Herr Hildbrand, haben Sie Ihren Platz im Altersheim schon reserviert?
Nein, noch nicht. Ich empfinde nämlich die meisten Gleichaltrigen älter als mich selbst. Viele meiner Freunde – von 20- bis 80-jährig – sagen oft zu mir: «Du bisch eifach en coole Siech». Ich empfinde alle Leute als jung, die noch lachen, leben, lieben und arbeiten können. Und von daher fängt für mich das Altsein mit 100 an.
Warum denken Sie, hat Ihre TV-Kritik so viele Reaktionen ausgelöst (persoenlich.com berichtete)?
Ich bin seit 45 Jahren im Journalismus, komme vom Boulevard, der immer wieder Leserbriefe provozierte. Und trotzdem bin ich überrascht, vor allem, wenn man beachtet, was sonst noch auf der Welt los ist. Die Welt brennt, auch in der Wirtschaft. Ich traf gerade erst jemanden, der seinen Job verloren hatte. Und dann kann man sich ab einer solchen TV-Kritik aufreiben? Vermutlich deshalb, weil es ein Thema ist, bei dem jeder mitreden kann. In einer Zeit, in der sich viele Leute ohnmächtig fühlen in Anbetracht dessen, was sich weltpolitisch derzeit abspielt, krallt man sich an einem solchen Thema fest. Es kommt mir vor wie an einer Fussball-WM: Über Fussball hat auch jeder eine Meinung.
Sie schrieben unter anderem während 27 Jahren für den «Blick», später waren Sie Chefredaktor von «TV-Star». Hat jemals ein Artikel von Ihnen für ein derart mediales Aufsehen gesorgt?
(bestimmt) Nein! Das ist der reine Wahnsinn. Das habe ich in meiner ganzen langen Karriere noch nie erlebt. Ich erhalte pausenlos Telefonanrufe, gab bereits etwa neun Radiointerviews und weitere zwölf Interviews mit Online- und Printtiteln. Ich bekam auch Zuschriften unter anderem von bekannten Persönlichkeiten, die sich nicht in einem Kommentar exponieren wollten. Ich zählte extra nach: 136 private Mails und 54 SMS sind eingegangen. Auf jede anständige Zuschrift antwortete ich auch. Aber langsam schaffe ich es nicht mehr und muss vermutlich mit einem Rundmail antworten. Es gab in den letzten beiden Tagen tatsächlich etwas wenig Schlaf.
Ein Grossteil der Kommentarschreiber bezeichnete Sie als gehässig, antiquiert, chauvinistisch, despektierlich und menschenverachtend. Erkennen Sie sich wieder?
Überhaupt nicht. Wer mich näher kennt, weiss, dass dies nicht so ist – ich kann jetzt nicht 500 Referenzen angeben. Man kann nur erfolgreich Journalismus machen über Jahrzehnte, wenn man an Menschen interessiert ist. Nichts ist so spannend wie ein Mensch. Ich bin ein Menschenfreund. Und vor allem habe ich auch die Frauen sehr gerne – ich finde Frauen etwas Wunderbares.
Stichwort Frauen: Der Medienpranger bezeichnete Sie als sexistisch, weil Sie kaum über den Moderationsstil von Bestgen sprachen, sondern hauptsächlich über ihre Tattoos. Warum haben Sie sich nicht auf die berufliche Leistung beschränkt?
Ich staune, dass der Journalismus teilweise in einem desolaten Zustand ist. Auch die lieben Kollegen von Radio SRF 3 erzählten in einer Mittagssendung, ich hätte Bestgens Leistung anhand der Tattoos beurteilt. Dabei schrieb ich, sie hätte sich wie eine kichernde Sekundarschülerin verhalten und sie sei als Moderatorin sehr unsicher. Ich erinnere mich an die ersten Moderationen von Annina Frey oder Viola Tami: Da erkannte man bereits ein Potenzial, ein Talent. Das stelle ich bei aller Sympathie für Bettina Bestgen bei ihr nicht fest. Aber: Sie ist sicherlich eine zauberhafte junge Frau. Ja, und dann ging ich noch auf die Tattoos ein. Und ich bleibe dabei: Ich habe nichts gegen Tattoos, aber so grossflächige Tattoos gehören nicht vor die Kamera.
Diese grossflächigen Tattoos verglichen Sie mit der Kriegsbemalung der Indianer. Dies wiederum brachte Ihnen das Prädikat Rassist ein.
