06.07.2000

Zu warm für die Werbung

Schwule dürfen kein Sexleben haben, sonst goutieren es Publikum und Werbung nicht. Neustes Beispiel: die Serie "Queer as Folk".

Schon bevor die englische Serie "Queer as Folk" im Schweizer Fernsehen zu sehen ist, hat Michel Bodmer, Programmverantwortlicher für "Delikatessen" bei SF DRS, eine Strafklage am Hals - wegen Pornografie. Im Brief an die Bezirksanwaltschaft Zürich heisst es: "Diese Soap zeigt extreme Einblicke in die perversen Sexualpraktiken der Schwulen. Als "Höhepunkt" der Soap wird die Verführung des minderjährigen Nathan (15-jährig) durch den schwulen Vince (29-jährig) gezeigt, was eindeutig den Straftatbestand von Art. 197 Ziff. 3 erfüllt." Hat hier einer die Fernsehrealität mit der Wirklichkeit verwechselt? Michel Bodmer wirft dem Unterzeichner Egon Thomen von der Arbeitsgruppe Jugend, Familie und Staat (JFUS) vor, die Klage gestützt auf einen fehlerhaften "Blick"-Artikel und in Unkenntnis der ganzen sechsteiligen Serie verfasst zu haben. Diese sei zudem nicht für die breite "Blick"-Leserschaft bestimmt, sondern für Filmfreunde mit Sinn fürs Spezielle: "Wir wollen die Serie dem Zuschauer nicht aufs Auge drücken."

Ohne Umschweife zur Sache

"Queer as Folk - Warm ums Herz" wird Bodmer in der Rubrik "Delikatessen" am Donnerstag um 23.05 Uhr auf SF 1 trotzdem zeigen. Die erste Folge ist auch gleich die deftigste. In den ersten Minuten gehts zur Sache. Nicht Vince, sondern Stuart treibts mit Nathan (ohne ihn zu verführen), fährt ihn am nächsten Morgen zur Schule. Zu diesem Zeitpunkt hat seine lesbische Freundin bereits ein Kind geboren, das mit Stuarts Sperma gezeugt worden ist. Eine Soap um Herz und Schmerz, Liebe und Sex, Schuld und Sühne wie viele andere, nur spielt sie im Schwulenmilieu von Manchester. In England, wo bereits die zweite Staffel angelaufen ist, hat die Serie ebenfalls provoziert und einen Medienrummel ausgelöst. Doch die anfangs entrüsteten Boulevardblätter räumten ein, dass "Queer as Folk" nicht nur gut geschrieben und gespielt sei, sondern sich auch zu einem differenzierten Drama mit schwulen Hauptfiguren entwickelt habe. So wurde diese Channel-4-Serie 1999 für den Fernseh-Oscar Prix Italia nominiert und dort unter die drei besten Mehrteiler des Jahres gewählt.

Eine nicht repräsentative TA-Umfrage unter Schwulen ergab ein positives Echo: Andy C. Mosetti, Mitinitiator der ersten schwulen Sendung "Pink Elephant": "Ich sehe sie als Komödie mit vielen Anregungen, die nicht belehrend wirken." Jen Haas, Mitarbeiter der Schwulenpostille "aK", findet sie lustig: "Man darf zeigen, was Sache ist." Und Walter Liechti, Geschäftsführer der Produktionsgesellschaft BasileaFilm AG, ist zwar gespannt, hat aber auch Bedenken: "Die Werbetöpfe machts vielleicht doch nicht auf." Denn Liechti steckt nach der Pilotausstrahlung der von ihm produzierten Schwulensendung "felix" in einem finanziellen Engpass. Obschon "felix", moderiert von Andrin Schweizer, kein Misserfolg war. Die erste Sendung vom 27. Mai erreichte einen Marktanteil von 8,1 Prozent (77'000 Zuschauer). Dennoch finden sich nur schwierig neue Sponsoren für die zweite Sendung im September. Die Werbebudgets fürs Jahr 2000 sind gesprochen. Aber nicht nur das hält die Firmen ab, sich finanziell für "felix" zu engagieren. Liechti hört immer wieder, die Schwulen könne man auch anders als über Homosendungen erreichen und man habe Angst, die Heteros zu vergraulen. Liechti hingegen findet: "Es wäre eine Möglichkeit, sich selber einen liberaleren Touch zu geben."

