19.02.2021

Serie zum Coronavirus

«Bei den Impfungen war die Schweiz viel zu zögerlich»

Möglichst transparent: Filippo Leutenegger verschickt regelmässig E-Mails an zehntausende Zürcher Eltern. In Folge 157 unserer Serie beurteilt der Zürcher Schulvorsteher die Arbeit von Medien und Politik. Er erklärt zudem, warum er Hort-Kinder in seinem Loft spielen lässt.
Serie zum Coronavirus: «Bei den Impfungen war die Schweiz viel zu zögerlich»
Der FDP-Stadtrat und frühere SRF-Moderator Filippo Leutenegger, fotografiert im Frühling 2018, ist mit den Medien zufrieden. Bern hingegen habe gravierende Fehler gemacht. (Bild: Keystone/Patrick Hürlimann)
von Matthias Ackeret

Herr Leutenegger, Sie hatten selbst Covid. Wie geht es Ihnen heute?
Wieder gut. Ich hatte Fieber und starke Gliederschmerzen. Eine Woche lang war ich hundemüde und kaputt, jetzt bin ich wieder fit. Ich hatte auch keinen Geschmackverlust. Zusammenfassend kann ich sagen, dass ich enormes Glück hatte.

Treffen Sie jetzt besondere Massnahmen?
Ich sollte jetzt zumindest einige Monate auch bei einer zweiten Begegnung mit dem Virus immun sein, werde mich aber weiterhin an die Hygienemassnahmen halten. Momentan arbeite ich, soweit es geht, im Homeoffice.

Lassen Sie sich impfen?
Ja sicher, aber erst wenn ich dran bin, ich bin ja nicht Bundesrat. Zuerst sollen sich diejenigen impfen lassen, die einer Risikogruppe angehören und älter als 75 Jahre sind. In diesem Punkt sollte die Zivilgesellschaft «Füdli» zeigen, wobei ich niemanden verurteile, der früher geimpft wurde. Am Schluss fürchten sich viele um ihr eigenes Leben. Bei Covid hat sich gezeigt, wie gut Disziplin und Solidarität funktionieren.

«Ich habe der Hort-Chefin gesagt, sie könne über Mittag mit einem Teil der Kinder in meinen Loft, wenn ich nicht zuhause bin»

Die neue eingeführte Maskenpflicht in der 4. Klasse ist offenbar umstrittener als erwartet. Woher rührt diese Skepsis?
Ja, einige Eltern sind deswegen ziemlich aufgebracht. Es gibt Eltern, die das Gefühl haben, dass ihre Kinder unter der Maskenpflicht leiden und sie sehen sogar die Gesundheit ihrer Kinder gefährdet. Ich habe in der ganzen Stadt Zürich noch keine solche Rückmeldung erhalten, auch nicht bei meiner jüngsten Tochter, die immer noch zur Schule geht. Ich habe festgestellt, dass sich die Maskentraggegner gut organisiert haben, was natürlich legitim ist. Selbstverständlich ist Maskentragen mühsam und beschwerlich, aber laut Kinderärzten kaum gesundheitsgefährdend. Wir setzen übrigens eine Massnahme um, die der Kanton angeordnet hat. Wer aber überzeugt ist, dass sein Kind gefährdet ist, soll den Arzt aufsuchen und um Dispens nachsuchen.

Aber bringt diese Aktion etwas?
Es handelt sich um eine wichtige Präventionsmassnahme, die verhindern soll, dass wir ganze Klassen in die Quarantäne schicken oder gar Schulen schliessen müssen. Das wäre die Ultima Ratio und würde wirklich grosse Probleme verursachen. Wenn wir dies mit der Maskenpflicht verhindern können, hat sie einen wichtigen Zweck erfüllt. Es hat sich gezeigt, dass Maskenpflicht und Distanzeinhalten bei einer Übertragung des Virus zu den entscheidenden Faktoren gehören. Ich wurde auch angesteckt, als uns unser Sohn, der nicht wusste, dass er bereits angesteckt war, eine Stunde lang besuchte. Das Beispiel zeigt, dass es sehr schnell gehen kann.

Sie orientieren die Zürcher Eltern regelmässig per E-Mail in Ihrem Namen und mit Ihrem Bild über die neusten Massnahmen. Warum ist dies notwendig?
Wir verschicken regelmässig E-Mails an alle Eltern mit den neusten Infos. Damit können sich die Eltern ein Bild über die aktuelle Situation in den Schulen machen. Die Resonanz ist sehr gut. Die Eltern schätzen diese transparenten Informationen, da sie damit alle auf dem gleichen Stand sind, und wir haben praktisch keine Abbestellungen unseres Elternbriefes. Momentan sind die Ansteckungszahlen an den Stadtzürcher Schulen sehr tief. Uns ist es wichtig, dass wir die Infos verständlich für Eltern, Schüler und Lehrpersonal aufarbeiten.

Wie viele Leute arbeiten in Ihrem Kommunikationsteam?
Zwei. Mein Kommunikationsverantwortlicher und ich.

