Stolz verkündete die NZZ im Februar 2016, als einziges Schweizer Medienhaus den Zuschlag für ein Grossprojekt von Google erhalten zu haben. Eingereicht hat der Verlag das Projekt «NZZ Companion», eine Applikation, die den Leserinnen und Lesern einen auf ihre Bedürfnisse angepassten Nachrichtenstream anzeigt. Im Rahmen der Digital News Initiative (DNI) hat das Medienhaus vom amerikanischen Internetunternehmen bis zu eine Million Franken für die Ausarbeitung erhalten.
Nun, ein Jahr später, geht die NZZ mit dem neuesten Medienprodukt in die Testphase. 200 ausgewählte Nutzer sollen das Angebot während vier Monaten ausprobieren und dem Verlag ein Feedback geben. «Innovation entsteht nicht im Vakuum oder Elfenbeinturm», sagt Rouven Leuener, Leiter Digitale Produktentwicklung, als er persoenlich.com die App zeigt.
Muster des Lesers merken
Der «Companion» besteht aus zwei verschiedenen Ansichten, dem klassischen, redaktionell kuratierten NZZ-Feed, sowie dem neuen algorithmisch ausgewählten Nachrichtenservice. «Für Sie» nennt die NZZ den personalisierten Stream. Durch die Technologie dahinter passt sich der Dienst den Gewohnheiten der Leser an und liefert zum Beispiel Wirtschaftsnachrichten am Morgen oder Video-Reportagen für den Abend. Der Algorithmus merkt sich die Muster des einzelnen Nutzers und verbessert so seine Empfehlungen.
«Die App arbeitet nicht wie ein Produktempfehlungsservice, der nach dem Kauf eines Artikels mehr ähnliche Artikel anzeigt», erklärt Leuener, angesprochen auf die Filterblase, worin sich der Leser dann womöglich bewegt. Der Algorithmus arbeite kontextbasiert sowie auf Basis von kuratierter redaktioneller Platzierung. Zudem sorge er dafür, dass ausreichend überraschende Inhalte vorgeschlagen werden. So will die NZZ verhindern, dass zum Beispiel ein Leser, der sich nicht für Sport interessiert, gar keine Inhalte mehr zu diesem Thema erhält.
Ersetzt «Companion» die NZZ-App?
Die Kosten für die Beta-Version des «Companion» sind hoch. Für Grossprojekte bezahlt Google den Medienhäusern unter Einhaltung von definierten Meilensteinen bis zu einer Million Franken. Mindestens einen Drittel des Betrags muss der Verlag zusätzlich selbst beisteuern. Über die genauen Zahlen will man bei der NZZ nicht sprechen. Nur so viel: «Ein fünfköpfiges Team hat in Teilzeit kontinuierlich am Projekt gearbeitet», sagt Leuener.
Ende Juli schliesst die NZZ das DNI-Projekt definitiv ab. Es wäre also denkbar, dass die neue App im Spätsommer die bisherige NZZ-Anwendung ersetzt. Leuener winkt ab: «Derzeit wissen wir noch nicht, ob aus dem ‹Companion› oder Teilen daraus ein eigenes Produkt entsteht oder ob man den Algorithmus in bestehende Produkte integriert.» Wichtig hierfür seien die Erkenntnisse aus der Beta-Phase.
Für die NZZ stehen bei dem Projekt «Lerneffekte» im Bereich Machine Learning im Vordergrund. Man habe gelernt, dass man aus Fehlern lerne und so vorankomme, sagt Leuener. Diesbezüglich spricht der Produkteentwickler aus Erfahrung. Unter seiner Leitung wurde im Mai 2015 die handkuratierte App «NZZ Selekt» lanciert, welche eineinhalb Jahre später wieder eingestellt wurde (persoenlich.com berichtete). Es war eines der ersten Produkte, welches die NZZ lanciert und kurze Zeit später wieder vom Markt genommen hat.
Personalisierung transparent machen
Die NZZ ist nicht das einzige Verlagshaus in der Schweiz, das mit Personalisierung experimentiert. Tamedia sammelt seit über einem Jahr Erfahrungen mit der «12-App», wo der zuständige Journalist bei der Selektion von einem Algorithmus namens RoboEditor unterstützt wird (persoenlich.com berichtete). Wichtig bei der Personalisierung ist, dass die Verlage die Nutzerinnen und Nutzer transparent darauf hinweisen. Beim «NZZ Companion» geschieht das laut Leuener, sobald ein Testnutzer erstmals den «Für Sie»-Stream anklickt. Die Daten, die der Algorithmus sammelt, würden im Hause NZZ bleiben.
Über die Webseite companion.nzz.ch sucht die NZZ nun interessierte Personen, welche die App von Anfang März bis Ende Juni testen und «in regelmässigen Abständen» ein Feedback geben. In diesen vier Monaten wird die Anwendung stetig verbessert und weiterentwickelt.
Nebst der «Neuen Zürcher Zeitung» haben auch die AZ Medien, die «Tageswoche» und Scitec-Media, ein Unternehmen für Wissenschaftsjournalismus, im Rahmen der DNI Fördergelder von Google erhalten. Die NZZ ist schweizweit der einzige Verlag, der für ein Grossprojekt (bis zu einer Million Franken) den Zuschlag bekam. persoenlich.com hat bereits über das Petitionsportal Petitio der AZ Medien und den «Multicle» von Scitec-Media berichtet.