«Es kommt vor, dass gute Ideen zweimal Menschen auf der Welt einfallen. Deshalb sind hervorragende Ideen so wertvoll», sagt Markenexpertin Pam Hügli, Geschäftsführerin von Serviceplan Suisse. Hügli antwortet auf die Frage, ob die Ähnlichkeit der Logos des Schweizer Telekomunternehmens Sunrise und der US-Firma Season Eqpt. Zufall sein kann.
Man könne spekulieren, ob das Logo kopiert oder zufälligerweise dasselbe produziert worden sei, sagte Austin Smith, Mitinhaber von Season Eqpt., gegenüber persoenlich.com. «In jedem Fall handelt es sich um dasselbe Logo, nur in einer anderen Farbnuance», so der Snowboardprofi. Die frappante Ähnlichkeit der beiden Logos machte persoenlich.com kürzlich publik.
«Um es mit Kurt Weidemann zu sagen: ‹Als Designer etwas wirklich Neues erfinden zu wollen, ist, wie mit einem Gewehr in den Wald zu schiessen und zu hoffen, keinen Baum zu treffen›», so Michel Gabriel, Consulting Director von Process. Ähnlichkeiten in Logodesign und Branding seien international betrachtet häufig anzutreffen. «Das hat auch mit Designtrends und Anforderungen der digitalisierten Medienlandschaft zu tun: Logos müssen in vielen unterschiedlichen Kontexten anwendbar und auch auf kleinen Bildschirmen und Social-Media-Plattformen wiedererkennbar sein.»
«Prägnanz wird erreicht durch Reduktion»
Markenspezialistin Cornelia Spahr von Unum Design sagt auf Anfrage von persoenlich.com, dass ein prägnantes Logo einen deutlichen und messbaren Beitrag zur Wahrnehmung einer Marke liefern würde. «Prägnanz wird erreicht durch Reduktion – womit wir rasch bei einer reduzierten Formensprache angekommen sind. Geometrische Grundformen gehören seit je zum gestalterischen Baukasten von Designerinnen und Designern. So ist es durchaus vorstellbar, dass mehr als ein kreativer Kopf beim Gedanken an den Sonnenaufgang auf dasselbe vereinfachte Symbol kommt.»
«Die Ähnlichkeit der beiden Logos ist eine Konsequenz zweier aktueller ‹Überlogiken›: Digitale Abbildbarkeit sowie ‹Emotionalisierung›», so Oliver Errichiello vom Büro für Markenentwicklung. Das führe dazu, dass das Kreationsterritorium von Logos immer eingeschränkter wirksam werde und sich immer mehr angleiche. Dies ist für den Markensoziologen nicht ganz unproblematisch: «Wenn Marken immer ‹gleicher› auftreten, dann ist der Wert eines Logos irgendwann bei null.»
Logos werden unterschiedlich angewendet
Könnte die Ähnlichkeit der Logos zu einem Problem werden? Nein, findet Sunrise selbst. Season Eqpt. sei ein US-Unternehmen, das sich in einem völlig anderen Geschäftsbereich bewege. Sunrise-Sprecherin Therese Wenger sagte: «Kollisionen auf dem Markt sind somit ausgeschlossen.»
Ähnlich sieht es Markenexperte Colin Fernando, Partner bei BrandTrust: «Eigentlich ist das kein Problem, denn die beiden Brands bewegen sich in völlig unterschiedlichen Warenklassen sowie in unterschiedlichen Märkten.» Die Marken dürften sich deshalb kaum ins Gehege kommen. «Falls Sunrise und die Agentur die Ähnlichkeit bei der Recherche entdeckt haben, war es vermutlich ein bewusster Entscheid, diese in Kauf zu nehmen.»
Michel Gabriel von Process sagt, dass die Logos unterschiedlich angewendet werden. «Bei Season ist die Bildmarke eine Typik im Schriftzug, die auch alleinstehend angewendet wird, zum Beispiel als Label bei Kleidern oder als Brand Code auf Snowboards. Sunrise verwendet das Symbol als Bildmarke und Keyvisual und setzt es konsequent in der visuellen Kommunikation ein – eine meines Erachtens gelungene konsequente Verwendung der Bildmarke als Brand Code.»
Etwas kritischer sieht das Cornelia Spahr. Habe die regionale Gärtnerei in Uruguay dasselbe Logo wie die Anwaltskanzlei in Zürich, dürfte das kein Problem darstellen. «Bleibt die Marke Season Equipment klein und lokal, wird das Logo von Sunrise auf dem eigenen Markt nicht konkurriert. Anders sieht es aus, wenn der amerikanische Snowboard- und Skihersteller den Weltmarkt – oder zumindest den europäischen – erobert. Daher wirft die Verwendung dieses Logos – in Kenntnis der Sachlage – durchaus Fragen auf.»
«Das aktuelle Störfeuer ist unglücklich»
Bei Sunrise hiess es, dass eine «sorgfältige Markenähnlichkeitsrecherche im für Sunrise relevanten Waren- und Dienstleistungsbereich» durchgeführt worden sei. Das reicht laut Pam Hügli aus: «Der Gesetzgeber hat ja für Markenschutz gesorgt. In der Schweiz ist das Eidgenössische Institut für Geistiges Eigentum dafür zuständig, weltweit die WIPO. Zudem hat in unserem Rechtsstaat jede und jeder die Möglichkeit, eine Markenrechtsverletzung einzuklagen.»
Die Abklärungen in den relevanten Waren- und Dienstleistungsklassen seien essenziell. «Darüber hinaus gibt es eine ‹gefühlte Ähnlichkeit›, die über Warenklassen hinausgeht», so Michel Gabriel. «Damit diese gefühlte Ähnlichkeit gegeben wäre, müssten beide Brands in demselben Markt in einer einigermassen homogenen Zielgruppe bekannt sein. Das ist hier nicht der Fall.» Daher würden die Abklärungen von Sunrise reichen.
Mehr liege auch fast nicht drin, sagt Colin Fernando: «Eine Markenähnlichkeitsrecherche für alle Warenklassen und alle Märkte durchzuführen, ist praktisch unmöglich – und auch nicht nötig.» Problematisch sei aus seiner Sicht einzig, dass Sunrise die Bedeutung der Marke als Change-Instrument stark hervorgehoben habe. «Insofern ist das aktuelle Störfeuer um die Markenähnlichkeiten unglücklich. Der völlig neue, identitätsstiftende Auftritt wird in Mitleidenschaft gezogen und möglicherweise angezweifelt – das wünscht sich kein Markenmanager, und schon gar nicht während eines heiklen Firmen-Mergers.» Ende Mai wurde bekannt, dass das fusionierte Telekomunternehmen Sunrise UPC die Marke «UPC» beerdigen wird.
Apropos «Beerdigung»: Eigentlich sei die Logobewahrung bei vielen Marken inzwischen egal, meint Oliver Errichiello. «Denn das Logo ist meist das erste Opfer, sobald ein Management Aktivität demonstrieren will. Da wird auf der Symbolebene gearbeitet, aber eben nicht auf der Leistungsebene.»
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29.06.2022 14:14 Uhr
28.06.2022 16:27 Uhr