28.03.2006

Ringier lanciert mit "heute" eine Gratiszeitung für den Abend

Im Hause Ringier ist das Gründungsfieber ausgebrochen: Nur wenige Wochen nach Bekanntgabe der Lancierung von Cash daily kündigte der Konzern am Dienstag an, noch vor Sommer mit "heute", einer Gratiszeitung für den Abend zu starten. Das Pendlerblatt soll werktags in einer Auflage von 200'000 Expemplaren in Basel, Bern und Zürich verteilt werden. "persoenlich.com" sprach mit Bernhard Weissberg, "heute"-Chefredaktor und publizistischer Leiter des Ringier-Zeitungsbereichs, über die Erfolgsaussichten der neuen Abendzeitung. Das Interview:
Ringier lanciert mit "heute" eine Gratiszeitung für den Abend

Herr Weissberg, Ringier gibt innerhalb weniger Wochen die Lancierung von zwei Gratiszeitungen bekannt. Woher dieses Gründungsfieber?

Wir müssen uns immer wieder fragen, wohin sich die Medienbranche entwickelt. In unserem Unternehmen gibt es in verschiedenen Bereichen Mitarbeiter, die Initiative ergreifen und Ideen für neue Projekte entwickeln. Nun haben sich zwei fast zeitgleich kristallisiert. Beide wurden getrennt, aber stets im Wissen des anderen verfolgt und sie ergänzen sich gut. Ich verstehe es als gutes Zeichen, wenn ein Unternehmen so viele verschiedene Projekte verfolgen kann. Zudem laufen viele neue Projekte von Ringier im Ausland und die werden hier in der Schweiz kaum wahrgenommen.

Ringier agiert in der Schweiz weniger erfolgreich als im Ausland. Sucht der Konzern im "Try-and-Error"-Verfahren nach neuen "Cashcows"?

Die Branche befindet sich im Umbruch. Die digitale Welt ist eine Tatsache und wir müssen uns überlegen, was das für unsere Printprodukte bedeutet. Ich würde es aber nicht negativ sehen: Wenn Sie sich die jetzt veröffentlichten Leserzahlen der Wemf anschauen, dann werden Sie sehen, dass nicht nur die Gratiszeitungen, sondern auch alle anderen Tageszeitungen gut gelesen werden. Es gibt keinen Einbruch bei den Leserzahlen – auch wenn alle sagen, das Medium Zeitung sei tot. Mir zeigt diese Entwicklung, dass das alte Medium Zeitung auch für jüngere Leser durchaus attraktiv ist.

Besteht nicht die Gefahr, dass der Markt mit den zwei neuen Gratiszeitungen übersättigt wird?

Der Markt ist überhaupt nicht gesättigt, es kommt ja immer weniger Werbung herein (lacht). Nein, im Ernst: Wir sind gezwungen, neue Angebote zu lancieren. Dabei sehe ich im Falle von "heute" im Anzeigengeschäft gute Kombinationsmöglichkeiten mit dem Blick. Wir lassen zudem den Blick auch nicht einfach liegen. Schon im April gibt es bei ihm einen Entwicklungsschritt, weitere werden folgen.

Wie wollen Sie verhindern, dass der Blick durch "heute" weiter an Lesern verliert?

Die Entwicklung der Leserzahlen spricht gegen die verbreitete Annahme, dass die Gratiszeitungen den kostenpflichtigen Zeitungen alle Leser wegnehmen. 20 Minuten hat innerhalb weniger Jahren rund eine Million Leser dazu gewonnen. Es wird in der Branche zwar immer wieder über den Blick geschnödet, dabei wird aber übersehen, dass seine Leserzahlen ziemlich stabil geblieben sind. Auch deshalb finde ich die Kritik an Blick-Chefredaktor Werner De Schepper und seinem Team für ungerechtfertigt.

Wie sieht in inhaltlicher Hinsicht die Aufgabenteilung zwischen "heute" und dem Blick aus?

In "heute" können wir Promotion für den Blick vom kommenden Tag machen -- wie auch umgekehrt. Dabei dürfen wir aber nicht vergessen, dass "heute" und der Blick zwei völlig verschiedene Zeitungen sind.

Inwiefern werden sich die beiden Titel unterscheiden?

Gratiszeitungen sind zurückhaltend und oft glatt wie Teflon: Sie haben nicht den Anspruch zu provozieren und Meinungen zu verbreiten. Ihre Leser -- die Pendler -- wollen vor allem ein Update des Geschehens. Die Boulevardzeitung im Gegenzug deckt auf, steht für etwas ein und provoziert. Wir müssen diese zwei unterschiedlichen Macharten von Zeitungen respektieren.

Mit welchem inhaltlichen Konzept wollen Sie die Pendler von "heute" überzeugen?

Am späten Nachmittag und Abend haben die meisten Menschen acht bis zwölf Stunden gearbeitet. Deshalb müssen wir eine breite inhaltliche Palette anbieten. "heute" soll einerseits darüber informieren, was bis Anfang Nachmittag passiert ist. Andererseits wird das Blatt einen Ausblick auf den heutigen Tag bieten. Deshalb auch der Titel "heute". Der Leser wird darüber informiert, was er am Abend noch unternehmen kann und wo er die sogenannten "In-Places" findet. "heute" ist in diesem Sinne auch ein Stadtmagazin. Diese Inhalte würzen wir noch mit anderen Stoffen, von denen wir glauben, dass sie das eine oder andere Bedürfnis des Lesers treffen.

Diente Ringier bei der Konzeptausarbeitung von "heute" ein ausländischer Titel als Vorbild?

Nein, wir sind uns unser eigenes Vorbild.

Warum erscheint "heute" am Abend? Fürchtet Ringier die Konkurrenz zu 20 Minuten?

Wir glauben, dass am späten Nachmittag und frühen Abend eine Lücke in der Mediennutzung besteht. Das zeigen im Übrigen auch Feldforschungen.

Ist es kein Problem, dass schon um 13-14 Uhr Redaktionsschluss ist?

Wir verstehen die News als Grundversorgung. Die Leser wissen, dass die Verarbeitung der Meldungen eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt. Ich sehe da kein Problem. Die junge Generation halte ich für sehr medienbewusst.

Haben Sie Ihr 15-köpfiges Redaktionsteam schon zusammengestellt?

Nein, aber ich habe heute schon viele Bewerbungen erhalten.



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