06.01.2010

"Eine Journalistenkarriere ist bei unserem Ansatz ein Muss"

Sie bündeln 50 Jahre Medienerfahrung in einem neuen Unternehmen: Der ehemalige 20 Minuten Chefredaktor Rico Brazerol und der ".ch"-Mann Rolf Leeb haben gemeinsam eine Kommunikationsagentur gegründet. In Zukunft wollen sie Unternehmen, Verbände und Medienunternehmen mit ihrem Know-how unterstützen. "Ich denke, wir haben eine Nische gefunden", sagt der 46-jährige Rolf Leeb gegenüber "persoenlich.com" und benutzt bereits viel PR-Vokabular. Zum Interview:
"Eine Journalistenkarriere ist bei unserem Ansatz ein Muss"

Herr Leeb, Sie waren Chefredaktor der eingestellten Pendlerzeitung ".ch", nun haben Sie eine PR-Agentur gegründet. Bedeutet dies, dass Sie keinen Job im Medienbereich gefunden haben?

Sorry, wenn ich gleich korrigieren muss. Bei media&more handelt es sich um eine Kommunikations-Agentur. Der Bereich PR ist nur eine der von uns angebotenen Dienstleistungen. Zu Ihrer Frage: Wenn ich nach 25 Jahre im Medienbusiness keine Angebote bekommen hätte, wäre ich ziemlich enttäuscht gewesen…

Aber wie kamen Sie dann auf die Idee, eine Agentur zu gründen? Lohnt es sich nicht mehr Journalist zu sein?

Die Idee hatte ich schon vor längerer Zeit. Die Rahmenbedingungen hatten bisher einfach nicht gepasst. Jetzt bin ich 46 und es passt. Aber im Herzen werde ich immer ein Journalist bleiben. In Zukunft einfach einer, der etwas kommerzieller denkt…

Im PR-Bereich lässt sich viel Geld verdienen. Aber gibt es danach noch einen Weg zurück in den Journalismus oder ist dieses Kapitel für Sie abgeschlossen?

Das Geld liegt schon lange nicht mehr auf der Stasse und Geld wäre bei solch einem Entscheid ein schlechter Ratgeber. Und warum sollte das Kapitel Journalismus abgeschlossen sein? Der USP von media&more ist der journalistische Ansatz und die Vernetzung im Medienbereich. Mein Partner Rico Brazerol und ich haben über 50 Jahre Medienerfahrung. Zudem war ich schon vor ".ch" knapp drei Jahre Partner in einer Kommunikations-Agentur.

Bei ".ch" waren rund 35 Journalisten beschäftigt. Marcel Siegenthaler und Thomas Senn sind bei der neuen Sportzeitung untergekommen, Caroline Thoma ist Chefin der Blick-Gruppe. Was machen die anderen ehemaligen Mitarbeiter?

Wir hatten bei ".ch" eine tolle Mannschaft, die hervorragende Arbeit leistete. Deshalb hat der Grossteil der Redaktionsmitglieder in der Zwischenzeit zum Glück einen neuen Job gefunden.

Planen Sie bald einigen ehemaligen Kollegen einen Job in Ihrer Agentur anbieten zu können?

Ich konnte einigen meiner ehemaligen Mitarbeitenden einen Job vermitteln. Ich glaube nicht, dass die neuen Arbeitgeber Freude hätten, wenn ich jetzt auf Abwerbungstour gehen würde. Aber man soll bekanntlich niemals nie sagen…

Nun haben Sie mit Rico Brazerol die Agentur Media & More gegründet. Wen sprechen Sie damit an?

Rico Brazerol und ich ergänzen uns optimal. Er ist ein schneller Denker und manchmal etwas verrückt, ich bin sehr lösungsorientiert und pragmatisch. Mit dieser Mischung sprechen wir Firmen, Vereine und Verbände an, die keine Lust mehr auf schöngeistiges Blabla haben, sondern ehrliche Arbeit schätzen. Wir haben in unserer Agentur 10 Gebote, die uns heilig sind: 1. Wir haben Spass an unserer Arbeit. 2. Wir hören zu. 3. Wir denken. 4. Wir stellen die Menschen in den Mittelpunkt. 5. Wir sind immer direkt, oft frech – aber nie respektlos. 6. Wir bieten Lösungen – schnell, überraschend, nachhaltig. 7. Wir können nicht alles, aber wir kennen die besten Leute, die das können, was wir nicht können. 8. Wir lassen uns engagieren – aber nicht kaufen. 9. Wir haben keine Kunden – wir haben Partner. 10. Wir sind uns bewusst, dass wir vom Erfolg unserer Partner profitieren.

Haben Sie eine Nische entdeckt, die noch nicht abgedeckt ist?

Ja, ich denke, wir haben da eine Nische gefunden. Damit diese Nische vorderhand auch noch eine Nische bleibt, werde ich Ihnen aber nicht sagen, was es ist…

Haben Sie denn schon Kunden?

Nein, wir haben keine Kunden. Wir bevorzugen die Bezeichnung Partner. Das hat mit Anstand und Respekt zu tun. Momentan sind wir an zwei grösseren Projekten, die aber noch nicht spruchreif sind.

Wen wollen Sie genau beraten?

Unternehmen, Verbände und Medienunternehmen. Unsere vier Kernbereiche umfassen Media Relations, Editorial Services, Kommunikation/PR und Corporate Publishing. Im Bereich Media Relations, Kommunikation/PR und Corporate Publishing beraten wir vor allem Unternehmen und Verbände. Im Bereich Editorial Services bieten wir spezielle Lösungen für anspruchsvolle Projekte und Dienstleistungen an, welche die Schnittstelle zwischen Redaktion und Verlag bei Medienhäusern betreffen, sowie Reorganisation von einzelnen Ressorts oder ganzen Redaktionen, Workflow-Optimierung, Überprüfung bestehender Konzepte und Erstellen neuer Konzepte.

Ist die Journalistenkarriere die ideale Voraussetzung für diesen Job?

Nein, eine Journalistenkarriere ist bei unserem Ansatz kein Vorteil, sondern ein Muss. Zudem brauchen Sie Erfahrung im verlegerischen und im kommerziellen Bereich. Als Chefredaktor eines Start-up wie ".ch" konnte ich in dieser Hinsicht sehr viele wertvolle Erfahrungen sammeln.

Der Branche geht es derzeit schlecht. ".ch" wurde im Mai letzten Jahres überraschend kurzfristig der Geldhahn abgedreht, weil die Investoren kalte Füsse bekamen. Investieren die Leute derzeit überhaupt in Beratung?

Ja, davon sind wir überzeugt. Sonst hätten wir die Agentur nicht jetzt gegründet. Zudem: In schlechteren Zeiten ist gute Beratung erst recht gefragt.

(Interview: Adrian Schräder)


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