22.01.2023

Künstliche Intelligenz

So arbeiten Roboter bei den Medien mit

Braucht es bald keine Journalistinnen und Journalisten mehr? Bots wie ChatGPT werden immer besser. Medienhäuser – von Ringier über Tamedia, CH Media, SRF und weitere – haben auf diese Entwicklung reagiert. persoenlich.com zeigt auf, wohin die Reise in diesem Jahr geht.
Künstliche Intelligenz: So arbeiten Roboter bei den Medien mit
Bereits Realität: Auf Schweizer Redaktionen schreiben Textroboter mit. (Bild: iStock/Tom Sompong)
von Christian Beck

Der auf künstlicher Intelligenz basierende Bot von OpenAI, ChatGPT, ist derzeit in aller Munde. «Das wird die Welt verändern, mehr und schneller als Metaverse, Web3 und alles, was letztes Jahr gehypt wurde», sagte Ladina Heimgartner, CEO der Blick-Gruppe, kürzlich an der Dreikönigstagung (persoenlich.com berichtete). Doch wie stark setzen Schweizer Medienhäuser bereits jetzt auf künstliche Intelligenz (KI)? Und was ist in der Pipeline?

Bleiben wir bei der Blick-Gruppe. «Auf unserer Homepage setzen wir seit mehreren Jahren KI-Technologien ein, um unseren Userinnen und Usern gezielt Inhalte zu ihren persönlichen Interessen und deren Nutzungsverhalten anbieten zu können», so Sprecher Daniel Riedel. Konkret: Ein Sportfan bekommt auf der Homepage oder der App gezielte Sportinhalte angezeigt, während eine Userin mit Interesse an den Royals gezielte Showinhalte erhält. Im Artikel oder Video werden dann weitere Beiträge empfohlen, die den jeweiligen Vorlieben entsprechen.

«Die KI-gesteuerte Ausspielung unserer Inhalte wird laufend optimiert und perspektivisch auf mögliche andere Anwendungsbereiche erweitert. Dazu zählt auch der personalisierte Versand von Newslettern und Push-Nachrichten», so Riedel weiter. Bei Blick TV werden die Beiträge auf Schweizerdeutsch vom Respeaking-Team live eingesprochen, damit sie die Userin im Untertitel direkt auf Schriftdeutsch lesen kann. «Dieser Inhalt wird dank KI gleichzeitig im Redaktionssystem gespielt, sodass er den Redaktorinnen und Redaktoren unmittelbar als Textbeitrag zur Verfügung steht. Mit jedem Beitrag lernt das System hinzu und merkt sich Wörter und Grammatik.»

Suche in Audiodateien dank KI einfacher

Bei Schweizer Radio und Fernsehen SRF denken in verschiedensten Bereichen nicht mehr nur Menschen mit. So werden die Medienschaffenden bei der automatischen Transkription unterstützt – das heisst, mündliche Interviews werden durch eine künstliche Intelligenz zu schriftlichem Text. Durch die Verknüpfung von Video oder Audio mit dem Transkript kann ein Beitrag einfacher geschnitten werden. Auch die Suche nach mündlich gemachten Statements ist dank eines Transkripts einfacher.

Teilweise werden auch Radiosendungen transkribiert und so archivarisch erschlossen, wie es auf Anfrage bei SRF heisst. Der sogenannte Speech-to-Text-Service könne auch unterschiedliche Personen voneinander unterscheiden und im Transkript entsprechend ausweisen. Dank Machine Learning würden auch Sendungssignete auf langen Archivdateien automatisch erkannt. «Dies reduziert den Aufwand für die Erschliessung und die folgende Archivöffnung von digitalisierten Audiobeständen markant», so eine SRF-Sprecherin.

Automatisierte Übersetzungen durch eine KI sind bei 20 Minuten bereits jetzt an der Tagesordnung. Sämtliche Newsartikel sind so in neun verschiedenen Sprachen zu lesen. «Ebenfalls unterstützt uns eine KI dabei, den täglichen Newsletter ‹Das hast du verpasst› für unsere eingeloggten Nutzerinnen und Nutzer – basierend auf den persönlichen Interessen – zusammenzustellen», so Eliane Loum-Gräser, Leiterin Kommunikation 20 Minuten. Auf dem gleichen Prinzip basiere auch die personalisierte Front «MyView», bei der die ersten Artikel nach Nutzerinteresse angezeigt werden, gefolgt von den durch die Redaktion gewichteten Storys (persoenlich.com berichtete).

20 Minuten zeige sich offen für neue Technologien, Entwicklungen würden sehr genau beobachtet. «Heute setzen wir bereits künstliche Intelligenz ein, wo es die Arbeitsabläufe erleichtert oder zusätzliche Angebote für die Nutzerinnen und Nutzer ermöglicht. Dies mit dem Ziel, mehr Fokus und Zeit in die journalistische Eigenleistung investieren zu können», so Loum-Gräser. «Letztlich ist es die Arbeit unserer Mitarbeitenden, die dem Angebot von 20 Minuten ihren eigenen Pinselstrich verleiht und es von anderen differenziert.»

