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Der «Tagi» geht in die Kirche

Matthias Ackeret

Die Stadtredaktion des «Tages-Anzeigers» verlegte ihren Arbeitsplatz während der letzten Woche in die Zürcher St.-Peter-Kirche (persoenlich.com berichtete). Eine Win-Win-Situation: Das Gotteshaus bekommt Aufmerksamkeit, die Zeitung überirdischen Beistand im schwieriger werdenden Kampf um Inserate und Leser. Eigentlich ist es logisch, dass der «Tages-Anzeiger» in die Kirche geht. Als Tagi-Kind seit eh und je weiss ich: Kein anderes Schweizer Medium pflegt die hohe Kunst des Moralisierens mit solch göttlicher Inbrunst. Hätte man in Wimbledon mit Moralkeulen anstatt Tennisbällen gespielt, wäre die Tagi-Redaktion bestimmt nicht Roger Federer gewesen.

Letztes Opfer die NZZ. In zwei Artikeln hat der Tagi letzte Woche die Konkurrenz von der Falkenstrasse als «Lieblingszeitung der Rechten» gebrandmarkt. These: Die NZZ umwerbe die «deutschen Rechtspopulisten». Der Grund: Die NZZ publizierte einen Artikel, wonach in deutschen Städten Leute ohne Migrationshintergrund längst nicht mehr in der Mehrheit seien. Für den Begriff «Bio-Deutsche» – im Duden vorhanden – entschuldigte sich die NZZ und löschte ihn im Netz. Den Tagi hinderte dies aber nicht, nochmals draufzuhauen und das «Weltblatt» in die AfD-Ecke zu stellen. Geht es um Konkurrenzmedien kennt der Tagi keine Zurückhaltung: Der Überlebenskampf der Verlagshäuser ist härter geworden.

Manchmal ist der Tagi auch gütig. Als verschiedenen Tamedia-Titel einem Ständerat aus dem Kanton Thurgau fälschlicherweise unterstellten, er habe am Frauenstreiktag Teilnehmerinnen mit obszönen Gesten belästigt, gab es eine knappe Entschuldigung; ohne weitere Konsequenzen. In der Kirche lehrt man: Gnade ist eine christliche Tugend. Vor allem bei sich selbst.


Matthias Ackeret ist Verleger und Chefredaktor von «persönlich».

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Kommentare

  • Victor Brunner, 25.07.2019 18:12 Uhr
    Ben Zeller, wenn sie Moral suchen gehen sie in eine Kirche oder Sozialwerk. Bei der Presse finden sie diese bestimmt nicht. Weder beim TA noch bei der NZZ. Ihr Hohelied für die NZZZ kann ich nur im Zusammenhang mit den Hitzetagen verstehen. Oder war ihre Schreibe als Glosse gedacht?
  • Ben Zeller, 25.07.2019 01:04 Uhr
    Auch ich war mal ein Tagi-Kind. Bis ich erwachsen wurde. Da habe ich neben dem Tagi auch noch die NZZ abonniert. Aber ich war immer noch links und naiv. Dann wurde ich älter, und irgendwie vernünftiger. Vor 7 Jahren habe ich das Tagi-Abo abbestellt. Heute könnte ich den Tagi nicht mehr in meine Händen halten. Es würde mich anekeln. Der NZZ hingegen werde ich treu bleiben, ich würde sie auch auf die einsame Insel mitnehmen. Es gibt nichts Intelligenteres zum Lesen. Wer lesen kann, der merkt, dass die NZZ keineswegs in der AfD-Ecke steht. Die NZZ bleibt kritisch, gegenüber links wie rechts. Der Tagi pflegt die «hohe Kunst des Moralisierens»? Moral ist so eine Sache. Die rechten Nationalsozialisten wie die linken Kommunisten handelten - oder besser gesagt wüteten - doch im Namen einer höheren Moral. Oder sehe ich das falsch? Apropos Moral: Kommt nicht aus dem gleichen Hause «20 Minuten», das Medium, welches die niedersten Instinkte der Menschen instrumentalisiert? Tamedia AG und der Tagi, 20 Minuten sind für mich höchst unmoralische Medienprodukte, die ich gerne boykottiere.
  • Victor Brunner, 24.07.2019 17:11 Uhr
    Habe mir immer vorgestellt wie sich die Tagi-Redaktion in die Zürcher St.-Peter-Kirche verschoben hat: 0700 Besammlung an der Werdstrasse, gutes Schuhwerk wetterfeste Kleidung. 0710 Frau Wittwer macht Appell und prüft die Ausrüstung. 0730 Herr Supino definiert die Wochenziele und stellt klar dass es keine Dispens gibt. 0800 Ausgabe der Survival-Bags 0815 ABMARSCH 0900 Truppe quert ohne grössere Vorkommnisse die Sihl, Thomas Zemp zieht einen Schuh voll raus. 0930 Etappenziel St. Anna-Gasse erreicht Pause. Behandeln von Blasen und einem Mückenstich. 0945 Besteigung St. Peter-Berg beginnt, fromme Mönche reichen Wasser 1015 Zürcher St.-Peter-Kirche erreicht, keine Ausfälle weder an Menschen noch Material. 1030 Herr Supino lobt die Redaktion und wünscht gutes Gelingen der Arbeitswoche in der Kirche! 1100 bis 1500 Redaktion macht Mittagsschlaf. Nachtrag: lese täglich den TA habe aber keine Unterscheide entdeckt zwischen Textproduktion an der Werdstrasse und in der Kirche! Laut unbestätigten Gerüchten kam die Idee von der REPUBLIK Redaktion die aber wegen unsicherer Lage an der Langstrasse vom Projekt Abstand genommen hat!
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