06.02.2022

Leserbriefe

Wie PR-gesteuerte Beiträge verhindert werden

Nach dem Fall Roger E. Schärer stellt sich die Frage: Wie gehen Zeitungen mit notorischen Leserbriefschreibern um? Gilt eine Interessensdeklaration? Und ganz generell: Wie werden die Beiträge ausgewählt? Eine Umfrage bei Blick, NZZ, Tamedia und CH Media.
Leserbriefe: Wie PR-gesteuerte Beiträge verhindert werden
Leserbriefe im Blick, den Zeitungen von Tamedia und CH Media sowie in der NZZ: Welche Beiträge haben gute Chancen, in der Zeitung zu landen? (Bild: persoenlich.com/tim)

Der pensionierte Public-Affairs-Experte Roger E. Schärer ist bekannt als besonders fleissiger Leserbriefschreiber. Nun haben die Tamedia-Zeitungen berichtet, dass sich sein Leserbriefschreiben nicht strikt von seinem einstigen Engagement beim Nachrichtendienst des Bundes (NDB) habe trennen lassen. Damals brachte ihm ein Beratervertrag jährlich 60'000 Franken plus Spesen ein. Laut dem Tamedia-Artikel habe Schärer in seinen Beiträgen unter anderem die für den Geheimdienst verantwortliche Bundesrätin Viola Amherd oder den NDB-Direktor Jean-Philippe Gaudin gelobt. 

Vor diesem Hintergrund stellen sich folgende Fragen: Nach welchen Kriterien werden Leserbriefe ausgewählt? Wie werden PR-gesteuerte Beiträge verhindert? Und: Werden die Kontrollmechanismen nach dem Fall Roger E. Schärer verschärft? persoenlich.com hat beim Blick, der NZZ, den CH-Media- und Tamedia-Tageszeitungen nachgefragt.

Kaum noch Briefe über Postweg beim Blick

Bei CH Media werden die eingegangenen Schreiben von der Leserbriefredaktion nach diesen Kriterien ausgewählt: Bezug zu einem aktuellen Zeitungsartikel; örtliche Verbundenheit der Verfasserin beziehungsweise des Verfassers; inhaltliche Korrektheit; sachlicher Ton; Länge. «Ausschlusskriterien sind, wenn ein Text voller Schreibfehler ist oder aggressiv bis beleidigend ausfällt», sagt Kommunikationschef Stefan Heini. Auswärtige Verfasser und Leserbriefe zu allgemeinen Themen würden nur berücksichtigt, wenn es genügend Platz habe.

Die Blick-Redaktion erhält Leserbriefe gemäss Sprecher Daniel Riedel «nur noch sehr vereinzelt über den Postweg». Folglich seien die meisten Meinungsbeiträge, die im Blick publiziert würden, bereits zuvor als Online-Kommentare veröffentlicht worden. Von den täglich rund 7000 eintreffenden Diskussionsbeiträgen würde das «extra geschulte» Community-Team prüfen, ob der Beitrag auch den Richtlinien entspricht. Diese sind übrigens bei allen angefragten Medienhäusern sehr ähnlich und entsprechen in den zentralen Punkten jenen von CH Media.

Ausgewählt werden bei Blick die Leserbriefe für den Print vom Produktionsteam, das in Absprache mit den Blattmachern zu täglich jeweils zwei ausgewählten Themenbereichen nach Leserbriefen sucht. «Dabei wird nach Möglichkeit auf ein ausgewogenes Meinungsbild geachtet, damit sowohl Pro- als auch Contra-Stimmen sichtbar werden», so Riedel weiter.

Im Zweifelsfall Absprache mit Fachredaktoren bei NZZ

Bei der Neuen Zürcher Zeitung heisst es zur Auswahl: «Ein Leserbrief sollte inhaltlich einen Mehrwert zum veröffentlichten Artikel bieten», sagt Anja Grünenfelder, Redaktorin Community NZZ. Das könne in Form eines Widerspruchs oder einer Ergänzung sein. «Ausserdem achten wir auf die thematische Vielfalt», so Grünenfelder weiter, die betreffend Kriterien auf die Richtlinien auf der Website verweist, die für alle NZZ-Kanäle gelten. Die finale Auswahl treffe die Community-Redaktion – «im Zweifelsfall in Absprache mit den Fachredaktoren». Die NZZ erhält laut eignen Angaben jeden Tag sehr viele Zuschriften.

Auch bei den Tamedia-Zeitungen gelten betreffend Leserbriefinhalt die gleichen Regeln wie bei den Online-Kommentaren. «Wer sich nicht daran hält, wird nicht publiziert», sagt Kommunikationsleiterin Nicole Bänninger. Sie ergänzt: «Bei der Auswahl der Leserinnen- beziehungsweise Leserbriefe achten wir auf eine möglichst hohe Ausgewogenheit – sei es bei den Themen, der Abbildung unterschiedlicher Ansichten sowie natürlich auch bei den Absenderinnen respektive Absendern selbst.»

