16.11.2019

Philippe Reinhardt

Der unbekannte Superstar

Philippe Reinhardt hat die Chance, weltweit zum erfolgreichsten Schweizer Schauspieler zu werden. Der Anfang ist gemacht – in Russland ist er ein Superstar. Nur in seiner Heimat kennen ihn noch wenige. Das soll sich ändern. «persönlich» hat ihn getroffen. Ein Porträt.
Philippe Reinhardt: Der unbekannte Superstar
Bejubelt: Der Zürcher Philippe Reinhardt hat einen filmreifen Lebensweg. (Bild: zVg.)

Es ist kühl und ungemütlich auf dem Roten Platz, aber nicht so für Philippe Reinhardt. Der 38-jährige Schauspieler erlebt in diesem Moment etwas, was wohl noch keinem anderen Schweizer – ausser vielleicht Roger Federer – gelang: Er wird von euphorischen Russen umlagert und um Autogramme und Selfies gebeten. Dies im Angesicht von grimmig dreinblickenden Soldaten, die vor Lenins Gruft patrouillieren.

Wenige Wochen später ist er am Zürcher Bellevue. Der Kontrast zu Moskau könnte kaum grösser sein. In Russland ist er ein «Superstar», wie die «Bild» schreibt. Die Bewunderung geht so weit, dass ihn das Boulevardblatt sogar zum Berliner macht. Eine erstaunliche Wendung. Doch in seiner richtigen Heimatstadt ist Philippe Reinhardt immer noch ein Unbekannter. Verloren steht er neben dem grossen Rondell, keiner kennt ihn oder will sich mit ihm fotografieren lassen. Soeben hat er im benachbarten Vapiano ein Fitnessmenü verschlungen, um «auf Linie zu bleiben».

Er ist nur noch selten hier: Seinen Wohnsitz hat er im noblen Charlottenburg im ehemaligen West-Berlin. Doch in zwei Stunden lockt sein bislang grösster Auftritt in der Schweiz – in der Talksendung «Schawinski» des Schweizer Fernsehens. In seinen Notizblock kritzelt er sorgfältig den Namen jener Haltestation, bei der er aussteigen muss und die ihm den nächsten Karriereschritt ermöglichen soll: «Fernsehstudio».

Prototyp des typischen Deutschen

Die berufliche Laufbahn des Zürchers ist in jeglicher Hinsicht völlig unschweizerisch: Seinen internationalen Durchbruch erlebte er nicht etwa in Deutschland, wo er bereits in einigen Filmen – unter anderem mit Til Schweiger – mitspielte, und auch nicht in den USA, sondern in Putins Riesenreich. Und dies in einer für einen Schweizer eher gewöhnungsbedürftigen Rolle: als SS-Führer in der Weltkriegssaga «Stalingrad», die vor sechs Jahren sogar ins Oscar-Rennen geschickt wurde. Zu verdanken hat er diesen Auftritt seinem Aussehen, das mehr an den jungen Schwarzenegger erinnert als an Ruedi Walter oder Mathias Gnädinger.

Doch der Einstieg in den russischen Markt war gegeben: Drei Jahre später, 2016, brillierte Reinhardt in der Hauptrolle der russischen Erfolgskomödie «Zhenikh – der Bräutigam», die drei Millionen Zuschauer ins Kino und fast zwanzig Millionen vor die Bildschirme lockte: «Monsieur Tati» und «Monsieur Claude mit seinen Töchtern» in Personalunion, das russische Pendant zu «Fack ju Göhte». Reinhardt spielt darin den heiratswilligen Deutschen Helmut, der in Europas Osten seine Traumfrau gefunden hat. Die Fortsetzung ist bereits geplant.

Kurz danach verschlägt es Reinhardt nochmals in die tiefsten Abgründe der menschlichen Seele: In «Sobibor» spielt er einen KZ-Aufseher. Es ist bemerkenswert, dass ausgerechnet ein neutraler Schweizer für das russische Kino die Inkarnation des deutschen Prototyps verkörpert – und dies sowohl im Guten wie im Schlechten. Im neuesten Film, der Komödie «Love Made Easy», darf er endlich das spielen, was er auch in der Realität ist: ein Strahlemann. Zur Premiere im Dietliker Pathé-Kino Anfang September kamen viele Russlandstämmige.

