09.04.2020

Krisenkommunikation

«Viele Ängste werden existenzieller Natur sein»

Noch ist eine Rückkehr zur Normalität weit weg. Dennoch gibt es Firmen, die sich bereits mit dem «Re-Onboarding» befassen. Was müssen sie dabei beachten? Public-Affairs-Experte Christoph Caviezel spricht über das Rüstzeug für die nächste Phase dieser Krise.
Krisenkommunikation: «Viele Ängste werden existenzieller Natur sein»
Christoph Caviezel, Director Public Affairs bei Wirz Brand Relations, begleitet und trainiert Führungskräfte aus unterschiedlichen Branchen. (Bild: zVg.)
von Edith Hollenstein

Herr Caviezel, obwohl wir laut dem BAG noch nicht einmal in der Hälfte sind, sollen sich Firmen bereits mit der Rückkehr zum Alltag befassen. Sie sind doch viel zu früh mit Ihrem Angebot?
Ich möchte mich nicht in die lange Liste der Viren-Experten einreihen. Es ist aber schon so, dass wir wohl noch länger mit Covid-19 leben und arbeiten werden müssen. Der Bundesrat wird nächste Woche wahrscheinlich eine schrittweise Lockerung der Massnahmen beschliessen, nicht zuletzt aufgrund des wirtschaftlichen und auch gesellschaftlichen Schadens.

Warum sollen sich Firmen denn jetzt bereits damit befassen?
Ein gut geplanter, auf verschiedenen Szenarien aufgebauter Re-Onboarding- oder Re-Start-Prozess braucht einen zeitlichen Vorlauf. Momentan wäre ein guter Zeitpunkt, um sich zu überlegen, wie es mir als Unternehmer oder CEO gelingen wird, meine Unternehmung nach der Lockerung möglichst rasch wieder in eine Art Alltag zu führen. Ich bin der Überzeugung, dass der Schlüssel zum Gelingen in einem interdisziplinären Wissensansatz liegt. Denn, es gibt viele unterschiedliche Fragen, die sich stellen.

Mitarbeitende welcher Branchen, erwarten Sie, werden zuerst wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren?
Das ist weniger eine Frage der Branche. Vielmehr wird das Homeoffice wohl schrittweise aufgehoben werden. Dabei wird sich für Führungskräfte am Tag X die Frage stellen, mit welchen Botschaften sie ihre Mitarbeitenden empfangen und was die nächsten Massnahmen sein werden. Hier ist eine durchdachte Kommunikation enorm wichtig.

«Einige werden auf neue Kollegen stossen, einige enge Kollegen werden nicht mehr da sein»

Hier wollen Sie mit Beratungsdienstleistungen helfen.
Ja, aber wir setzen mit unserem Angebot früher ein. Wir stellen uns die Fragen wie: Was passiert momentan mit den Mitarbeitenden inklusive der Führungskräfte in dieser Homeoffice-Phase? Was sind die psychologischen Auswirkungen? Und was sind die unternehmenskulturellen Auswirkungen? Braucht es eine neue Strategie oder neue Services, mit welchen Massnahmen, organisatorisch, strategisch, kommunikativ können diese krisenbedingten Veränderungen aufgefangen werden oder sogar positiv genutzt werden?

Mit was für Mitarbeitenden müssen denn die Chefs und Chefinnen rechnen?
Die Mitarbeitenden werden in unterschiedlichsten Verfassungen an den Arbeitsplatz zurückkehren und vor allem viele Fragen haben. Einige werden auf neue Kollegen stossen, einige enge Kollegen werden nicht mehr da sein. Vielleicht sind sie wütend, verunsichert, haben Angst. Aber es wird auch Mitarbeitende geben, die zuhause neue Ideen oder Verbesserungsvorschläge entwickelt haben und diese unbedingt vorstellen möchten. Diese sind dann eher hochmotiviert. Sie sehen, ein enormes emotionales Spektrum, welches geplant und mit konkreten Massnahmen aufgefangen werden muss.

Und was können die Chefinnen tun?
Mitarbeitende werden das Bedürfnis haben, von den Führungskräften abgeholt zu werden, um das Erlebte zu integrieren und mit Zuversicht und Freude wieder in den Arbeitsprozess einsteigen zu können. Die Mitarbeitenden, aber auch die Chefs, werden Bedarf an persönlichem Austausch über das Erlebte und dessen Bedeutung haben.

