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Qualität kostet. Oder?

René Zeyer

Von Bern bis Basel, in Zürich und um Zürich herum, wochentags wie am Sonntag beliefert der Tamedia-Konzern flächendeckend die Deutschschweiz mit Nachrichten. Bezahlt oder gratis. In einem Duopol zusammen mit CH Media.

Die Auslandberichterstattung übernimmt Tamedia weitgehend von der «Süddeutschen Zeitung». Deren teutonischer Blick auf die Welt wird eingeschweizert, indem das ß durch ein Doppel-S ersetzt wird. Dass sich die Schweizer Sicht und die Schweizer Interessen durchaus von denen des EU-Lands Deutschland unterscheiden können: Was soll’s, sparen ist wichtiger als solche Details.

Alles, was oberhalb des Lokalen stattfindet, wird in der Zentralredaktion in Zürich gebacken. Anlässlich des Abgangs des Inland-Chefs von Tamedia meint Daniel Foppa in einem persoenlich.com-Interview, dass man «anerkanntermassen mit elf Vollzeitstellen für alle Tamedia-Deutschweiz-Zeitungen nicht mehr überdotiert im Inlandressort» sei.

Wie wahr, kann man da nur sagen. Tamedia leistet sich noch einen Korrespondenten in der Romandie und keinen im Tessin. Soviel zum Beitrag zur mehrsprachigen Schweiz. Mit elf Vollzeitstellen sollen die Entwicklungen in der Ostschweiz, in Bern, in Basel, in der Innerschweiz und in Graubünden bestrichen werden. Wobei immer streng unterschieden werden muss, ob es sich bei der potenziellen Nachricht um eine rein Zürcher Angelegenheit handelt, dann wandert sie ins Lokale, oder um eine schweizerische, dann wäre das Inland der Platz.

Und hier gilt es nun abzuwägen, ob ein Thema aus Zürich tatsächlich auch den Leser der Basler Zeitung interessieren könnte. Oder den Berner eines aus Basel. Also ist der Inland-Teil schon mal auf der sicheren Seite, wenn er vor allem Berichte aus Bundesbern abhandelt. Das ist dann natürlich per Definition überkantonal. Tamedia verlangt trotz ständiger Schrumpfung des Inhalts für ein Jahresabonnement des «Tages-Anzeigers» stolze 574 Franken. Oder für das schönsprechmässig benannte «Classic Plus», also mit Sonntagszeitung, happige 740.95 Franken.

Dafür müsste man dann doch zumindest Qualität erwarten dürfen. Also einen Mehrwert im Vergleich zu «20 Minuten», das auch bei Tamedia erscheint und 741 Franken billiger ist. Nun, gerade musste sich Tamedia in aller Form bei Carl Hirschmann entschuldigen. Das Bundesgericht rüffelte den Konzern dass der «Tages-Anzeiger» und andere Publikationen insbesondere spekulative Vorwürfe verbreitet haben, welche die Unschuldsvermutung missachteten. Dafür hatte das Zürcher Handelsgericht Hirschmann bereits eine Genugtuung zugesprochen.

Also ist der sich seriös gebende Tamedia-Konzern auf dem Boulevard ausgerutscht, während das Boulevardblatt «Blick» unbeschadet über Hirschmanns Eskapaden berichtete, mit einer schnellen Entschuldigung jahrelange rechtliche Balgereien vermied. Kann passieren, könnte man meinen. Hat aber bei Tamedia eine unselige Tradition. Ähnlich ging der Konzern unlängst gegen den schweizerisch-angolanischen Geschäftsmann Jean-Claude Bastos vor. Mit spekulativen Vorwürfen unter Missachtung der Unschuldsvermutung. Dadurch entstand den Firmen von Bastos ein Millionenschaden, er selbst verbrachte Monate in einem Höllenknast in Angola. Sämtliche durch die Berichterstattung ausgelösten Prozesse und Untersuchungen endeten weltweit – mit Einstellung oder einem Sieg von Bastos. Unterschied zu Hirschmann: Der Geschäftsmann will offenbar nicht noch mehr Geld in eine rechtliche Auseinandersetzung mit dem Tamedia-Konzern investieren.

Als ich diese Vorgehensweise mehrfach in der Fachpresse kritisierte, handelte ich mir jüngst einen Verleumdungsartikel von Tamedia ein, in dem behauptet wurde, dass ich meine journalistische und meine PR-Tätigkeit vermische. Das wurde abgestützt auf die üblichen anonymen Quellen in die Welt gesetzt; die offiziellen Dementi der Unternehmen, bei denen ich das getan haben soll, wurden im Artikel dagegen weggelassen. Und meine Forderung, mir gegenüber diese rufschädigenden Behauptungen zu belegen, wurde abgelehnt.

Ich habe schlichtweg die finanziellen Mittel nicht, um wie Hirschmann gegen Tamedia vorzugehen. Erschwerend kommt in diesem Fall noch hinzu, dass die Berichterstattung, für die sich Tamedia dieser Tage entschuldigen musste, von 2009 bis Januar 2012 stattfand. Es dauerte also mehr als sieben Jahre und eine unbekannte, aber sicherlich happige Summe an Anwaltskosten, Tamedia zur Entschuldigung zu zwingen. Die offensichtlich erbitterte Gegenwehr des Konzerns zahlen natürlich die Abonnenten. Allerdings fragen die sich zunehmend zu Recht, wofür sie eigentlich Hunderte von Franken ausgeben.



René Zeyer ist Inhaber von Zeyer Kommunikation in Zürich. Er ist Publizist (BaZ, «SonntagsZeitung», «Weltwoche», NZZ) und Bestsellerautor.

Der Autor vertritt seine eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

 

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