Das finde ich in der ganzen Debatte das allerdümmste Argument. Rassistisch gegenüber Menschen kann man sein wegen der Hautfarbe, Augenform, Religion oder was auch immer. Es hat beim besten Willen nichts mit Rassismus zu tun, wenn man Tattoos kritisiert, die jemand selber gewählt hat. Man ist ja auch kein Rassist, wenn man eine Frisur kritisiert, die einem nicht gefällt.
Kritisiert wurde eher, wie sie es geschrieben haben. Haben Sie den Text bewusst angriffig formuliert, um zu provozieren?
Nein, überhaupt nicht. Es war Samstag, schönes Wetter und ich sehr gut gelaunt. Beim «Blick» hatte ich sogar tägliche TV-Kolumnen – wer mich kennt, weiss: Ich schreibe pointiert. Als Journalist darf man sehr viel, aber eines nicht: Die Leser langweilen. Und das habe ich offensichtlich nicht gemacht.
Hätten Sie die TV-Kritik auch verfasst, wenn ein tätowierter Mann einen Bundesrat interviewt hätte?
Selbstverständlich. Das ist keine Geschichte von Mann und Frau. Das haben einige falsch verstanden. Am liebsten würde ich mit all meinen Kritikern ein Bier trinken gehen, dann würden sie merken, dass der Hildbrand ein «glatter, ufgstellte Siech» ist. Bei einer TV-Kritik ist es wie im Kampfsport: Nur Schläge die treffen, schmerzen.
Getroffen haben Sie offenbar Bettina Bestgen. Sie schrieb auf Facebook unter einem Post von Stefan Büsser, Ihr Artikel habe sie zuerst traurig, dann hässig gemacht. Was für Gefühle erlebten Sie in den letzten Tagen?
Ich bin überwältigt von den Reaktionen. Meine Kinder fragten mit einem Schmunzeln: «Papi, was exponierst du dich so?» Ich traf einen bekannten Schauspieler auf der Strasse. Er fragte mich: «René, muss man dich wieder etwas aufrichten?». Nach einem fünfminütigen Gespräch bilanzierte er: «Ich merke, du bist euphorisiert».
Die Kritik perlt also an Ihnen ab. Lernt man das beim «Blick»?
Ich war schon immer so. Über mich kann man ganze Güllenwagen ausleeren. Da schüttelt der Hildbrand zweimal den «Grind», geht duschen und lacht danach wieder. Nur meiner Frau, meinen Kindern und meinen Enkelinnen lasse ich nichts geschehen. Die Familie ist mir heilig – da werde ich nicht zum Löwen, sondern zum gefährlichen Komodowaran (eine gigantisch grosse Echsenart, Anm. der Red.). Eines erwarte ich allerdings: Dass mein Name richtig geschrieben wird. Verfolge ich die Kommentare, schaffen das nicht mal alle SRF-Journalisten.
In Online-Umfragen unterstützt immerhin gut jeder Dritte Ihre Meinung, dass Tattoos nicht ins Fernsehen gehören. Tut das gut?
Klar, das gefällt mir auch, dass es Leute gibt, die gleicher Meinung sind wie ich. Besonders freut mich, dass auch bei «20 Minuten» mit einem bekanntlich jungen Publikum 37 Prozent der Befragten meine Kritik berechtigt fanden. Und der grösste Teil meiner Befürworter sind Frauen – das ist ein Aufsteller.
Nicht Ihrer Meinung ist Radio-Energy-Moderator Patrick Hässig. Er erwartet von Ihnen eine Entschuldigung an die Adresse von Bettina Bestgen. Kommt die noch?
Selbstverständlich nicht. Es gibt auch nichts zu entschuldigen. Bei allem Respekt für Patrick Hässig, der sich selber auch Journalist nennt: Diese Forderung ist naiv, dumm und unprofessionell. Patrick Hässig kann von mir auch eine Million oder ein Einfamilienhaus erwarten. Er kriegt es aber nicht.
Haben Sie eigentlich ein Tattoo?
Nein, ich bin vom Leben gezeichnet.
persoenlich.com fragte über die SRF-Medienstelle auch Bettina Bestgen an. Sie bedankte sich für das Angebot auf eine Replik, wollte davon aber keinen Gebrauch machen.
Lesen Sie dazu auch den Kommentar von Matthias Ackeret, Verleger und Chefredaktor von «persönlich» und persoenlich.com.
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01.04.2017 10:47 Uhr
30.03.2017 10:41 Uhr
30.03.2017 09:23 Uhr