BLOG

Das Innenleben meiner Hose

Reinhold Weber

Es war zwei Gimlets nach Mitternacht, und eine etwas zu blonde, zu amtlich gebaute Dame wartete bereits im Schlafgemach; aber dazu später mehr.
 Nun, da ich ja so ziemlich alles lese, was mir vor die Brillengläser kommt, las ich neulich sogar meine neue Hose. Beim Ausziehen. Ich öffne also die vier Knöpfe des Hosenschlitzes. Da kommt ein Mehrzeiler zum Vor‐ schein: „Go to bed with a dream, wake up with a purpose.“ Wow! So etwas hat mir eine Hose noch nie gesagt. Ich ziehe die Hose aus und finde nicht weniger als elf (11!) beschriftete Labels. Da steht – und es ist nichts als die nackte Wahrheit: „Understand yourself. Think of yourself. And then go your own way. Whatever ties to the circumstance you have and whatever conditions you are in keep your ways and remember to smile. The JACOB COHEN product philosophy.“ Hey!! Wie geil ist das denn!!! Label zwei: „Jacob Cohen Co. Handmade tailoring and manufacturing. Silver plated buttons. REF.I.O.M. 901‐56 8CD.“ – Bingo, Sie haben gewonnen! Label drei: „Jacob Cohen Co. Mr..........“ – Da könnte ich also meinen Namen hineinschreiben oder mein Pseudonym. Label vier: „Jacob Cohen Tailored Jeans. Only Italian Craftsmanship. Handmade.“ Label fünf: „TAILORED JEANS FOR CONNOIS‐ SEURS – SECOND PREMIUM EDITION“. Label sechs: „EXCLUSIVELY HANDMADE
IN THE NORTH EAST OF ITALY.“ (Aha, in Slowenien also.) Label sieben: „JACOB COHEN SIZE 34.“ Die Labels acht bis elf, inklusive vielsagender Waschanleitung (DRY CLEAN ONLY 100% COTTON), erspare ich Ihnen im Detail. Aber schon verrückt: Da denkst du immer, du machst Marken, und jetzt machen Marken mich. Zum Deppen nämlich. Bin ich etwa eine wandelnde Longcopy? Schaun mer mal – und raus aus dem Pullover. „LORO PIANA. BABY CASHMERE. MADE IN ITALY. 50. Dry clean only.“ – Enttäuschend wenig Text pro Schweizer Franken. Da gehe ich nicht mehr hin. Im Hemd: „BROOKS BROTHERS MAKERS – ALL COTTON – MACHINE WASH NO CHLORINE BLEACH – MADE IN U.S.A.“ – Good job, dudes. „ZIMMERLI OF SWITZERLAND“. Das Non‐Rip‐Unterhemd. Mundfaul schweizerisch halt. Gefällt mir. Noch knapper: die Rohners auf ihren/meinen Socken. Ein „L“ auf der Socke links, ein „R“ auf der Socke rechts. Das gibt die Bestnote. Um intim zu werden, jetzt die weissen Boxer‐Shorts. „BROOKS BROTHERS. 34. 100% COTTON. Machine wash warm. Made in the USA.“ Na ja, so prickelnd ist das nun auch wieder nicht. Auf meine Sehhilfe übrigens ist so was wie OLIVER PEOPLES gedruckt. Den Rest konnte ich ohne Brille nicht entziffern. Peinlich, aber wahr: Der blonde Engel war nach dieser ellenlangen Lesung entschwunden, und ich kenne nicht mal ihren Namen. Wahrscheinlich Shawne Branding.   Reinhold „Hope“ Weber ist Gitarrist von Weltrang. Sein 192-seitiges Buch für Bianchi („Hier riecht’s nach frisch“) war ein Best-Nonseller. Für die Kult-Zeitung (Verlag kult.ch) verfasst er regelmässig Textbeiträge. Er lebt in Küsnacht bei Zürich. Diese Kolumne ist erstmals in der ADC-Galazeitschrift im Gewand von "Cicero" erschienen.  
Kommentar wird gesendet...

Kommentare

Kommentarfunktion wurde geschlossen

Die neuesten Blogs

13.04.2024 - Hansmartin Schmid

Die Schweizer Medien und die Kriege

Die Schweizer Auslandberichterstattung ist in deutsche Hände geglitten.

Zum Seitenanfang20240426