Alle Verlage setzen auf Klarnamen

In Sachen Verifikation der Identität der Leserbriefschreiber sagt Bänninger: «Anonyme Leserinnen- beziehungsweise Leserbriefe werden nur in ganz wenigen Ausnahmen berücksichtigt – und zwar dann, wenn es darum geht, die Identität der Person zu schützen.» Nicht veröffentlicht werden gemäss den Richtlinien Kommentare, die unter einem «offensichtlich frei erfundenen Nicknamen» wie «Donald Duck» verfasst werden.

Bei CH Media prüft die Leserbriefredaktion gemäss Stefan Heini mittels Internetrecherche – auch mit Einbezug des elektronischen Telefonbuchs – und/oder Rückfrage beim Verfasser per E-Mail oder Telefon. Im Zweifelsfall werde der Leserbrief nicht abgedruckt. Blick.ch-Kommentarschreiber müssen sich über das Registrationstool One Log anmelden, wobei auch die E-Mail-Adresse verifiziert wird. Gemäss Daniel Riedel werden nur Beiträge unter Klarnamen publiziert.

Und bei der NZZ heisst es zur Verifikation: «In der Regel sind die Angaben des Verfassers korrekt. Sollten wir aus gewissen Gründen die Identität anzweifeln, informieren wir uns in einem ersten Schritt bei unserem Leserservice oder im Internet», sagt Grünenfelder. Gemäss den Richtlinien werden auch bei der NZZ Pseudonyme und falsche Identitäten nicht akzeptiert.

«Eine Interessensdeklaration ist nicht nötig»

Wie werden nun aber PR-gesteuerte Beiträge wie jene auf Leserbriefseiten verhindert? «PR-Leserbriefe werden oft vom Verfasser selbst deklariert», sagt CH-Media-Kommunikationschef Stefan Heini mit Verweis auf solche Beispiele: Parteizugehörigkeit, Unternehmer, Tierschutzorganisation et cetera. Bei der NZZ-Community-Redaktion zahlt sich offenbar die Zusammenarbeit mit den Fachredaktoren aus, sagt doch Anja Grünenfelder: «Sie durchschauen interessensgeleitete Leserbriefe in der Regel sehr schnell. Falls der Brief für die Publikation freigegeben wird, wird der Hintergrund des Verfassers deklariert.»

CH Media und Blick verlangen keine Interessensdeklaration. «Sie ist unrealistisch – und auch nicht nötig», sagt Daniel Riedel, Sprecher der Blick-Gruppe. Denn: «Wer plumpe Werbung für ein Unternehmen, eine politische Person oder eine Initiative machen möchte, wird gelöscht.»

Ähnlich sieht es gemäss den Richtlinien bei Tamedia aus. Demnach werden beispielsweise Kommentare nicht publiziert, die die Leser absichtlich in die Irre führen oder täuschen. Gleich behandelt werden Eigenwerbung, Reklame für kommerzielle Produkte und politische Werbung.

Wie Vielleserschreibern Einhalt geboten wird

Der Fall Roger E. Schärer habe keine Auswirkungen auf den Umgang mit Leserbriefen, wie die Medienhäuser betonen. Der Tenor: Die Kontrollmechanismen hätten sich bewährt, eine Verschärfung sei folglich kein Thema. Heini von CH Media antwortet so: «Herr Schärer durfte seine Interessensbindung ohnehin nicht offenlegen. Das heisst: Weder eine ‹Deklarationspflicht› noch eine Recherche hätten genützt.» Zudem müsse der Aufwand betreffend Leserbriefadministration im Rahmen bleiben. Er sei bereits jetzt schon gross.

Nebst Schärer gibt es auch viele andere – weniger bekannte – Vielleserbriefschreiber. Wie wird verhindert, dass diese die Zeitung als ihr persönliches Sprachrohr nutzen? Bei CH Media gilt gemäss Heini die interne Regelung, «dass pro Monat und Autor maximal ein Leserbrief veröffentlicht wird». Damit werde automatisch sichergestellt, dass ein Autor maximal zwölf Mal pro Jahr eine Plattform erhalte.

