15.08.2011

"Social Media wird oft als die eierlegende Wollmilchsau gesehen"

Mit ihren Werbe-Apps für "Schweiz Tourismus", "Saturn" oder "Bell" haben Patrick Müller und Marc Leuzinger in der Szene kreative Spuren hinterlassen. In Sachen Social Media geben sie mit der Agentur SMLY den Takt an. Gegenüber "persoenlich.com" erklären die beiden Jungunternehmer, wie sie für Marken die jeweiligen Kanäle einsetzen, wie man das nötige Feingefühl für die richtige Strategie entwickelt und warum sie ab und zu Kundenideen kritisieren und Aufträge ablehnen. Das Interview:
"Social Media wird oft als die eierlegende Wollmilchsau gesehen"

Herr Müller, Herr Leuzinger, Sie haben zusammen mit SFLB die Facebook-App "Ferien ohne Internet" für Schweiz Tourismus lanciert. Sind Sie zufrieden mit dem Verlauf der Kampagne?

Wir sind sehr zufrieden. Bei den Usern kam Ferien ohne Internet offensichtlich gut an. Bis heute hat die App fast 400’000 Besucher verzeichnet und auf der Schweiz Tourismus Facebook Fanseite über 50’000 Likes produziert. Somit hat die Kampagne die Ziele von Schweiz Tourismus sicher übertroffen. Auch die Zusammenarbeit mit Schweiz Tourismus und SFLB war ausgesprochen gut und hat Spass gemacht. Was will man mehr?

Kurz nach dem Start der App sperrte Facebook die Aktion für ein paar Tage. Was war passiert?

Facebook hat ziemlich genau zum Zeitpunkt der Lancierung unserer Kampagne ein automatisiertes System eingeführt, welches bei gewissen Aktionen der User eine App automatisch sperrt. Dazu gehört das Deinstallieren einer App, das Unterdrücken der Feedstories (Hides) und das Blockieren von App-Anfragen. Da offensichtlich eine bestimmte Anzahl von Aktionen ausreicht, um das System zu blockieren, war wohl die ungewöhnlich hohe Anzahl an Besuchern auf unserer App das Problem. Diese neue Prozedur war zum Zeitpunkt der Lancierung, von Facebook noch nicht veröffentlicht worden. Erst zwei Wochen später kommunizierte Facebook eine offizielle Policy-Korrektur. Unabhängig davon haben wir gemeinsam mit SFLB und Schweiz Tourismus entschieden, die App ein wenig "abzuschwächen", d.h die User wurden weniger aufgefordert zu Posten oder Anfragen zu versenden. Zu unserer Überraschung wurde die App aber bereits nach zwei Tagen in der ursprünglichen Version wieder live geschaltet, obwohl wir in der Zwischenzeit bereits die neue, aktualisierte Version entwickelt hatten. Letzlich sind wir mit Facebook übereingekommen, dass wir per sofort den Status "offizieller Vermarkter" innehaben und somit in Zukunft Apps vor der Lancierung von Facebook “abnehmen” lassen können. Ein grosser Vorteil für uns.

Auch andere Unternehmen wie Swiss und Migros hatten Probleme mit ihren Apps auf Facebook. Macht diese Dominanz und Regulierung die Planung von Kampagnen komplizierter?

Es sind Regelungen, mit denen man umgehen und die man bereits in der Konzeptionsphase miteinbeziehen muss. Gewisse Rahmenbedingungen und Regulationen kennen wir ja auch sonst in der Werbung. Die Herausforderung liegt darin, diesen geschickt und kreativ zu begegnen. Zudem kennen wir dieses System ja schon von Apple und dem App Store, wo jede Applikation erst überprüft wird und die Regeln sich ständig ändern. Social Media entwickeln sich im Moment schneller als alle anderen Medien und haben ihre ganz eigene Dynamik und Mechanismen. Unsere schlanken Strukturen und die Zusammenarbeit mit unseren Entwicklern in den USA ermöglichen es uns, stets auf dem neusten Stand zu bleiben und umgehend auf Trends und Veränderungen zu reagieren.

Sie machen nicht nur Facebook-Kampagnen. Was ist im Bereich Social Media ihr Spezialgebiet?

