Marianne Läderach, wie gross ist die Gefahr von Desinformation in der Schweiz?
Marianne Läderach: Desinformation ist längst in unserem Alltag angekommen. Sie ist Realität, und darum ist Aufklärung und Bildung von eminenter Wichtigkeit für die Gesellschaft, aber auch für jeden Einzelnen. Es ist wichtig, die Beeinflussung von Meinungen und Entscheidungen zu erkennen und zu verstehen.
Jann Jenatsch: Die heutigen Kommunikationskanäle ermöglichen die schnelle und nahezu unbegrenzte Verbreitung von Falschinformationen. Mit der rasanten Entwicklung im Bereich der künstlichen Intelligenz hat das Desinformationspotenzial noch einmal deutlich zugenommen. Die Unterscheidung zwischen Fakt und Fake wird zunehmend schwieriger. Dies ist gerade auch für die öffentliche Meinungsbildung eine grosse Herausforderung. Bundesrätin Viola Amherd äusserte sich dazu unmissverständlich: Desinformation stelle eine strategische Bedrohung für die Schweiz dar.
«Orientierung im erweiterten Informationsraum ist schwierig»
Eine repräsentative Studie des Bundesamts für Kommunikation (Bakom) zeigt: Die Medienkompetenz von Schweizerinnen und Schweizern ist eher schlecht (persoenlich.com berichtete). Macht Ihnen das Sorgen?
Jenatsch: Durch die Digitalisierung, insbesondere durch die Verbreitung von Smartphones, hat sich das Fenster zur Welt weit geöffnet. Dies ist an sich zu begrüssen. Gleichzeitig zeigt sich aber, dass die Orientierung im erweiterten Informationsraum schwierig ist. Es braucht ein Mindestmass an Medienkompetenz, um mit der Fülle von Informationen sinnvoll umgehen zu können.
Läderach: Eine Gesellschaft, die sich ihre Meinung zunehmend nur noch auf der Basis von Nachrichtenschnipseln aus den sozialen Medien bildet, deren Glaubwürdigkeit sie kaum hinterfragt, läuft Gefahr, ihre Demokratie nachhaltig zu schädigen.
Nun möchten sich die SRG, der Verlegerverband Schweizer Medien und Keystone-SDA gemeinsam für die Förderung der Nachrichtenkompetenz in der Schweiz engagieren. Wie kam es zu diesem Schulterschluss?
Läderach: Der Verlegerverband engagiert sich bereits seit über 25 Jahren mit eigenen Programmen im Bereich der Medienkompetenz. Seit zwei Jahren pflegen wir einen engen Austausch mit Keystone-SDA und der SRG zu diesem Thema und haben gemeinsam verschiedene Initiativen lanciert, so auch eine Austauschplattform für alle in diesem Bereich tätigen Organisationen. Es ist nun an der Zeit, diese Aktivitäten nach aussen sichtbar zu machen.
Henriette Engbersen: Auch die SRG beziehungsweise SRF, RTS, RTR oder RSI engagieren sich schon länger mit eigenen Projekten. Wir haben durch viele Gespräche – insbesondere mit Lehrpersonen – gemerkt, dass das Interesse an dem Thema stark zunimmt, es aber oftmals nicht leicht ist, schnell und einfach fundiertes Unterrichtsmaterial zu finden. Umgekehrt wissen wir durch die Gespräche in der Branche, dass viele gute Ideen vorhanden sind. So liegt es auf der Hand, dass wir die Brücke schlagen wollen.
Jenatsch: Es geht nur miteinander: Wir verstehen Bildung, Wissenschaft und Journalismus in einem Kreislauf, der durch das Miteinander aller die Medienkompetenz in ihrer Wirkungskraft verstärkt.
UseTheNews ist eine nationale Dachorganisation. Was möchten Sie unter diesem Dach vereinen?
Läderach: UseTheNews will Orientierung bieten, indem wir bestehende Angebote und Initiativen im Bereich der Medienkompetenz schneller auffindbar machen. Andererseits ist uns die Vernetzung der unterschiedlichen Akteure aus der Medienbranche, der Bildung und der Medienforschung sehr wichtig. Dazu wird die bestehende Austauschplattform ausgebaut.
Jenatsch: Grundsätzlich wollen wir dazu beitragen, dass das kritische Bewerten von Nachrichten, die Überprüfung von Quellen, das Verständnis von Medien sowie die sachgerechte Analyse von Informationen zu einer Art Allgemeinwissen wird. Mit der Bereitstellung von Informationen und Vernetzungsmöglichkeiten, der Bündelung von Bildungsangeboten, aber auch mit Veranstaltungen und der Stärkung der Medienforschung hilft UseTheNews uns dabei, dieses Ziel zu erreichen. Gerade der Zusammenarbeit mit Lehrpersonen kommt hierbei eine wichtige Rolle zu, da über diese die junge Generation in Sachen Nachrichtenkompetenz geschult und im Umgang mit Desinformation gestärkt wird.