Welche Erlebnisse dürften die Mitarbeitenden nachhaltig geprägt haben?
Die Pandemie kann bei vielen substanzielle Verunsicherung auslösen. Weil die Homeoffice-Phase zudem ungewohnt lange dauert und möglicherweise von sozialer Isolation und Einsamkeit begleitet wird, kann dies zu Ängsten, Deprimiertheit, persönlichen Krisen oder sogar Krankheit führen. Vorstellbar sind beispielsweise Angst um die Sicherheit des Arbeitsplatzes, einhergehend mit finanziellen und existenziellen Sorgen. Für viele Beziehungen kann eine solche Phase ein enormer Stresstest sein.

Gibt es auch gute Seiten?
Die Homeoffice-Phase kann auch im stärkenden Sinn eine prägende Zeit sein. Beispielsweise im positiven Erleben von Komplexitätsreduktion, Entschleunigung und Fokussierung auf das Wesentliche: Was ist notwendig, was nicht? Wie möchte ich mein Leben gestalten und was sind hierfür meine persönlichen Werte?

Wie können Arbeitgeber darauf reagieren?
Zuhören und Wertschätzung zeigen. Sie sollten als CEO oder Führungscrew ihren Mitarbeitenden zeigen, dass sie sich um Ihre Sorgen, Ängste und Probleme kümmern.

Wie muss man vorgehen?
Als Erstes gilt es, für die Mitarbeitenden Räume zu schaffen, denn für sie wird es wichtig sein, dass sie sich mit ihren Bedürfnissen, Fragen und Anliegen ernst genommen fühlen und diese adressieren können. Vorstellbar sind hier geleitete Gruppengespräche oder Online-Plattformen, wo ein ehrlicher Austausch möglich ist. Alleine schon zu merken, dass man nicht alleine ist im Erlebten, kann Entlastung und Verbundenheit schaffen. Weiter ist es wichtig, Ideen und Anliegen der Mitarbeitenden für die Optimierungen der beruflichen Prozesse aufzunehmen und nach Möglichkeiten umzusetzen. Mit einer transparenten, wertschätzenden Kommunikationskultur im offenen Dialog kann die Führung präventiv Voraussetzung schaffen, um mögliche Arbeitsausfälle zu reduzieren.

«Es ist wichtig, dass der Chef einen Plan für die erste Zeit nach der Lockerung hat»

Nochmals zurück zu den Ängste: Was für Bedenken werden Mitarbeitende haben?
Menschen gehen individuell mit Veränderungen und Unsicherheiten um. Je nach Persönlichkeit und Biografie. Vorstellbar sind Ängste aufgrund von Unklarheiten: Gibt es neue Prozesse oder personelle Veränderungen? Wird Homeoffice in Zukunft integraler Bestandteil der Unternehmenskultur sein? Was bedeutet dies für mich beruflich und privat? Oder es sind auch persönliche Verunsicherungen durch das Erleben der Krise mit mangelnder Kontrolle, der Überforderung mit Homeoffice und Homeschooling der Kinder oder der unklaren weiteren Folgen für das Unternehmen. Viele Ängste werden existenzieller Natur sein.

Welche Ängste und Bedenken werden Chefs und Arbeitgebende haben?
Für Führungskräfte ist diese Krise eine besondere Hausforderung: Wie ihre Mitarbeitenden erleben sie sich selbst privat und beruflich in der Krisenzeit. Sie wissen nicht, wie die Krise verlaufen wird und mit welchen prägenden Erlebnissen, in welchem Befinden und mit welchen Anliegen die Mitarbeitenden an den Arbeitsplatz zurückkehren werden. Dennoch ist die Vermittlung von Sicherheit und Orientierung zentral. Wie dies in der aktuellen und weitergehenden Unsicherheit gelingen soll, kann bei Führungskräften verständlicherweise auch Sorgen auslösen. Darum ist es wichtig, dass der Chef einen Plan, eine Struktur für die erste Zeit nach der Lockerung hat. Das gibt, wie gesagt, Sicherheit und schafft Vertrauen.

Und wenn es diese Sicherheit schlicht und einfach nicht gibt?
Es kann tatsächlich sein, dass das Unternehmen Mitarbeitende entlassen muss oder das Überleben nicht gesichert ist. Wie vermittle ich diese schlechten Neuigkeiten? Wer muss vorinformiert werden? Aber Chefs sind hier nicht alleine. Ich könnte mir gut vorstellen, dass auch Fach- und Berufsverbände ihre Mitglieder dabei unterstützen könnten.

