09.03.2009

Vater Staat steigt vom Rednerpult

Der Staat muss sich von der Einwegkommunikation verabschieden. Die Behörden müssen heute schneller und in verschiedenen Kanälen kommunizieren. An der St. Galler Tagung zur Öffentlichkeitskommunikation des Staates zeigten Kommunikationsfachleute, Politiker und Juristen einige Spannungsfelder staatlicher Kommunikation auf. Fazit: Die Behörden mussen heute agiler sein. Auch der Bund sieht sich in Sachen Kommunikation mit einem Paradigmenwechsel konfrontiert. Der Bericht:
Vater Staat steigt vom Rednerpult

Eine der berühmtesten staatstheoretischen Schriften ist der "Leviathan" von Thomas Hobbes aus dem Jahre 1651. Auf dem Titelblatt zu sehen ist der Souverän, der über Land, Städte und deren Bewohner herrscht. Sein Körper besteht aus den Menschen, die in den Gesellschaftsvertrag eingewilligt haben. In seinen Händen hält er Schwert und Hirtenstab, die Zeichen für weltliche und geistliche Macht. Mit der Macht der Medien musste sich der Staat damals noch wenig befassen. Mehr als 350 Jahre später sieht das ganz anders aus. Die Bevölkerung muss informiert werden, bevor sie in etwas einwilligt. Dies gilt besonders für die Schweiz, wo das Volk an der Urne direkt entscheiden kann.

Kein Wunder also, gibt die Schweizer Eidgenossenschaft heute viel Geld für Öffentlichkeitsarbeit aus. Im Jahr 2007 waren dies rund 70 Millionen Franken. Insgesamt 237 Spezialisten arbeiten im Bereich Public Relations und Information für den Staat. Und der Staat baut kommunikativ eher aus als ab. Die Frage aus rechtsbürgerlichen Kreisen, ob die Bundesbehörden überhaupt noch kommunizieren sollen, hat die Öffentlichkeit im vergangenen Juni aus der Diskussion gestrichen. Die Maulkorbinitiative hätte dem Staat noch das Abstimmungsbüchlein gelassen. Sie wurde jedoch mit 75 Prozent Neinstimmen deutlich verworfen.

Wenn die staatliche PR an Gewicht zulegt, was bedeutet das für die Kommunikation insgesamt? Diese und ähnliche Fragen versuchten rund 100 Teilnehmer der Konferenz "St. Galler Tagung zur Öffentlichkeitskommunikation des Staates" am vergangenen Donnerstag in Luzern zu beantworten. Miriam Meckel, Professorin für Corporate Communications an der Universität St. Gallen, bringt es zusammenfassend folgendermassen auf den Punkt: Aus dem überschaubaren System von Staat und Medien sei ein kompliziertes Netzwerk mit unzähligen Spielern geworden, die in rasendem Tempo Öffentlichkeit schaffen und Themen setzen. Behörden und Verwaltung wenden sich heute auf Augenhöhe an Bürger, Blogger, Lobbyisten und Journalisten. Die Zeiten der Einwegkommunikation sind vorbei. Die neuen Medien, die in vielerlei Hinsicht den Takt neu angeben, haben auch beim Bund zum Paradigmenwechsel geführt.

Teenager in Kommunikationsteams einbinden

Als gutes Fallbeispiel wird der Wahlkampf in den USA oft zitiert. Miriam Meckel schilderte Eindrücke, die sie als Begleiterin der Obama-Kampagne gesammelt hat. Der neue Präsident zog dabei alle Register, sammelte Spenden im Internet, mobilisierte Millionen mit Kurznachrichten und liess Rapstars seine Botschaften via Youtube verbreiten. Ein Video von Sophie Hunger zum Thema Bankgeheimnis sei in der Schweiz wohl noch nicht vorstellbar. Auf die Frage von "persoenlich.com", was die Behörden tun müssten, um kommunikativ nicht in Rücklage zu geraten, rät Meckel: "Verwaltungen und Parteien müssen junge Leute in ihre Kommunikationsteams einbinden, um Angebote zu schaffen, die heute im Web von jungen Leuten nachgefragt werden."

Schnelle Kommunikation mit wenig Inhalt

Markus Notter, Regierungspräsident des Kantons Zürich, skizzierte in seinem Erfahrungsbericht drei Grundmotive für staatliche Information. Wenn sich die Behörden mit ihren Leistungen brüsten wollten, treten sie an die Medien und hoffen im besten Fall auf eine wohlwollende Berichterstattung. Wenn die Behörden sachlich über Fakten oder neue Gesetze informieren wollen, steht es um das Interesse schon weniger gut. Eine Pressekonferenz der Zürcher Schulbehörden zur Einführung eines neuen Wandtafelmodells sei von den Medien kollektiv boykottiert worden und so wüssten viele Zürcher heute noch nicht, an welcher Wandtafel ihre Kinder Lesen und Schreiben lernen. Bevorzugt würden sich die Medien mit den Behörden beschäftigen, wenn diese zu Anschuldigungen Stellung nehmen müssen. Schlechte Erinnerungen hat Notter besonders an den Fall eines verwahrten Straftäters aus dem Jahr 2006, der im Hafturlaub eine Prostituierte bedrängt haben soll.

