieb Chef Somm in einem Newsletter eine Stunde nach dem Go-live. Am Donnerstagabend war er auch zu Gast im Clubhouse-Talk von persoenlich.com. «Ich bin sehr zufrieden nach dem ersten Tag. Es war eine grosse Erleichterung, dass das Ganze endlich läuft. Die Abo-Verkäufe sind gut gestartet», so Somm. Zahlen wollte er jedoch noch keine nennen.
Der Nebelspalter habe am ersten Tag viel Aufmerksamkeit bekommen. «Das setzt uns aber auch unter Druck. Die Bewährungsprobe wird in sechs Monaten kommen», so Somm weiter. Zum Thema Satire sagte er, dass diese nicht verschwunden sei. «Wir haben nur zum Start die Prioritäten anders gesetzt. Wir haben angefangen, als wäre der Nebelspalter nie eine Satire-Zeitung gewesen. Das war nicht ideal.»
Auf die Frage im Feierabend-Talk, ob es Zufall sei, dass nebelspalter.ch ausgerechnet am amerikanischen «Tag der peinlichen Momente» online ging, meinte Somm mit einem ironischen Lachen: «Natürlich war das alles so geplant.»
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26.03.2021 14:33 Uhr