Nach so vielen Tagen Homeoffice und Kurzarbeit wollen doch viele Mitarbeitende vielleicht nicht mehr unbedingt zurück oder weiterhin flexibler arbeiten wollen. Inwiefern werden hier Firmen teilweise auch umdenken müssen?
Die Homeoffice-Phase hat einen Digitalisierungsschub ausgelöst. Ich kenne ein Unternehmen, das nach dem Sommer «Microsoft Teams» einführen wollte und dazu eine Schulung für den Sommer geplant hatte. Nun musste diese sofort und online erfolgen. Es hat funktioniert! Die Homeoffice-Phase zeigte uns aber auch Grenzen auf. Wie erwähnt, müssen die Erfahrungen, Ideen und Bedürfnisse der Mitarbeitenden, aber auch die des Führungsteams gemeinsam ausgetauscht und gemeinsam festgelegt werden. Die Mitarbeitenden haben viel Autonomie genossen, aber damit auch viel Verantwortung übernommen. Zudem gelten für digitale Meetings, sei es per Video oder Telefon andere Spielregeln als bei herkömmlichen Meetings, bei denen sich alle in einem Raum treffen. Wie es ein Unternehmen für die Zukunft regeln möchte, ist eine Frage der gewünschten Unternehmenskultur.

Wie sollen Chefinnen und Chefs ihre Mitarbeitenden bei der Rückkehr begrüssen?
Es wird wahrscheinlich nicht möglich sein, alle zur gleichen Zeit in einem grossen Konferenzraum zu versammeln. Dennoch ist es wichtig, dass alle Mitarbeitenden zur gleichen Zeit abgeholt werden. Hierfür ist unter anderem ein Kommunikationsplan nötig. Wann und wie spreche ich meine Mitarbeitenden an? Welches Kommunikationsmittel nutze ich dafür? Nicht zu vergessen sind die an die Chefs rapportierenden Führungskräfte. Als Multiplikatoren und Ambassadoren für Veränderungen und schwierige Phasen sind sie ein wichtiger Bestandteil des grossen Ganzen. Alle Mitarbeitenden benötigen eine wertschätzende Kommunikation.

«Eine Welcome-Back-Party wäre natürlich eine schöne Sache, wird aber aus aktuellem Anlass kaum realisierbar sein»

Wie geht das?
Idealerweise erfolgt wertschätzende Kommunikation in einem Dialog, der die dringendsten Fragen adressiert, beantwortet und aufzeigt, wie es konkret weitergeht. Gerade in unsicheren Zeiten ist Transparenz eines der obersten Gebote. Chefinnen und Chefs werden nicht auf alle Fragen die passenden Antworten haben. Das kann man auch gar nicht von ihnen erwarten. Zur Transparenz gehört aber auch, dass man sagt, wenn man etwas nicht weiss.

Ich stelle mir vor, dass Teams dann endlich wieder gross feiern wollen und das Verpasste nachholen.
Eine unternehmensweite Welcome-Back-Party wäre natürlich eine schöne Sache, wird aber aus aktuellem Anlass kaum realisierbar sein. Nicht zuletzt werden hier die Vorgaben des BAG und der Kantone entscheidend sein. Wertschätzung und der Austausch persönlicher Erfahrungen sind aber enorm wichtig. Jedoch muss er auf anderen Wegen erfolgen, als bei einer grossen Party, bei der jeder schräg angeschaut wird, der sich in die Armbeuge hustet. Es wird eine Herausforderung werden, geeignete Plattformen zu finden, die es erlauben, in gleicher Art und Weise eine motivierende Stimmung und einen Austausch des Erlebten zu ermöglichen. Vorstellbar wäre ein Mix aus persönlichen und digitalen Plattformen, wie zum Beispiel Team-Meetings und Blogs. Hier wird Kreativität gefragt sein.

Und was machen Sie persönlich als erstes, wenn Sie selber «re-onboarden»?
Ich freue mich auf meine Kolleginnen und Kollegen bei Wirz. Als erstes möchte ich zuhören und erfahren, wie es ihnen ergangen ist. Danach stehen meine Kunden im Fokus. Auch sie waren teilweise im Homeoffice, sind eventuell verunsichert, wie es weitergeht oder kommen mit neuen spannenden Ideen aus der Zeit der Isolation zurück.

 

Das Interview wurde schriftlich geführt. 

 



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