Am Dienstagmorgen, kurz nach 8 Uhr, kommt es in einem Kommissionszimmer des Bundeshauses zu einem medienpolitischen Showdown. Die Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen (KVF) des Nationalrates hat Medienpionier Roger Schawinski und Jürg Bachmann, Präsident des Verbandes Schweizer Privatradios VSP, zu einer Anhörung eingeladen.
Der Grund für das Hearing ist die Frage, ob die UKW-Sender im nächsten Jahr definitiv abgeschaltet werden sollen (persoenlich.com berichtete). Für Radio-1-Chef Schawinski ist diese Einladung mehr als nur ein Prestigeerfolg, zumal man vielerorts davon ausging, die Sache sei politisch bereits gelaufen.
Geholfen haben dem Radiounternehmer seine Petition «Rettet UKW» mit über 60'000 Unterschriften sowie die parlamentarische Unterstützung bekannter Politiker wie Mitte-Präsident Gerhard Pfister, SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi, FDP-Ständerat Ruedi Noser oder Grünen-Nationalrätin Regula Rytz.
Nur bei den Sozialdemokraten – Medienministerin Sommarugas Partei – mag sich niemand für die Sache einsetzen. Trotzdem mochten – bis jetzt – weder die anderen Privatradios noch die SRG Schawinskis Argumentation folgen. Sie beharren weiterhin auf der geplanten Abschaltung.
Bachmann: «Auch Radios wollen digital werden»
Diese Position wird auch VSP-Präsident Jürg Bachmann am Hearing nochmals bekräftigen, wie er gegenüber persoenlich.com ausführte: «Wir werden den Parlamentarierinnen und Parlamentariern darlegen, dass auch die Radios ganz digital werden wollen. So wie es die Hörerinnen und Hörer grossmehrheitlich schon sind. Zu diesem Zweck haben private und ein öffentlich-rechtliches Unternehmen gemeinsam einen Plan entwickelt und eine Vereinbarung getroffen. Das ist in ganz Europa einzigartig. Und alles im Rahmen der geltenden Gesetze und Konzessionen.»
Für Schawinski hingegen ist das schnell eingesetzte Hearing im Bundeshaus der Beweis, dass ein Umdenken stattgefunden habe. Auch den Vorwurf, dass seine Aktion zu spät komme, mag er nicht gelten lassen: «Zu spät ist es erst, wenn die Abschalthebel betätigt werden.»
Radiosender gehörten zur Serviceindustrie, so Schawinski, ihre Existenzberechtigung sei es, die Interessen des Publikums abzudecken. Bei der geplanten Lösung werde dies nun auf den Kopf gestellt. Damit die Betreiber einige schlappe Millionen einsparen könnten, sollten die Konsumenten mindestens 600 Millionen aufwerfen müssen, so der Kassensturz-Erfinder.
Sein Schreckensszenario bei der UKW-Abschaltung: «Millionen von voll funktionsfähigen UKW-Empfängern sollen auf Befehl von oben zu Elektroschrott werden. Und die Sicherheit auf den Strassen wird gefährdet, vor allem in Tunnels. Und, und, und.»
Diese Argumentation will Bachmann nicht gelten lassen. Er will vor den Nationalräten darlegen, dass die Verkehrssicherheit auch nach einer UKW-Abschaltung für ausländische Touristen weiterhin gegeben sei, dass es in der Schweiz für den Abbau des vielfältigen Elektroschrotts (nicht nur von alten Radiogeräten!) angemessene Konzepte gäbe und der Weiterbetrieb von UKW für eine immer kleinere Hörerschaft auch energetisch Verschwendung sei. Für Bachmann ist es wichtig, dass das Parlament diesen privatwirtschaftlichen Prozess weiterhin der Branche überlasse.
Plan komme nicht aus heiterem Himmel
Sicherlich zur Sprache kommt beim nationalrätlichen Hearing auch Schawinskis Hauptargument, wonach viele Hörerinnen und Hörer im nächsten Sommer überrascht und auch schockiert sein werden, wenn sie plötzlich nur noch ein Rauschen aus ihren UKW-Radios vernähmen.