Unsere Stärke liegt sicher darin, medienübergreifend zu denken, zu konzipieren und umzusetzen. Es macht uns Spass, für ein Konzept verschiedene Kanäle und Disziplinen so miteinander zu verschmelzen, dass sie für den jeweiligen Kunden das Optimum herausholen. Wir setzen uns stets zum Ziel, Plattformen wie Facebook, YouTube, Twitter oder mobile Geräte auf natürliche Weise in eine Kampagne miteinzubeziehen. Dazu gehört auch die Integration von klassischer Werbung, Print, PR oder Online. Eines unser Spezialgebiete ist herauszufinden, welche Plattformen für welche Kampagne und welchen Kunden Sinn machen. Das nötige Feingefühl für die richtige Strategie ist hier entscheidend. Es geht nicht nur darum, wie und wo man User begeistert. Viel entscheidender ist, was man mit den gewonnenen Usern nachher macht. Wie kann man User über eine Kampagne hinaus an eine Marke binden? Hier trennt sich die Spreu vom Weizen.

Sie arbeiten oft mit Entwicklern aus den USA. Hat das einen bestimmten Grund?

Wir produzieren seit diesem Frühling unter anderem in den USA, namentlich in Los Angeles und New York. Obschon die Schweiz im internationalen Vergleich sicher nicht schlecht abschneidet, sind uns die USA auf dem Gebiet der Social Media im kreativen sowie im technischen Bereich mindestens 2-3 Jahre voraus. Für uns als Social Media Agentur ist dieser Wissensvorsprung entscheidend. Wo bewegt sich Social Media hin? Welche Technologien setzen sich durch? Nur so können wir auch in Zukunft unsere Kunden bestmöglich beraten.

Als Socia-Media-Unternehmer stehen Sie in der Branche hoch im Kurs. Wie gut ist das Auftragsbuch gefüllt?

100-prozentig.

In den Unternehmen ist eine regelrechte Social-Media-Mania ausgebrochen. Welches sind derzeit die wichtigsten Entwicklungen? Wie beurteilen Sie das als Experten?

Wir sind der Ansicht, dass Social Media sich nicht grundlegend von anderen Werbeformen unterscheidet. Es braucht eine Strategie und es braucht eine gute Idee. Die Mechanismen sind anders, der Kerngedanke der Werbung bleibt derselbe. Die aus unserer Sicht wichtigste Entwicklung in nächster Zeit in der Schweiz ist die wachsende Bedeutung von Twitter. Haben Unternehmen bis anhin fast nur auf Facebook gesetzt, wird Twitter nun auch in der Schweiz zunehmend an Relevanz gewinnen. Gemäss Twitter-eigenen Angaben wächst die Plattform dieses Jahr um unglaubliche 460'000 User pro Tag. Twitter birgt für Marken und Unternehmen die grosse Chance, in einen direkten Kontakt mit ihren Kunden zu treten. Noch direkter als auf Facebook. Grundsätzlich verhalten sich Social Media ähnlich wie das Wetter: Trends sind zwar erkennbar, eine 100%-ige Vorhersage, wie sie sich entwickeln werden, ist jedoch sehr schwierig. Unabhängig davon ist es uns wichtig, dem Kunden aufzuzeigen, welche Plattformen sich für ihn eignen und welche nicht. Wir sind unseren Ideen, aber auch den Ideen von Kunden gegenüber stets sehr kritisch. Projekte oder Ideen, an deren Erfolg wir nicht glauben, lehnen wir ab. Jedes Unternehmen will mittlerweile auf Social Media mitmischen und präsent sein. Es gilt hier, strategisch vorzugehen und die richtigen Massnahmen zu treffen, die den jeweiligen Unternehmen, ihren Missionen und ihren Strukturen entsprechen.

Wo liegen für Unternehmen die Chancen und Risiken der Social-Media- Kommunikation?

Social Media ist ein unglaublich interessanter Kanal für Unternehmen und Marken, um mit ihren Kunden, Fans und anderen Interessengruppen in einen offenen Dialog zu treten. Dies kann sich sehr positiv auf das Image einer Marke oder eines Unternehmens auswirken. Eine solche Öffnung nach aussen ist jedoch mit viel Aufwand verbunden. Man muss stets in der Lage sein, auf Anregungen und/oder Kritik seitens der User richtig reagieren zu können.

Sie haben schon viele Apps für Kunden realisieren dürfen. Was ist der schlimmste Fehler, den man mit dem Einbezug von Social Media machen kann?