Tool hilft bei der Bildauswahl

Künstliche Intelligenz beschäftigt Tamedia bei der Berichterstattung und auf technischer Ebene. «Aktuell kann KI beim Finden eines passenden Fotos für einen Artikel hilfreich sein», so Tamedia-Sprecher Philip Kuhn. «Dieser Anwendungsfall basiert auf einem neuronalen Netz, welches Archivbilder durchsucht. Das Tool findet Übereinstimmungen nicht nur basierend auf den mitgelieferten Bildbeschriftungen, sondern auch auf dem, was effektiv auf dem Bild zu sehen ist: eine Tierart, eine Personengruppe bei einer bestimmten Sportart beispielsweise oder ein bestimmtes Gesicht.»

Erst letzten November hat zudem der Tages-Anzeiger mit einem KI-Special den Leserinnen und Leser praxisnahe Beispiele und Tools vorgestellt. Dabei wurden unter anderem Texte, aber auch ein Podcast mittels künstlicher Intelligenz produziert. «Seit Kurzem wirft ausserdem der Comedian Karpi wöchentlich für die Tamedia-Zeitungen eine aktuelle Frage zur Newslage auf, und eine künstliche Intelligenz antwortet in Bildern», so Kuhn.

Apropos Karpi: Einen weihnachtlichen Einsatz erlebte die künstliche Intelligenz bei der Republik. «Wir haben den Dezember über einen Adventskalender publiziert, den Constantin Seibt und Karpi zusammen mit einer KI geschrieben haben. Es gab jeden Tag zwei Türchen (=Beiträge) im Journal, und sowohl Text- als auch Bild- und Audioinhalte», so Co-Geschäftsführerin Katharina Hemmer.

Das Onlinemedium Watson nutzt künstliche Intelligenz über den Röstigraben hinweg. «Wir nutzen KI vor allem in der Kommunikation mit den Kolleginnen und Kollegen aus der Westschweiz. Übersetzungen von DeepL waren schon lange vor ChatGPT sehr, sehr gut», so Watson-Geschäftsführer Maurice Thiriet. Auch seien ChatGPT-Ergebnisse im Sinne eines alternativen Storytelling-Formats verwendet worden. Ausserdem: «Wir verwenden KI in Zusammenhang mit unserer redaktionellen Recommendation Engine.» Diese gebe an, welche Zusatzelemente wie Polls, Kontextstorys, Quiz et cetera zu welcher Story am wahrscheinlichsten performen würden.

Textroboter verfassen Abstimmungstexte

Das Potenzial künstlicher Intelligenz wird auch bei CH Media in diversen Bereichen genutzt. «Unsere Artikel werden beispielsweise mithilfe einer KI-Anwendung automatisch mit Schlagworten versehen», so CH-Media-Kommunikationschef Stefan Heini. «Zudem sammeln wir Erfahrungen mit automatisierten Artikeln, die mit ausgeklügelten Algorithmen aus Daten fertige Texte generieren: Beispielsweise auf den Gemeindeseiten unserer Bezahlzeitungen bieten wir auch entsprechende News aus Gemeinden und über Sportvereine, die teilweise automatisiert generiert werden, wie zum Beispiel zu Abstimmungen, Spielergebnissen oder Baugesuchen.»

Auch bei der Nachrichtenagentur Keystone-SDA arbeiten Roboter mit. «Unser Aushängeschild im Bereich Automated Content ist unser Textroboter Lena», so Sandro Mühlebach, Leiter Content Development bei Keystone-SDA, zu persoenlich.com. Bei den nationalen und kantonalen Abstimmungen würde Lena automatisierte und mehrsprachige Kurztexte von den Resultaten in allen Gemeinden produzieren und diese auf teilweise regionalisierten Karten visualisieren (persoenlich.com berichtete bereits 2018 über Lena). «Während der Corona-Pandemie hat Lena gelernt, aus den wöchentlich aktualisierten Zahlen des BAG mehrsprachige Meldungen zu schreiben», so Mühlebach. Und weiter: «Im Sport müssen die Redaktoren schon seit vielen Jahren nur die Resultate eingeben, um daraus automatisierte Resultate- und Tabellen-Meldungen in unterschiedlichen Formaten und Sprachen zu generieren.»

Ein Automatisierungs- und KI-Projekt muss laut Mühlebach mindestens eine der nachfolgenden Anforderungen erfüllen: «Unseren Kunden einen Mehrwert bieten, der eigenen Redaktion Routine- und Fleissarbeiten abnehmen oder Synergien zwischen unseren unterschiedlichen Formaten herstellen.»

«Interne Arbeitsgruppe gegründet»

Im laufenden Jahr werden die Medienhäuser noch viel stärker auf künstliche Intelligenz setzen. So durfte bei CH Media ChatGPT vor einigen Tagen bei einem Text mitschreiben. Doch damit nicht genug: «Wir experimentieren. Konkrete Projekte möchten wir aber keine nennen», so Sprecher Stefan Heini. «Klar ist, dass das Thema für uns relevant ist.»