Trotz eines proaktiven Kommunikationskonzeptes geriet die Zürcher Justiz in einen Strudel von schlechter, zum Teil unwahrer Berichterstattung. Dieser Fall habe die Justizbehörden gelehrt, dass alles früher oder später ans Licht der Öffentlichkeit komme. Auch wenn Sachverhalte aus guten Absichten verschwiegen würden. Aktiv kommunizieren könne man nur, wenn man bereit sei, alles zu sagen. "Das Tempo hat enorm zugenommen und damit auch der Druck, möglichst rasch etwas sagen zu können, selbst wenn man die Fakten noch gar nicht kennt", erklärt Notter im Gespräch mit "persoenlich.com" am Rande der Tagung.

Spannungsfeld I: Der Staat als Meinungsbildner

Der Öffentlichkeitsarbeit der Behörden komme immer grössere Bedeutung zu. Meinungen werden nicht mehr in formellen und informellen Treffen gemacht, sondern im öffentlichen Raum. Dieser wird von Medien mitgestaltet, die sich wiederum von politischen Bindungen gelöst haben und nach eigenen Kriterien entscheiden, was publik wird. Vom Mitgliederschwund gebeutelt, suchen auch die Parteien vermehrt Zustimmung im öffentlichen Raum. Kommunikationsberater Iwan Rickenbacher nannte gute und schlechte Beispiele staatlicher Information. Im Zusammenhang mit den Abstimmung zum EWR-Beitritt sowie UNO-Beitritt wurden Stimmen laut, die Zweifel an der Verhältnismässigkeit der Informationstätigkeit äusserten. In beiden Fällen setzte der Staat beträchtliche Budgets ein, um die öffentliche Meinungsbildung zu ermöglichen.

Zusätzliches Budget steuerten zahlungskräftige Interessenverbändebei. Andere Themen, wie etwa die Revision der Bundesverfassung 1999, die von grosser Bedeutung waren, fanden keine Geldgeber, die das Thema angemessen in die Öffentlichkeit übersetzt hätten. Im Bezug auf die Transparenz der staatlichen Kommunikation weist Rickenbacher darauf hin, dass gewisse gewichtige Interessenverbände einen privilegierten Zugang zu den Behörden geniessen, um ihre Anliegen zu vetreten. Der Kommunikationsberater wirft weiter die Frage auf, ob Medienformate wie etwa die Fernsehsendung "Arena" der richtige Ort seien, um sachlich zu argumentieren.

Grundsätzlich attestiert Rickenbacher dem Bund aber eine neue Sensibilität für Kommunikation, die sich in einer guten Aufbereitung der Informationen äussert und wertvolle Entscheidungsgrundlagen zur schafft. Durch E-Government und die Nutzung der modernen Communities im Web soll die Teilnahme am politischen Diskurs gefördert werden. Rickenbacher warnte im Zusammenhang mit dem Fall Nef, Führungsfehler kategorisch als Kommunikationsfehler zu werten.

Spannungsfeld II: Der Staat kommuniziert für börsenkotierte Unternehmen

In drei kleineren Runden diskutierten die Tagungsgäste am Nachmittag aktuelle Fragestellungen. Journalistin Esther Girsberger moderierte einen Workshop mit Daniel Zuberbühler, Vizepräsident der im Januar gegründeten Finanzmarktaufsicht Finma sowie deren Kommunikationsleiter Alain Bichsel. Zuberbühler legte anhand der Fälle UBS und Bankgeheimnis dar, wie schwierig sich die Kommunikation gestaltet, wenn der Staat und ein kotiertes Unternehmen involviert sind.

Der Finma seien im Fall der Boni zwischen den Gerüchten in der Sonntagspresse und der Bilanzmedienkonferenz der UBS die Hände gebunden gewesen. "Die Finma durfte sich aus Gründen der Publizität zu den Gerüchten nicht äussern, sondern nur zur Mechanik der Verfügung zu den Bonuszahlungen. Den medialen Aufschrei konnten wir nicht verhindern. Wir haben die Emotionsbewirtschaftung des Themas wahrscheinlich unterschätzt", erklärte Alain Bichsel im Gespräch mit "persoenlich.com".

Der Anpassungsprozess der staatlichen Informationstätigkeit an neue Formen von Öffentlichkeit bleibt im Gang. Auch hier ist Vorsicht geboten, alles zum Kommunikationsproblem zu machen. Der Staat muss sich in Zukunft auch der grundlegenden Frage stellen, wie er überhaupt das Interesse die Bürgerinnen und Bürger zur Teilnahme an politischen Prozessen weckt.

(Text: Alexander Gligorijevic, studierte Staatswissenschaften an der Universität St. Gallen und ist heute als PR-Berater tätig)


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