Aus unserer Sicht wird oft unterschätzt, dass sich die Markteinführung einer Facebook- oder iPhone-App nicht von der eines x-beliebigen Produktes unterscheidet: Was man nicht bewirbt, wird nicht gefunden. Social Media wird oft als die eierlegende Wollmilchsau gesehen: Wenig Aufwand in der Entwicklung, keine Strategie und die User haben noch dazu nur darauf gewartet. Oft wird davon ausgegangen, dass sich eine gute Idee oder ein innovatives Konzept von alleine verbreitet und Aufmerksamkeit bekommt. Hier machen wir unsere Kunden jeweils früh in der Kampagne darauf aufmerksam, dass es eine rein virale Verbreitung einer Idee nicht gibt. Das passiert vielleicht 1 von 10'000 Mal. Es fällt uns zudem auf, dass Social Media Kampagnen nicht selten sehr wenig mit der Kernbotschaft der Marke zu tun haben. Die Anzahl User scheint manchmal wichtiger, als die effektive Botschaft. Doch was nützt es einem Unternehmen, wenn viele User eine App benutzen, die Marke und die Botschaft dahinter aber gar nicht wahrgenommen werden?

Interaktion fällt den meisten Unternehmen schwer. Was raten Sie?

Interaktion mit Kunden bedeutet Zeitaufwand. Erst recht, wenn man eine hohe Qualität in der Kommunikation wahren will. Als erstes müssen konkrete Richtlinien erlassen und adäquate Rahmenbedingungen geschaffen werden. Es braucht jemanden auf Unternehmensseite, der vollumfänglich für diesen Bereich verantwortlich ist und sein Handwerk auch versteht. Unser Tip hier: Think before you tweet. Zuerst sollte man sich gut überlegen, welche Plattform für das Unternehmen Sinn macht und was dies an zeitlichem und monetärem Aufwand bedeutet. Nicht jede Interaktion macht Sinn. Genausowenig muss man zwingend auf allen Plattformen gleichzeitig vertreten zu sein.

Macht Social Media andere Formen der Werbung eigentlich überflüssig?

Social Media ist ein Kanal, genauso wie Plakatwerbung an der Bushaltestelle ein Kanal ist. Nicht mehr und nicht weniger. In keiner Weise ersetzt Social Media andere Formen der Werbung. Im Gegenteil: Die Wirkung von Social Media ist am effizientesten und effektivsten, wenn sie als Teil einer gut konzipierten und medien-übergreifenden Kampagne eingesetzt wird. Wir als Social Media Agentur konzentrieren uns einfach auf das, was wir am besten können. Manchmal realisieren wir Social Media Projekte direkt für ein Unternehmen, in anderen Fällen wiederum macht es mehr Sinn, bereits bestehende Konstellation von Unternehmen und klassischen Agenturen punktuell zu ergänzen und zu unterstützen.

Was sagen Sie Firmen, die ihren Mitarbeitern Social Media verbieten?

Grundsätzlich sind wir der Meinung, dass Social Media, richtig eingesetzt, für eine Unternehmung mehr Chancen als Gefahren birgt. Natürlich kann man argumentieren, dass die Mitarbeiter dann mehr Zeit auf Facebook verbringen und "Netto-Arbeitszeit" dadurch verloren geht. Es gibt aber auch etliche Firmen, die es geschafft haben, ihre Mitarbeiter gezielt in ihre Social Media Aktivitäten einzubinden und die individuelle Faszination für das eigene Unternehmen zu nutzen. Ob ein Verbot unter dem Strich ökonomisch Sinn macht oder nicht, muss jede Firma für sich selber entscheiden.

Zum Schluss: Auf der Webseite schreiben Sie beide, dass Sie Gründer der Plafform "DigaDing" sind. Eine kurze Recherche offenbarte, dass Sie Menschen aufgrund ihrer Markenpräferenzen zusammenbringen wollten. Haben Sie diese Vision umsetzen können?

Wir haben vor etwas über vier Jahren DigaDing gegründet und wollten die erste Social Community Plattform aufbauen, welche User aufgrund ihrer Vorlieben für gewisse Marken und Produkte miteinander verbindet. Die finale Umsetzung fiel letztlich leider der Finanzkrise Ende 2008 zum Opfer. Nichtsdestotrotz spielt die Vision von DigaDing in unserer heutigen Arbeit immer noch eine wichtige Rolle. Es fasziniert uns nach wie vor, was Menschen dazu bringt, verschiedene Marken oder Produkte zu lieben, abzulehnen, zu sammeln oder einander zu schenken. Was Menschen aus Produkten und was Produkte aus Menschen machen können - das treibt uns an.

Interview: Christian Lüscher



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