Erst letzte Woche hat persoenlich.com die Initiative YouMedia von Franz Fischlin vorgestellt. Wie konkret unterscheidet sich UseTheNews von solchen Projekten?
Läderach: UseTheNews versteht sich primär als Dachorganisation und Kompetenzzentrum. Darin eingebunden werden verschiedene Partner und Angebote, wie zum Beispiel YouMedia. Eine eigene Redaktion, welche Newsangebote für junge Menschen entwickelt und verbreitet, ist nicht vorgesehen.
«In einer ersten Phase haben wir primär Lehrpersonen im Fokus»
UseTheNews.ch soll also erste Anlaufstelle werden. Welche Zielgruppen haben Sie im Visier?
Läderach: In einer ersten Phase haben wir primär Lehrpersonen im Fokus. Ein Ausbau für die breite Zivilgesellschaft erfolgt danach schrittweise.
Engbersen: Wichtig ist zudem die sprachübergreifende Zusammenarbeit. Unsere Vernetzung soll es ermöglichen, dass tolle Projekte aus der italienischsprachigen Schweiz oder aus der Romandie in der Deutschschweiz Bekanntheit erlangen und umgekehrt.
Jenatsch: Genau, wir wollen einen nationalen Beitrag leisten, die Nachrichten- und Informationskompetenz in verschiedenen Bevölkerungsgruppen sowie in verschiedenen Sektoren wie Unternehmen, Politik, Wissenschaft und Bildung anzuschieben und zu verankern. Wir wollen Übersicht schaffen, Einordnung fördern und eine freie Meinungsbildung unterstützen.
Und wie stark werden die drei Gründungspartner für Reichweite sorgen? Gibt es beispielsweise vermehrt Berichte über Nachrichtenkompetenz auf den SRG-Kanälen?
Engbersen: Die Unabhängigkeit der Journalistinnen in unseren Medienhäusern ist für uns alle ein enorm hohes Gut, und das bleibt so. Unser Ziel muss es sein, dort präsent zu sein, wo unsere Zielgruppen sind, beispielsweise bei Lehrpersonen oder bei den Wissenschaftlern. Da sind Konferenzen, Veranstaltungen oder gezielte Newsletter viel zielführender.
Herr Jenatsch, im Vorgespräch haben Sie mir erzählt, dass Sie sich seit zwei Jahren mit diesem Thema beschäftigen. Was gab den Ausschlag für UseTheNews?
Jenatsch: Medienkompetenz ist das sine qua non (Anm. der Red.: unabdingbare Voraussetzung) der Stunde. Wir haben verschiedene Akteure an einen Runden Tisch gebracht, um herauszufinden, in welcher Form wir einen sinnvollen Beitrag dazu leisten können. Die Idee einer Dachorganisation zur landesweiten Bündelung der verschiedenen Initiativen und Projekte in einem starken Netzwerk ist auf ein positives Echo gestossen. Meinolf Ellers von UseTheNews Deutschland hat uns von Anfang an darin bestärkt, die Umsetzung in der Schweiz zu verwirklichen. UseTheNews Schweiz kann also jederzeit auch auf eine internationale Community zurückgreifen.
«Wir möchten rasch sichtbare Resultate erzielen»
Und welches waren nun die grössten Hürden in den letzten zwei Jahren, bis UseTheNews schliesslich aus der Taufe gehoben werden konnte?
Läderach: Neben den Kapazitäten der am Projekt mitarbeitenden Personen ist sicher die Finanzierung eine Herausforderung. Daher freuen wir uns besonders über die rasche Umsetzung der Partnerschaft mit Mercator für den Anschub.
Engbersen: Die Vorbilder aus Deutschland und den Niederlanden haben geholfen, dass wir überhaupt eine Vorstellung entwickeln konnten, wie so eine Vernetzung und Dachorganisation aussehen könnte. Und was wir konkret in der Gesellschaft bewirken können. Dies eint uns alle drei wiederum: Wir möchten rasch sichtbare Resultate erzielen.
Wie ist UseTheNews organisiert? Als Verein oder als Firma?
Läderach: UseTheNews ist als gemeinnütziger Verein organisiert, in welchem die drei Träger die Entscheide gemeinsam fällen. Eine professionelle Geschäftsstelle setzt die vorgegebene Strategie um.
