25.11.2018

Die Glückssucherin

«Sie können doch nicht Exit machen»

Margrit Schäppi ist mit Exit freiwillig aus dem Leben geschieden. Zuvor gelangte sie mit ihrer Autobiografie an «persönlich»-Verleger Matthias Ackeret. Er bat sie vergeblich, vom Freitod abzusehen. Ein Gespräch über den Sinn des Lebens – und des Sterbens.
Die Glückssucherin: «Sie können doch nicht Exit machen»
«Täglich scheiden in der Schweiz drei Personen dank der Suizidhilfe aus dem Leben. Ich finde das erschreckend viel», so Matthias Ackeret, der in «Die Glückssucherin» ein Nachwort verfasst hat. (Bild: Keystone/Gaëtan Bally)
von Christian Beck

Herr Ackeret, wie lernten Sie Margrit Schäppi kennen?
Im Sommer 2017 schickte mir eine Frau namens Margrit Schäppi ein Manuskript mit ihrer Lebensgeschichte. In einem beigelegten Brief erkundete sie sich, ob ich einen Verleger kennen würde, der dies publizieren würde. Als nichts passierte, kontaktierte sie mich Anfang dieses Jahres erneut. Ich wich aus und sagte, man könne ihre Story notfalls auch ins Internet stellen. Frau Schäppi meinte nur: «Sie müssen aber pressieren, ich mache nächste Woche Exit.»

Und dann klingelten Ihre Alarmglocken…
Ich war völlig schockiert. «Sie können doch nicht Exit machen», antwortete ich. Frau Schäppi lachte: «Warum? Sind Sie religiös?» Ich habe sie kurz danach in einem Zürcher Café getroffen und versuchte sie von diesem Ansinnen abzubringen. Danach habe ich sie noch zweimal telefonisch kontaktiert. «Wenn Sie in letzter Sekunde noch Ihre Meinung ändern sollten, rufen Sie mich doch an», sagte ich. Frau Schäppi bedankte sich, rief aber nicht mehr an. Sie ist am 19. Januar dieses Jahres verstorben.

«Dieses Buch wäre ihr Traum gewesen»

Hatte Frau Schäppi gewusst, dass Sie Ihr Manuskript veröffentlichen werden?
Ja, ich hatte dies sogar als Argument benutzt. «Es wäre doch schön, wenn Sie noch die Publikation des Buches erleben würde», sagte ich. Doch dies wollte sie nicht mehr, zu stark war ihr Wille, aus dem Leben zu scheiden. Sie gab mir aber die Erlaubnis, ihr Manuskript nach ihrem Tod zu veröffentlichen. Dieses Buch wäre ihr Traum gewesen. Wir haben ausser dem Titel und den Namen der Hauptprotagonisten nichts verändert. Leider kann sie jetzt die Publikation der «Glückssucherin» nicht mehr miterleben.

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Was können Sie zum Inhalt von «Die Glückssucherin» sagen?
Frau Schäppis Lebensgeschichte ist wirklich sehr packend. Es ist die Story einer Frau, die ihr ganzes Leben nach Wohlstand und auch nach dem Glück gesucht hat. Frau Schäppi hat eine ganz eigene, nüchterne Sprache, die auf den Leser einen eigentümlichen Sog ausübt. Das ist das höchste, das man als Autor erreichen kann. Mit ihrem zweiten Ehemann, einem 38 Jahre jüngeren Ägypter, trat sie bei RTL und TV3 auf – 15 minutes of fame. Doch am Ende war sie völlig vereinsamt und lebte in einer Zürcher Wohnsiedlung. Dabei reifte die Idee, Exit zu begehen. Der zweite Teil des Buches, in dem ich meine Begegnung mit Frau Schäppi beschreibe und auch Kritik an der gängigen Sterbehilfepraxis äussere, ist die traurige Fortsetzung. «Die Glückssucherin» zeigt damit alle Facetten unseres Lebens.

«Sie war charismatisch, aufmerksam, aber auch witzig»

Wie erlebten Sie Margrit Schäppi?
Wir haben uns nur einmal in diesem Café an der Badenerstrasse getroffen. Sie war charismatisch, aufmerksam, aber auch witzig. Ja, sie wirkte sogar vital. Das ist ja das Verrückte: Trotzdem hatte sie den Eindruck, Exit machen zu müssen. Doch ihr Hausarzt habe ihr die notwendige «Sterbebewilligung» verweigert, erzählte sie. Daraufhin ging sie zu einer anderen Ärztin, die ihr innert 70 Minuten das notwendige Dokument unterschrieb. Das ist erschreckend. Wäre Frau Schäppi zur «Dargebotenen Hand» oder Pfarrer Sieber gegangen, würde sie möglicherweise noch leben. Manchmal ist alles eine Frage der Weichenstellung. Man vergisst gerne, dass Suizidhilfe auch bei jüngeren Menschen möglich ist.