Die Blick-Gruppe hält mit einer Statistik fest, wie oft ein einzelner Leserbriefschreiber schon abgedruckt beziehungsweise publiziert wurde. So wird gemäss Riedel gewährleistet, dass niemand überproportional zu Wort kommt. Und auch Tamedia-Zeitungen achten bei der Ausgewogenheit gemäss Nicole Bänninger darauf, dass Personen, die oft Beiträge einreichen, nicht überproportional berücksichtigt werden. Die NZZ geht laut Anja Grünenfelder so vor: «Wir prüfen vor der Publikation in unserem Archiv, wann und wie oft der Leser in den vergangenen Monaten abgedruckt wurde.»


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KOMMENTARE

Roger E. Schärer
14.04.2022 15:24 Uhr
«Persönlich» ist eine führende Fachzeitschrift für Medien, Marketing und Journalismus. Sie setzt einen ausführlichen Artikel über den Tages-Anzeiger und einen angeblich bezahlten Leserbriefschreiber als Berater des Nachrichtendienstes des Bundes und interpretiert diesen diffamierenden Artikel. Diffamierend und den inhaltlichen Wahrheitsgehalt nicht recherchierend, weil Sie den betreffenden Oberst a D, Roger E. Schärer, bereits in früheren Interviews und Beiträgen als weltweiten Netzwerker und seine internationalen Tätigkeiten dargestellt hat. Dieser Berater des NDB stellt sich in den Medien gegen den F-35 und hat sich als Milizoberst in der Direktion für Sicherheitspolitik im VBS ein intimes Wissen über Fehlleistungen und Skandale und Milliardenprojektschäden im VBS angeeignet. Auch hat er sich zur unsäglichen Führung und Entlassung des hervorragenden Direktors NDB bereits im August in den Medien geäussert und aufgezeigt, dass das VBS in der aktuellen Ukrainekrieges über keinen geführten Nachrichtendienst verfügt und der Bundesrat nicht über den Angriff auf die Ukraine am 24.Februar informiert war. Es war ein intrigant aufgestellter journalistischer Angriff auf den Oberst a D, der bekannterweise seit über 50 Jahren zu den profiliertesten Leserbriefschreibern gehört, ihn mit dem instrumentalisierten und mit geheimen Mails aus dem NDB gefütterten Tages-Anzeiger Journalisten auf Roger E. Schärer anzusetzen und ihn mit seinen Qualifikationen als bezahlten Leserbriefschreiber für den NDB zu diffamieren. Mit zwei ganzen Seiten und einem front page Titel mit Karikatur setzte sich der Journalist für das VBS in Szene mit dieser "Hintertreppengeschichte" von nicht öffentlichem Interesse (Zitat eines führenden NZZ Journalisten). Diese wurde in allen deutschsprachigen Zeitungen von Tamedia publiziert. Der Journalist hat das VBS im letzten Sommer mit seinem Artikel "So nicht, Frau Amherd!" über die Entlassung des NDB Direktors das VBS sehr verärgert. Um seine Quellen in Bern, auch zum VBS, wieder zu öffnen, hat der Journalist sich entgegen aller Regeln der Unabhängigkeit der Medien instrumentalisieren lassen und für das VBS den grössten freisinnigen Kritiker des F-35 und der wenig überzeugenden Führung dieses Departementes durch Bundesrätin Amherd ruhig stellen müssen und wollen. Es kann nicht angehen, dass hierzulande politische Institutionen Journalisten vereinnahmen, um hervorragend qualifizierte und umfassend informierte Kritiker anzugreifen und zu diffamieren. Dieser Aspekt hat in der Bearbeitung des «Persönlich»-Artikels von Tim Frei auf persoenlich.com keine Ausleuchtung und Bewertung gefunden. Dies obwohl persoenlich.com über die angegriffene Persönlichkeit durch frühere Interviews und Artikel im Bilde war. Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch an die Sonnen. Affaire à suivre.
Rolf C. Ribi
11.02.2022 16:22 Uhr
Als es in den achtziger Jahren um den Bau des Atomkraftwerks Kaiseraugst und allgemein um die Zukunft der Kernenergie ging, war die PR-Agentur Farner (heute Farner Consulting) mit der Platzierung von Leserbriefen in den Printmedien beauftragt. Ich bin überzeugt, dass die aktuelle Kampagne für neue Atomkraftwerke vor allem in der Neuen Zürcher Zeitung diesen oder einen anderen professionellen Absender hat.
Ernst Laub
07.02.2022 10:11 Uhr
Das muss ja schrecklich für die hauptberuflichen Journalisten sein, wenn die Leserkommentare - was nicht selten vorkommt - gescheiter als der redaktionelle Teil sind. Sind allerdings die Leserbriefe all zu dumm oder zu einseitig, so stelle ich mir immer vor, dass sie von der Redaktion selbst verfasst wurden........ Nun, meine Vorliebe für Medien gilt jenen, die es wagen, auch kontroversen Meinungen Platz zu gewähren. Ich denke dabei an le Figaro und die Welt.

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