Jenatsch: Angedacht ist auch ein Expertinnenkreis als Beirat. Der Austausch mit den Partnern und die gemeinsame Entwicklung mit Wissenschaftspartnern und Bildungspartnerinnen ist uns ein grosses Anliegen. UseTheNews Schweiz ist zudem Partnerin des internationalen Netzwerks UseTheNews (Deutschland, Niederlande). Der Austausch von Wissen und Erfahrungen zwischen nationalen und internationalen Initiativen und Forschungen ermöglicht eine effektive Zusammenarbeit.
Sie erwähnen die Geschäftsstelle, die Sie ins Leben rufen möchten. Wird die von allen drei Partnern mitfinanziert?
Läderach: Eine Grundvoraussetzung für die gemeinsame Lancierung war, dass sich die Träger auch an der Geschäftsstelle engagieren.
Jenatsch: Dank der Anschubfinanzierung durch die Mercator Stiftung und der eingebrachten Eigenmittel der Trägerschaft – Projektarbeit der Initiatoren, Arbeitsplatz, Übersetzungen, Werbevolumen – sind die ersten drei Jahre gesichert.
Und wie finanzieren Sie sich danach?
Engbersen: Die Klärung der künftigen Finanzierung ist sicher eine der wichtigsten Aufgaben in der kommenden Zeit. Hier gibt es Ideen. Aber es ist klar, dass wir hier noch Lösungen suchen müssen.
Läderach: Vorstellbar sind hier zum Beispiel Mitgliedschaften und Partnerschaften, welche die Finanzierung auf ein solides längerfristiges Fundament stellen. Aber wie gesagt: Diese Fragen müssen noch erläutert werden.
«UseTheNews ist von gesellschaftspolitischer Relevanz»
Böse Zungen könnten nun sagen, dass indirekt öffentliche Gelder bei UseTheNews landen, weil die SRG und Keystone-SDA öffentliche Gelder erhalten. Was entgegnen Sie diesen Kritikern?
Engbersen: Die Medienabgabe, welche die SRG erhält, ist mit Aufgaben beziehungsweise einem Auftrag verbunden. Die sind in der Konzession festgehalten. Da gehört nebst Vermittlung von Nachrichten, Kultur oder Sport auch Bildung dazu. Unabhängig davon war es uns Dreien aber wichtig, dieses Engagement im Umgang mit Desinformation auf eigene Beine zu stellen.
Jenatsch: Auch Keystone-SDA hat einen Leistungsauftrag, die Förderung beschränkt sich auf einen klar definierten Teil unseres dreisprachigen Grundangebots. Wir sehen in der Initiative eine weitreichende Bedeutung: UseTheNews ist von gesellschaftspolitischer Relevanz, indem sie dazu beiträgt, der demokratischen Gesellschaft etwas zurückzugeben.
In der Mitteilung heisst es, dass die Initiative und deren Aktivitäten in den kommenden Wochen und Monaten ausgearbeitet werden sollen. Welches werden die ersten sichtbaren Resultate sein?
Läderach: In einer ersten Phase konzentrieren wir uns auf die Kommunikation und die Sichtbarkeit von UseTheNews. Eine Website gibt eine Übersicht über die verschiedenen Angebote und Aktivitäten. Darauf aufmerksam gemacht wird über verschiedene Kommunikationskanäle wie Newsletter und Anzeigen. Im kommenden Frühjahr wird dann eine nationale Nachrichtenkompetenz-Tagung für Lehrpersonen stattfinden.
Zurück zur Einstiegsfrage: Wie garantieren Sie mir, dass Sie mir nun keine Fake News erzählt haben?
Läderach: Unsere Aussagen lassen sich über einen einfachen Quellencheck prüfen. Zudem stehen die drei beteiligten Organisationen für Glaubwürdigkeit und verlässliche Informationen.
Engbersen: Die diversen Checks, um News zu überprüfen, helfen dabei. Und bereits in wenigen Monaten soll unsere Webseite aufgeschaltet werden, wo die diversen Angebote zu finden sind. Wenn das kein Beweis ist.
Jenatsch: Glaubwürdigkeit ist doch eine einfache Sache. Um es mit Daniel Dagan, einem israelischen Journalisten, zu sagen: Man sagt, was man tut, und man tut, was man sagt.
Jann Jenatsch, Marianne Läderach und Henriette Engbersen bilden einen Ausschuss aus dem UseTheNews-Projektteam, dem auch Larissa Bieler (Direktorin SWI swissinfo.ch), Stefan Wabel (Geschäftsführer VSM) und Hanspeter Kellermüller (CEO Keystone-SDA) angehören.