10.11.2023

Keystone-SDA

«Glaubwürdigkeit rettet das Newsbild vor KI»

Wichtigstes Gut der Fotografie ist die Glaubwürdigkeit. Doch diese kommt durch die künstliche Intelligenz unter Druck. Wie kann sich ein dokumentarischer Fotograf abgrenzen? Cheffotograf Alessandro della Valle sagt, wie er und sein Arbeitgeber mit dem KI-Hype umgehen.
Keystone-SDA: «Glaubwürdigkeit rettet das Newsbild vor KI»
«Ich appelliere an die Fotografierenden, zu unserem wichtigsten Kapital, der Glaubwürdigkeit, Sorge zu tragen», so Alessandro della Valle, Chief Photographer bei Keystone-SDA. (Bild: Oliver Rüesch)

Alessandro della Valle, auf welche Fotografie sind Sie besonders stolz?
Jedes Mal, wenn ich das Gefühl habe, ein Superbild gemacht zu haben, verpasse ich die nächste, wichtigere Szene. Es freut mich natürlich, wenn mir ein Bild gelungen ist, welches die Geschichte erzählt und grafisch interessant ist. Das ist recht selten. Wenn doch, braucht es neben dem guten Auge und der Erfahrung immer eine gute Portion Glück. Stolz ist selten angebracht.

Könnten Ihre Bilder nicht ebenso gut von einer künstlichen Intelligenz (KI) kreiert werden?
Wir sprechen von tatsächlichen Ereignissen, dessen Abbildung meine Aufgabe ist. Im Moment beherrscht KI das noch nicht.

Wie stark spüren Sie bei Keystone-SDA den Hype um KI?
KI ist tatsächlich in aller Munde, innerhalb der Agentur und ausserhalb. Im Textbereich kommt KI bereits regelmässig zum Zug.

«KI-generierte Bilder werden sicher mittelfristig ihren Platz finden und durchaus Fotografierende verdrängen»

Hören Sie in Ihrer täglichen Arbeit Aussagen im Sinne, dass es Fotografen ja gar nicht mehr braucht?
Dass es die dokumentarische Fotografie nicht mehr braucht, höre ich nicht und ist Stand heute schwer vorstellbar. Wollen Sie als Leser das Bild des Tors im Spiel der Champions League – oder ein Bild, wie es ausgesehen haben könnte? Solange Ersteres gefragt ist, braucht es uns. In anderen Bereichen der Fotografie, Produktefotografie, Stockbilder et cetera werden KI-generierte Bilder sicher mittelfristig ihren Platz finden und durchaus Fotografierende verdrängen.

Keystone-SDA hat als Nachrichtenagentur ganz klare Regeln. «Fotografiert» bei Ihnen nie die KI mit?
Nein, der oder die Fotografierende wählt den Ausschnitt und drückt selbst ab. Allerdings werden die Kameras immer «intelligenter», gewisse Modelle erkennen bereits Gesichter und stellen auf voreingestellte Personen scharf. Auch basieren Nachbearbeitungstools wie Photoshop immer mehr auf KI. Hier sind klare Regeln wichtig.

Stichwort Regeln: Was darf ein Agenturfotograf und was nicht?
Was lange vor KI galt: Bildinhalte werden weder verändert, verschoben noch hinzugefügt oder entfernt.

Aber allein mit dem Bildausschnitt können Sie ja die Wahrheit beeinflussen.
Tatsächlich ist die Wahl des Ausschnitts, beim Aufnehmen des Bildes oder bei der Nachbearbeitung, Sache des Fotografen, der Fotografin. Mit diesem Instrument kann ich die Aussage einer Fotografie erheblich verändern. Hier ist es zentral zu betonen, dass Fotografie mit Wahrheit nicht gleichzusetzen ist. Es fotografiert immer ein Mensch mit seiner oder ihrer Wahrnehmung, seinem oder ihrem kulturellen Hintergrund, seiner oder ihrer Erziehung, politischen und religiösen Herkunft. Fotografie ist immer subjektiv, das hat nichts mit KI zu tun.

Betrachten wir die Bildbearbeitung. Hier kann die KI die Arbeit erleichtern …
Gewisse Instrumente der Software funktionieren auf Basis von KI. Solange sie den Bildinhalt nicht verändern, sondern zum Beispiel technische Fehler, wie Bildrauschen verringern, so sind sie weniger problematisch. Jedes Update von Photoshop arbeitet mit mehr KI-Elementen.

Wie stark darf bei der Bildbearbeitung in ein Bild eingegriffen werden? Wird beispielsweise am Kontrast geschraubt, kann das die Aussage eines Bildes auch stark verändern.
Es dürfen der Ausschnitt gewählt, allfällige Farbstiche neutralisiert und der Kontrast angepasst werden. Übermässige Kontrastveränderungen und Ersetzen von Farben ist nicht zulässig. Werte von Tools in Photoshop festzulegen, wie das vor ein paar Jahren eine Agentur gemacht hat, ist kaum zielführend, da jedes Update neue Instrumente und veränderte Korrekturmöglichkeiten anbietet. Wichtig ist gerade bei Kontrast und Farbe, dass sich das fertige Bild an der ursprünglichen Aufnahme, respektive der fotografierten Szene orientiert.

Sie hielten am Mittwoch an der Trendtagung Fach- und Spezialmedien des Verlegerverbands Schweizer Medien ein Impulsreferat. Welches war Ihre Hauptbotschaft an die Verleger?
Meine Botschaft bleibt seit Jahren die Gleiche, sie hat sich auch seit KI nicht verändert: Ich appelliere an die Fotografierenden, zu unserem wichtigsten Kapital, der Glaubwürdigkeit, Sorge zu tragen. Und an die Leute, welche Bilder konsumieren, kritisch zu sein und jedes Bild in seinem Zusammenhang zu sehen. Und Glaubwürdigkeit rettet auch das Newsbild vor KI.

«Ich gehe davon aus, dass KI die technische Bildqualität weiterhin verbessern wird»

Wagen wir einen Blick in die Zukunft: Wie stark wird KI Ihre Arbeit noch verändern?
Ich bin vorsichtig mit Prognosen. Ich gehe davon aus, dass KI die technische Bildqualität weiterhin verbessern und gewisse Erleichterungen im Workflow bringen wird. Ich hoffe, dass sie sich mittelfristig inhaltlich nicht in meine Arbeit, die dokumentarische Fotografie, mischt. Ich habe in 35 Jahren Fotografie schon mehrere technische Revolutionen erlebt. Der Prozess des Auslesens, was ins Rechteck kommt und was nicht, ist gleichgeblieben.

Welches Bild ist eigentlich erst in Ihrem Kopf und würden Sie gerne mal noch umsetzen?
Ich komme zum Anfang dieses Gesprächs zurück: Mein oberstes Ziel ist, für den zentralen Moment des Ereignisses bereit zu sein und ihn präzise und technisch sauber festzuhalten. Ob es sich dabei um einen Staatsbesuch, einen Lottoabend des gemischten Chors oder ein Fussballspiel der zweiten Liga handelt, ist unwichtig.



Impressionen von der Trendtagung Fach- und Spezialmedien finden Sie in der persoenlich.com-Fotogalerie.


Newsletter wird abonniert...

Newsletter abonnieren

Wollen Sie Artikel wie diesen in Ihrer Mailbox? Erhalten Sie frühmorgens die relevantesten Branchennews in kompakter Form.

Kommentar wird gesendet...

KOMMENTARE

Kommentarfunktion wurde geschlossen

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren

Die Branchennews täglich erhalten!

Jetzt Newsletter abonnieren.