24.11.2021

Ausbrecherkönig Stürm

«Die Berichterstattung war völlig verzerrt»

Am Donnerstag kommt die Verfilmung der Geschichte vom Ausbrecherkönig Walter Stürm in die Kinos. Der Film basiert auf dem Buch des SRF-Journalisten Reto Kohler. Ein Gespräch über einen egomanischen Menschen und seine öffentliche Wahrnehmung.
Ausbrecherkönig Stürm: «Die Berichterstattung war völlig verzerrt»
«Ich habe Stürms aktivste Zeit selber nicht miterlebt»: Reto Kohler hat das Buch «Ausbrecherkönig Stürm, im Gefängnis der Lügen» (Zytglogge) geschrieben. (Bilder: SRF/zVg)
von Matthias Ackeret

Herr Kohler, der Film «Stürm», der soeben in die Kinos kommt, basiert auf Ihrem Buch. Sind Sie zufrieden mit dem Resultat?
Ja – sehr sogar. Vor allem die Kameraarbeit und die Leistung von Marie Leuenberger als Barbara Hug sind grossartig.

Wie sind Sie selber auf dieses Thema gekommen?
Ich habe Stürms aktivste Zeit selber nicht miterlebt. Ich studierte damals Biochemie und interessierte mich eher für Moleküle und Mikroskope als für Politik. Später, als ich Journalist geworden war, sass ich irgendwann mit ein paar Kollegen zusammen. Wir kamen auf Stürm zu sprechen. Keiner von uns konnte Stürms Geschichte genau nacherzählen. Ich begann alles zu lesen, was ich über Stürm fand. Irgendwann merkte ich, dass die Berichterstattung während Jahrzehnten völlig verzerrt war. Über die Opfer schrieb kaum jemand. Fast überall galt er als gewaltfrei. Der edle Ritter, Kämpfer für die Freiheit, der nachts mal kurz vorbeikommt und dir den Tresor leert. Absurd.

Sie selber beurteilen Walter Stürm kritisch und nicht als die Lichtgestalt oder Robin Hood, der er für viele Linke lange Zeit war. Warum diese Sichtweise?
Walter Stürm war ein egomanischer Mensch, der von einer unfassbaren kriminellen Energie angetrieben wurde. Er hat zahllose Kleinunternehmer und Handwerker geschädigt. Seine Komplizen wendeten sehr wohl rohe Gewalt an. Stürm fand immer wieder Helfer, die für ihn die Drecksarbeit machten. Er hat nie die Verantwortung für seine Taten übernommen. Schuld und Sühne waren für ihn keine Konzepte, mit denen er etwas anfangen konnte.

Walter Stürm hat mit 57 Jahren Selbstmord begangen. Haben Sie ihn persönlich einmal getroffen?
Nein. Er war schon tot, als ich mit der Arbeit am Buch begonnen habe.

Hatten Sie mit seinem Umfeld Kontakt? Wie sieht dieses heute Walter Stürm?
Ja – ich habe mit unzähligen Weggefährten von Stürm gesprochen. Komplizinnen, Gefängnisdirektoren, Anwältinnen, Geliebten, Jugendfreunden. Die meisten Leute sind heute enttäuscht von Walter Stürm – was sie sich aber selber zuzuschreiben haben. Viele haben sich in seinem Ruhm gesonnt – und Geld von ihm genommen. Wenn sie für ihn nicht mehr interessant waren, hat er sie fallen gelassen, ohne zurückzublicken. Mit dem Konzept einer langen Freundschaft, die auf gegenseitiger Verantwortung beruht, konnte er wenig anfangen.

Wie fest hält sich der Film an die Realität?
Der Film erhebt gar nicht den Anspruch, historisch absolut korrekt zu sein. Sein Verdienst besteht vielmehr darin, ein Zeitgefühl wieder aufleben zu lassen. Dieses Gemisch von Abenteuer, Grössenwahn, kindlichem Gerechtigkeitssinn, Revolte, Naivität und Aufbruch muss für die, die es erlebt haben, schon sehr spannend gewesen sein. Es gab fatale Irrwege. Denken Sie an den deutschen Terrorismus. Tatsächlich aber hat diese Revolte auch viel Gutes erreicht. Ich bin froh, dass die Generation unserer Kinder in einem toleranteren Umfeld aufwachsen können als wir. Oli Rihs’ Film lässt das Laboratorium, in dem diese neuen Lebenskonzepte entstehen konnten, sehr plastisch wieder aufleben. Das ist toll.

Was war die grösste Herausforderung bei der Realisation des Films?
Das müssen Sie wohl eher den Produzenten Ivan Madeo fragen. Wahrscheinlich würde er antworten: «Es gab keine grösseren Probleme.» Ivan ist jemand, der für jedes Problem eine Lösung bereit hat. Das hat mich sehr beeindruckt.

Worauf freuen Sie sich in den nächsten Wochen am meisten?
Leider habe ich derzeit schwerwiegendere gesundheitliche Probleme, die mich viel Kraft kosten. Nebenbei versuche ich, einen Text über meinen Hund zu schreiben. Vielleicht wird es auch eine Geschichte über alle Hunde der Welt. Hunde sind derzeit das Einzige, was mich wirklich interessiert. Einen einzigen Moment lang so zufrieden zu sein wie David Hockneys Dackel in seinem Körbchen – mehr kann man vom Leben nicht erwarten. Auch das hat Walter Stürm nie begriffen.



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