Dass es Reinhardt nach Russland verschlagen würde, war überhaupt nicht vorbestimmt. Als ihn Filmproduzent Norbert Kneissl vor einigen Jahren unverhofft anrief und ihm eine Rolle in «Stalingrad» offerierte, legte der Zürcher auf. Er vermutete einen schlechten Scherz. Zu seinem Glück liess Kneissl nicht locker und versuchte es ein zweites Mal. Das war der Einstieg. Doch um in Russland wirklich zu reussieren, erklärte ihm ein russischer Erfolgsproduzent, müsse er eine winzigkleine Bedingung erfüllen: die russische Sprache. Da ahnte der Zürcher, dass der Lotto-Sechser lockte. Einziges Problem: Er sprach kein Russisch. Und so prügelte Reinhardt unter Vollstress russische Vokabeln in den Kopf, «als ginge es um Leben und Tod».

Ein Kind der Nach-Letten-Ära

Zielstrebigkeit ist neben dem schauspielerischen Talent seine wichtigste Eigenschaft. Aufgewachsen ist er in Zürich, in gutbehütetem Elternhaus. Sein Vater war Staranwalt und Partner der etablierten Wirtschaftskanzlei Lenz & Staehelin, einer der grössten des Landes. Doch in der Schule nützte ihm dies wenig: Als Teenager war Reinhardt der klassische Aussenseiter, dick und vermeintlich dumm, die personifizierte Knautschzone für seine Kollegen. Die Noten waren schlecht, Reinhardt litt an einer Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung. «Es war grauenhaft», so Reinhardt. Trotzdem hatte er ein Ziel vor Augen: Er wollte Fotomodell werden. Reinhardt hungerte sich auf die Idealmasse runter. Gleichzeitig begann er zu trinken und schnupfte Kokain. «Das beruhigte mich», erinnert er sich.

Er ist das typische Kind der Nach-Letten-Ära. Irgendwann lag er stockbetrunken auf der Zürcher Bahnhofstrasse und wusste nicht mehr weiter. Für ihn, und auch die Familie, die immer zu ihm hielt und an ihn glaubte, der absolute Horror. Er flog vom Gymnasium, begann mit der Schauspielschule in Hamburg. Doch die Suchtprobleme blieben. Als ein Arzt vor neun Jahren Krebs diagnostizierte, war dies das Signal, das Leben abrupt zu ändern. Nach der OP hört er auf zu trinken und Drogen zu konsumieren. Die Krankheit verschwand, die Weltkarriere konnte starten. Eigentlich ist Reinhardt der umgekehrte Maradona: zuerst der Absturz, dann der Durchbruch.

«Mittlerweile gehe ich achtmal die Woche für mehrere Stunden ins Fitness und jogge wöchentlich fünfzig Kilometer», erzählt der Zürcher. Daneben arbeite er wie wild. Soeben hat er mit «The Match» seine erste Hollywood-Produktion abgedreht. Für das nächste Jahr sind bereits wieder ein paar Hauptrollen vorgesehen. «Sicher ist aber noch nichts», sagt der unbekannteste Schweizer Weltstar. «Filme sind wie das Leben, ein ständiges Up-and-down.» Sein Lieblingslied wirkt für einen Enddreissiger ein bisschen aufgesetzt. Wenn man aber seinen schwierigen Weg kennt, nachvollziehbar: «My Way» von Frank Sinatra. Doch vorerst hat Philippe Reinhardt ein Ziel: in Zürich weltberühmt zu werden. Die Prognosen stehen gut: Einen Auftritt bei «Schawinski» hatte er schon, die Filmproduzentin Anne Walser kennt er bereits, und sogar zum diesjährigen Zurich Film Festival war er eingeladen. Wenn das kein gutes Omen ist.



Dieser Text erschien zuerst in der Oktober-Ausgabe von «persönlich».


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