Der Medienpionier stützt sich auf eine Studie, wonach immer noch weit mehr als die Hälfte der Autos lediglich mit einem UKW-Empfänger ausgestattet seien.
Für Bachmann ist dieses Argument unverständlich: «Schockiert? Dieser Plan kommt wirklich nicht aus heiterem Himmel. Die Digitalisierungsstrategie für die Radios hat der Bundesrat 2006 festgelegt. Die Umsetzung wurde im Jahr 2014 bestimmt und von Bundesrätin Leuthard abgesegnet. Seither gab es zahlreiche Kommunikations- und Werbekampagnen. Sie haben viel ausgelöst. Nur noch 12 Prozent der Hörerinnen und Hörer nutzen ausschliesslich UKW. Auch sie wollen wir auf DAB+ oder IP-Radio bringen. Aber klar: ein kleiner Teil der Hörerschaft wird Unterstützung brauchen. Das war bei der Abschaltung von Mittelwelle und DVB-T auch so. Diese Unterstützung werden wir leisten.»
Pikant, Medienministerin Leuthard hat mittlerweile – wie auch ihr Vorgänger Moritz Leuenberger – bekundet, dass die Abschaltung des UKW-Netzes doch zu früh käme.
Bachmann – wie auch der Rest der Radiobranche und der SRG – glauben hingegen, dass der geplante Wechsel auf DAB+ problemlos verlaufen würde: «Wir alle hören die Radioprogramme. Kein Mensch hört eine Technologie. Gewohnheiten werden wegen Inhalten geändert. Deshalb gibt es schon heute Wechsel- oder Mehrfachhörer.»
SRG am frühesten betroffen
Interessant an der ganzen Diskussion ist auch, dass sich die SRG als grösster Rundfunkbetreiber des Landes auffällig zurücknimmt. Gemäss Edi Estermann, Leiter der SRG-Medienstelle und Sprecher der Generaldirektion, stehe die SRG weiterhin zur getroffenen Branchenvereinbarung. Auch bei einer allfälligen Anpassung dieser Vereinbarung zeige man sich weiterhin solidarisch mit der Branche, so Estermann gegenüber persoenlich.com.
Die SRG trifft die Abschaltung des UKW-Netzes am frühesten. Während der öffentlich-rechtliche Rundfunk bereits im Sommer 2022 vollständig auf DAB+ wechselt, sind die Privatradios gemäss Plan erst ein halbes Jahr später dran.
Für Jürg Bachmann völlig verständlich: «Die Privatradios haben ein anderes Geschäftsmodell als die SRG. Sie finanzieren sich grossmehrheitlich über Werbe- und Sponsoringeinnahmen. Der Verlust von Hörern, auch ein geringer und nur zeitweiliger, kann wirtschaftlichen Schaden anrichten. Um solchen zu vermeiden, geht die SRG bei der Variante, die wir bevorzugen, mit ihrer UKW-Abschaltung voraus. Sie wird einen grossen Teil der Kommunikationsarbeit übernehmen. Davon profitieren die Privatradios. Es ist ein Teil der erwähnten Vereinbarung und der SRG gebührt Dank dafür.»
Der Präsident des Privatradioverbandes will daraus aber keinen Wettbewerbsvorteil ziehen, wie er gegenüber persoenlich.com weiter ausführt: «Die SRG und Privatradios haben schon früh miteinander vereinbart, dass die Digitalisierung bzw. Abschaltung von UKW von keiner Partei dafür genutzt wird, bei der anderen Hörer abzuholen. Daran haben wir uns alle gehalten. Das bleibt so.»
Politischer Kompromiss noch möglich?
Das Resultat des nationalrätlichen Hearings ist noch offen. Obwohl Bakom, SRG und der Verband der Privatradios weiterhin auf ihrer Position beharren, ist es aufgrund des politischen und gesellschaftlichen Drucks gut möglich, dass im letzten Moment ein Kompromiss gefunden wird, um Schawinskis Befürchtungen zu verhindern.
Dies könnte beispielsweise die Verschiebung des Abschaltdatums sowie eine finanzielle Entschädigung für Radiostationen, die eigene UKW-Sender betreiben, sein. In der Herbstsession will sich auch noch der Ständerat dem Thema annehmen.