ChatGPT sei nur eine von zahlreichen globalen Entwicklungen in diesem Bereich, sagt Sandro Mühlebach von Keystone-SDA. «Wir verfolgen sie mit grossem Interesse.» Für die Nachrichtenagentur seien die Eidgenössischen Wahlen 2023 ein Leuchtturmprojekt. «Auch da wird Lena eine wichtige Rolle einnehmen. Erste Weiterentwicklungen werden bereits bei den kantonalen Wahlen im Februar in Zürich getestet werden.» Das neu geschaffene Content-Development-Team entwickle «mit grosser Dynamik» aus Daten automatisierte Text- und Visualisierungsbausteine, die vertiefte Aussagen und Einordnungen ermöglichen würden. Mühlebach: «Lena unterstützt die Redaktion in Geschwindigkeit und Präzision – darum lieben wir sie so sehr, unsere Lena.»

Maurice Thiriet von Watson sagt: «Wir testen immer wieder die Self-Learn-Performance von KI-Programmen in Zusammenhang mit der Kommentarmoderation. Bisher ohne durchschlagenden Erfolg, aber da geben wir auch dieses Jahr nicht auf.»

Die Blick-Gruppe testet den Einsatz von ChatGPT bei der Erstellung und Weiterverarbeitung von redaktionellen Texten oder auch als Fremdsprachen-Tool. «Wir gehen davon aus, dass KI in diesem Jahr nachhaltig zum Durchbruch kommt und haben rund um das Thema ChatGPT eigens eine interne Arbeitsgruppe unter der Leitung von Marco Rüegger, Chief Product Officer der Blick-Gruppe, gegründet», so Daniel Riedel. «Dort wird anhand möglicher Use-Cases geprüft, wie wir in verschiedenen Tätigkeitsbereichen, wie beispielsweise Produktentwicklung, Newsroom, SEO und Content Commerce von ChatGPT profitieren können.» Denkbar seien hier ein konkreter Support bei Headline-Varianten und die Optimierung von Meta-Titeln. Eine KI, die Redaktorinnen und Redaktoren beim Schreiben unterstütze («Assisted Writing»), erleichtere nicht nur die Erstellung von Artikeln, sondern schaffe so auch zusätzliche Kapazitäten für zentrale journalistische Tätigkeiten wie hintergründige Recherchen und Vor-Ort-Berichterstattungen.

Roboter kennt sich mit Jassen aus

Der Einsatz neuerer künstlicher Intelligenz im Sinne von leistungsfähigen Sprachmodellen, wie ChatGPT, finde bei Tamedia bisher höchstens experimentell statt. «Klar ist: Das Thema wird Tamedia auch 2023 weiter beschäftigen. In welcher Ausprägung müssen Tests und weitere Entwicklungen zeigen», so Philip Kuhn.

Momentan keine konkreten Pläne mit Blick auf künstliche Intelligenz hat die Republik. «Insbesondere im Bereich Community und Support geht es bei uns ja gerade um den Austausch zwischen Menschen», so Katharina Hemmer. Die Entwicklungen im Bereich KI werden aber natürlich mitverfolgt.

Konkreter ist SRF und prüft aktuell das Potenzial von ChatGPT und GPT-3. «Wir entwickeln aktuell eine KI-Roadmap für die nächsten Jahre», heisst es. «Beispiele von den identifizierten Use Cases sind: Unterstützung im Videoschnitt, Umformatierung von Texten, Analysen von Texten, Objekterkennung und Verschlagwortung von Audio, Video, Bild und Text und Themenclustering.» Für das laufende Jahr werde der Fokus auf der Weiterentwicklung der Sprechererkennung und die Unterstützung im Videoschnitt für Sport-Events liegen.

Und künftig wird die künstliche Intelligenz gar mitjassen. «Wir entwickeln eine Jasskartenerkennung, die in Jasssendungen eingesetzt werden kann», so die SRF-Sprecherin. Das Tool soll automatisch die Karten während eines Livespiels aus dem Videostream zählen. Das Tool wird so die Art der Karte erkennen, ihren Wert zum jeweiligen Spieler und zum aktuellen Spielstand addieren. Wann die menschlichen Schiedsrichter überflüssig werden, steht derweil in den Sternen.



Von persoenlich.com angefragt wurde auch die NZZ.



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Kommentare

  • Werner Furrer, 23.01.2023 10:24 Uhr
    «Künstliche Intelligenz» ist ein vielfältiges Gebiet und keine Erfindung unserer Zeit. Dass ein Computer Texte in graphischer Form lesen und in digitale Zeichen übersetzen kann, ist z.B. ein Teil dieses Fachs oder die Übersetzung von Text in eine andere Sprache, das Erkennen von Stimmen usw. Auch nicht neu ist, dass man sich mit diesem Schlagwort immer wieder profilieren kann.
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