Einer, der Schwulenwerbung für nichts weiter als einen "Marketinggag" hält, ist Andy Lehmann, Geschäftsführer der Zürcher Mediaagentur Optimedia. Da die Schwulen schwierig zu quantifizieren und ihre speziellen Interessen weitgehend unbekannt seien, könne man diese Männer genauso gut über ein TA-Inserat ansprechen. Dafür sprächen rein "rationale und nicht politische Gründe". Die Homoszene sei eine heterogene Gruppe. Eine direkte Ansprache lohne sich auch vom Budget her kaum.

Neues Monatsmagazin geplant

Genau damit hat auch "Bliss" zu kämpfen. Mit seinem lifestyligen Monatsmagazin will Andreas Lehner im nächsten Frühling auf den Markt kommen. Und zwar als grösste Schwulenpostille, mit einer Startauflage von 20'000. Als Gratismagazin ist "Bliss" (zu Deutsch "Wonne") auf Werbung angewiesen - aber nicht auf irgendwelche. Lehner schweben 70 Prozent so genannt "normale" Werbung und 30 Prozent "andere" Werbung vor, die ein Drittel des Blattes füllen sollen: "Ich will keine Sexinserate und Kontaktanzeigen", sagt Lehner. Eine Vorgabe, die schwierig einzuhalten ist. Um gegenüber den Inserenten transparenter zu sein, will Lehner seine Zahlen beglaubigen lassen. "Können wir eine genug grosse Auflage und ein spannendes Magazin vorweisen, sind die Geldgeber interessierter." Solange über diesen ungefähr zehnprozentigen Bevölkerungsteil jedoch keine genaueren Zahlen und Fakten vorliegen, werden Marketingstrategen sich weiterhin in Zurückhaltung üben.

Kampf dem sexlastigen Image

Gegen das sexlastige Image kämpft auch "aK"-Verkaufsleiter Jen Haas an, der "schmuddelige" Werbung am liebsten aus dem Szenenorgan verbannen würde. Viele 900-Nummer-Anbieter sind auch tatsächlich ins Internet abgewandert. Als Teil der Kultur bezeichnet Haas jedoch die Saunainserate."aK" ist vorerst noch das einzige Schwulenmagazin mit ausgebautem redaktionellem Teil in der Deutschschweiz. Sein Pendant in der Westschweiz heisst "360°" und hat wie "aK" eine Auflage von 7000 Exemplaren. Von den vier Schweizer Schwulenzeitschriften erreicht nur gerade der Anzeiger "Kontakt" mit 15'000 Exemplaren ein höheres Niveau. Das Zürcher Gratis-Szenenblatt "Cruiser" hat früher mit "aK" zusammengearbeitet. Seine Auflage beträgt 10'000 Exemplare. Mit der gesellschaftlichen Dynamik der Schwulen können die Lesben nicht mithalten. Das Interesse der Wirtschaft hält sich hier an einem noch kleineren Ort.

Fortschritte gemacht

Der Homoboom in den Medien nahm vor 16 Jahren seinen Lauf, als sich Dani Levy alias Peperoni und Peter Freiburghaus alias Paul in "Motel" küssten. Inzwischen ist es auch in der neusten Soap des Schweizer Fernsehens "Lüthi & Blanc" zu einer heissen Umarmung zwischen Thomas und Lucky gekommen. Die 90er-Jahre waren fernsehmässig sozusagen ein homosexuelles Jahrzehnt: In "Lindenstrasse", "Marienhof", "Verbotene Liebe", "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" wird Gesellschaft nicht mehr ohne Homosexuelle verhandelt. Genau wie in der Literatur, nur vor einem grösseren Publikum. Paradiesisch gleichberechtigt sind homo- und heterosexuelle Paare in den Soaps noch lange nicht. Geschweige denn politisch. Aber wenigstens stecken wir nicht mehr im Jahre 1984, als der damalige Fernsehdirektor Ulrich Kündig die Kussszene zwischen Paul und Peperoni für die Wiederholung rausschneiden liess.



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