22.08.2023

Scopes-Report

«Nachhaltigkeit ist ein Gesamtpaket»

Grownate hat die Studie zur Nachhaltigkeitskommunikation mitinitiiert. Das Start-up will den Dialog zwischen Unternehmen und Konsumenten vorantreiben. CEO Andrea Fritschi über Label-Salat, Swissness-Bonus und Nespresso-Zertifikat.
Scopes-Report: «Nachhaltigkeit ist ein Gesamtpaket»
«Es braucht besseres Wissen und Verständnis, was Nachhaltigkeit ist»: Andrea Fritschi, CEO Grownate. (Bild: Publicis/zVg)

Was ist für Sie die zentrale Erkenntnis aus den Ergebnissen des ersten Scopes-Reports (persoenlich.com berichtete)?
Für uns war spannend zu sehen, dass der Konsument in erster Linie beurteilt, was er sieht. Für ihn ist beispielsweise die Verpackung relevant, die er in den Händen hält. Aber der Anbau und der Transport, die nimmt er vielleicht wahr, aber sie sind für die Beurteilung der Nachhaltigkeit viel weniger relevant.

Was muss geschehen, damit die Konsumenten ein umfassenderes Bild der Nachhaltigkeit eines Produkts oder einer Firma erhalten?
Es braucht besseres Wissen und Verständnis, was Nachhaltigkeit ist. Ich verstehe, woher diese unvollständige Wahrnehmung kommt, das ist menschlich. Wir sehen im Alltag etwas und ziehen dann gleich unsere Schlussfolgerungen.

Es gibt Labels, die auf einen Blick eine Aussage über die Nachhaltigkeit machen. Was taugen die?
Es gibt mittlerweile so viele verschiedene Labels, dass das Verständnis schwierig wird. Die Studie zeigt, dass Partnerschaften, die ein Unternehmen mit einem Projekt oder einer NGO unterhält, die Wahrnehmung stärker prägen als ein Label.

«Mich hat überrascht, dass mit Axa und Zurich zwei Versicherungen ganz oben stehen in der Nachhaltigkeitswahrnehmung»

Der Scopes-Report fragte Konsumentinnen und Konsumenten nach ihrer subjektiven Nachhaltigkeitswahrnehmung von Unternehmen. Welche Ergebnisse haben Sie besonders überrascht?
Mich hat überrascht, dass mit Axa und Zurich zwei Versicherungen ganz oben stehen in der Nachhaltigkeitswahrnehmung. Am anderen Ende der Skala fand ich interessant zu sehen, dass globale Onlinehändler wie Amazon, Aliexpress oder Wish ganz unten stehen, während einheimische Elektronik- und Versandhändler weiter oben platziert sind. Die haben offenbar in der Konsumentenwahrnehmung von einem Swissness-Bonus profitiert. Dort hätte ich erwartet, dass die Konsumenten besser reflektiert hätten, wo die Produkte herkommen und dass auch der Versandhandel in der Schweiz selbst nicht immer nachhaltig ist.

Gibt es Firmen, von denen Sie finden, dass die Konsumentinnen und Konsumenten ihre Bemühungen um Nachhaltigkeit zu wenig wahrnehmen?
Bei Nespresso ist das sicher der Fall. In der Studie rangiert die Firma nur im unteren Mittelfeld. Dabei ist das Unternehmen mit B-Corp zertifiziert. Es ist beeindruckend, was die Firma für Standards erfüllen muss, und zwar in allen Dimensionen, um dieses Zertifikat zu erhalten. Das wissen aber die Konsumenten in der Regel nicht.

Wenn die Konsumentinnen und Konsumenten das nicht wahrnehmen, was bringt dann eine aufwendige Zertifizierung?
Nespresso hat nun die Grundlagen geschaffen, dass sie ganz anders auftreten können. Sie haben nun einen Ausweis und können zeigen, welchen Prozess sie durchlaufen haben. Jetzt geht es darum, dass sie das öffentlich kommunizieren. Und das machen sie auch.

Aber Nespresso hat einen strategischen Nachteil, wegen Nestlé mit seinem negativen Image.
Das stimmt so nicht. Nestlé wird ganz unterschiedlich wahrgenommen. Gerade bei älteren Leuten und in der Westschweiz geniesst das Unternehmen ein viel besseres Ansehen, auch in der Nachhaltigkeitswahrnehmung, als in der Deutschschweiz und bei Jüngeren.

«Es kann sich kein Unternehmen leisten, nur auf einen der drei Nachhaltigkeitsaspekte zu fokussieren»

Die Konsumentinnen und Konsumenten denken bei Nachhaltigkeit als Erstes an ökologische Nachhaltigkeit, zeigt der Scopes-Report. Heisst das auch, dass sich Unternehmen vor allem darauf konzentrieren sollten?
Das wäre zu kurz gedacht. Am Ende ist das Gesamtbild relevant. Die ökologische Nachhaltigkeit ist zwar stärker hervorgekommen in der Studie. Aber wenn es in einer Firma einen Skandal gibt im Sozialen, etwa Mobbing oder Missbrauch, dann schwappt das automatisch über auf den anderen Bereich. Am Schluss ist Nachhaltigkeit ein Gesamtpaket mit den drei Dimensionen der ökologischen, sozialen und ökonomischen Nachhaltigkeit. Es wird sich kein Unternehmen leisten können, nur auf einen der drei Aspekte zu fokussieren.

Wo kann Grownate mit den vorliegenden Daten den Hebel ansetzen?
Wir möchten primär mehr Nähe zum Konsumenten herstellen rund um das Thema Nachhaltigkeit. Die Ergebnisse helfen uns zu verstehen, welche Themen die Konsumenten triggern. Was im Blickfeld liegt, lässt sich einfacher pushen, als was man nicht sieht. Ein gutes Thema dafür ist Recycling. Dort kann man über Anreize, auch materielle Anreize, konkrete Möglichkeiten schaffen und die Konsumierenden einbinden. Das führt letztlich zu einer engeren Kundeninteraktion. Und davon profitieren die Unternehmen.


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