Nun sollen die Kinder seit einigen Tagen möglichst nicht mehr in den Hort gehen. Wie stellen Sie sich dies vor, wenn die Eltern beruflichen Verpflichtungen nachkommen müssen?
Das stimmt so nicht. Ich habe geschrieben, wer die Kinder zuhause betreuen kann, kann dies in dieser unsicheren Zeit mit Corona gerne tun, da man dadurch die Horte entlastet. Denn in einem Hort gelten die gleichen Distanzregeln wie in den Schulen. Wem dies zu gefährlich ist, kann seine Kinder unbürokratisch abmelden, ohne dafür finanziell belastet zu werden. In unserer Wohnsiedlung hat es auch einen Hort. Ich habe der Chefin gesagt, sie könne über Mittag mit einem Teil der Kinder in meinen Loft, wenn ich nicht zuhause bin. So können die Hygiene- und Distanzvorschriften eingehalten werden.

«Es wird wegen der verzögerten Impfungen sehr viele Härtefälle und Arbeitslose geben»

Der Bundesrat wird im Moment wegen seiner Coronapolitik stark kritisiert. Zu Recht?
Wir lagen in vielem nicht ganz richtig, aber auch nicht ganz falsch. Unser Gesundheitssystem war im Vergleich zu den südlichen Ländern nie am Anschlag. Das ist sehr positiv. Es ist wichtig, dass die Kantone ein Gegengewicht zu den staatlichen Anordnungen aus Bern setzen können. Obwohl der Föderalismus an vielen Orten momentan verteufelt wird, hat er sich – meines Erachtens – in dieser Krise bewährt. Wichtig ist jetzt, eine dritte Welle zu vermeiden.

Also überall Friede, Freude, Eierkuchen ...
Nein, überhaupt nicht. Bei den Impfungen war die Schweiz viel zu zögerlich und hat im Sommer viel zu wenig Impfstoff eingekauft. Dies lag in der Verantwortung von Bundesrat Berset. Es wäre nachträglich besser gewesen, wenn damals die zuständigen Stellen – wie beispielsweise die Israelis – zielgerichtet, schneller und auch grosszügiger agiert hätten. Die Reparaturzahlen werden wegen dieses Fehlers sehr hoch sein ...

Reparaturzahlen?
Es wird wegen der verzögerten Impfungen sehr viele Härtefälle und Arbeitslose geben, die mindestens teilweise vermeidbar waren. Die wirtschaftlichen Folgen dieser Lockdowns werden sich später noch mehr zeigen. Bis jetzt war vor allem die Bundeskasse betroffen, aber auch die Kantone und Gemeinden. Ich befürchte, dass nach der Pandemie der Zentralismus und auch der Staat allgemein leider eine dominantere Rolle einnehmen werden.

Wie beurteilen Sie die Medien?
Die Berichterstattung der Medien war bisher recht gut, etwas gouvernemental aber nicht ideologisch geprägt, was ich sehr begrüsse, sondern ist vor allem von der Frage dominiert, wie weit man öffnen soll oder nicht. Teilweise sind die Medien ein bisschen regierungsnah, aber dies ist in einer solchen Situation auch nicht zu vermeiden. Einige Medien waren geradezu dankbar, dass es noch einige Coronaskeptiker gab ... Positiv aufgefallen sind mir die Recherchedesks des Tagis und später der NZZ, die einen täglich mit Zahlen und Informationen beliefert haben. Das ist guter Service public.

Was ist für Sie das prägendste Erlebnis der letzten Wochen?
Die Massentests im Schulhaus Milchbuck. Damit bekommen wir ein Gefühl, wie viele Schulkinder und Mitarbeitende im Schulpersonal wirklich infiziert sind. Ansonsten tappen wir im Nebel und wissen nicht, ob die Schulen bei den Ansteckungen ein grösseres Problem haben oder nicht. Im Milchbuck wurden glücklicherweise nur vier weitere positive Fälle entdeckt. Ich weiss, die jetzige Situation ist für alle sehr schwierig, es ist kein Spaziergang. Auch die Lehrerinnen und Lehrer sowie das Betreuungspersonal müssen eine Maske tragen, was im Unterricht beschwerlich ist, aber sonst machen die ganzen Massnahmen keinen Sinn. Was jetzt gefragt ist, ist Kreativität – auch im Schulunterricht. Wenn wir die Schulen schliessen müssten, wäre das nicht nur für die Eltern, die Schüler und das ganze Schulpersonal ein enormer Stress. Bei den schulmässig schlechteren Schülern besteht zudem die Gefahr, dass sie bildungsmässig abhängt werden. Das wäre sozialer Zündstoff der Zukunft.

Wie lange dauert dieser Zustand noch?
Ich hoffe, der Spuk hört bald auf, aber vorderhand müssen wir damit leben.


Was bedeutet die Corona-Pandemie für die verschiedenen Akteure der Schweizer Medien- und Kommunikationsbranche? Bis auf Weiteres wird persoenlich.com regelmässig eine betroffene Person zu Wort kommen lassen. Die ganze Serie finden Sie hier.



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