Im Frühling haben Sie sich entschieden, das Buch zu publizieren. Was gab den Ausschlag dazu?
Zum einen – wie gesagt – die Qualität ihres Manuskriptes. Zum andern eine wirkliche Begebenheit: Als im Frühjahr ein 104-jähriger Australier im Kanton Baselland äusserst mediengerecht mit Sterbehilfe aus dem Leben schied, fand ich dies sehr befremdlich. Als Exit in den folgenden Tagen in den Sonntagszeitungen seitengrosse Anzeigen schaltete, in denen sie mit Testimonials neue Vereinsmitglieder suchte und eine Informationsreihe – also eine Art Roadshow – durch die ganze Schweiz ankündete, rief ich meinen Verleger Manfred Hiefner an und schilderte ihm mein Buchprojekt.

«Kritik an der Sterbehilfe gilt als politisch unkorrekt»

Sie haben im Buch – wie erwähnt – ein Nachwort verfasst. Hat sich Ihr Blick auf die Sterbehilfe während des Schreibens verändert?
Nicht wirklich. Ich hatte gegenüber der Sterbehilfe, wie sie in der Schweiz praktiziert wird, immer ein komisches Gefühl. Ausgelöst wurde dies durch einen kritischen «Spiegel»-Artikel in den 90er-Jahren. Als TeleZüri-Reporter habe ich ihn vor bald 20 Jahren eine Exit-Veranstaltung in einem Zürcher Hotel besucht. Einer der Exit-Chefideologen meinte ganz nüchtern: «Wir durften im vergangenen Jahr x Prozent weniger Menschen in den Tod begleiten als im Vorjahr.» Das erinnerte mich stark an die Bilanzpressekonferenz eines börsenkotierten Unternehmens. Pfarrer Sieber, mit dem ich sehr gut bekannt war, war ein Gegner der gängigen Sterbehilfepraxis. Gerade in Zeiten, in denen man vom internationalen Recht schwärmt, sollte man sich die Frage stellen, warum gerade die meisten Staaten diese Art von Suizidhilfe ablehnen.

Aber warum ist dann die Schweiz gegenüber der Sterbehilfe so liberal?
Sterbehilfe, wie sie in der Schweiz praktiziert wird, ist eine Schweizer Spezialität wie früher das Bankgeheimnis. In Artikel 115 des Schweizer Strafgesetzbuches steht, dass Beihilfe zum Selbstmord nur dann bestraft werden kann, wenn es «aus selbstsüchtigen Beweggründen» geschieht. Alle anderen bleiben straflos. Diese Formulierung ermöglicht das «Businessmodell Sterbehilfe».

Und dieses «Businessmodell» scheint zu funktionieren…
Täglich scheiden in der Schweiz im Schnitt drei Personen dank der Suizidhilfe aus dem Leben. Ich finde das erschreckend viel, Tendenz steigend. Mittlerweile teilen sich fünf Organisationen, wobei Exit die grösste ist, den «Kuchen» auf. Vielfach schaut die Staatsanwaltschaft nach einem «aussergewöhnlichen Todesfall» – und das ist Suizidhilfe – nicht einmal mehr vorbei, es gibt auch keine Kontrolle, ob im Vorfeld Legate an die Sterbehilfeorganisationen gemacht wurden. Es ist doch interessant, dass die gesamte Wirtschaft immer mehr unter staatlichen Eingriffen und Kontrollen leidet. Aber bei der existentiellsten Frage überhaupt, dem Leben, schauen Gesellschaft und Staat gerne weg oder wirken überfordert. Gleichzeitig wachsen die Forderungen der Sterbeideologen. Kritik an der Sterbehilfe gilt in der Schweiz fast schon als politisch unkorrekt. Wagt es einer trotzdem, verdächtigt man ihn bereits als «religiöser Sektierer». Dies hängt mit der Stellung von Exit zusammen, das zu einem sehr starken Brand geworden ist. Das Thema wird fast schon normalisiert. Ich hoffe, dass «Die Glückssucherin» einen Beitrag zu dieser wichtigen Debatte leisten wird. 



Margrit Schäppi wurde 1936 in Zürich geboren. Das Buch «Die Glückssucherin – Warum Margrit Schäppi einen Lebensratgeber schrieb und trotzdem Exit wählte» ist in diesen Tagen im Münster Verlag Basel erschienen.



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