Herr Hirsbrunner, Sie sind nun fünf Jahre CEO von Jung von Matt/Limmat. Wie stark hat sich die Agentur in dieser Zeit verändert?
Fundamental. Von aussen sieht Jung von Matt/Limmat immer noch gleich wie damals aus, aber unter der Oberfläche hat sich die Agentur in den letzten fünf Jahren grundlegend transformiert. Teamzusammensetzung, Führungskultur, Arbeitsmittel und Arbeitsprozesse – Jung von Matt/Limmat, Ausgabe 2019, ist die konsequente Ausrichtung unserer Herkunft auf die Zukunft.
Wo hat sich konkret etwas verändert?
Zum Beispiel bei der Spezialisierung: Wir vereinen heute 27 unterschiedliche Jobprofile in der Agentur. Diese Breite an Kompetenzen verlangt nach neuen Rezepten bei der Kollaboration und der Führung. Kurz gesagt: weniger Silo und Top-down, mehr Netzwerk und Selbstorganisation. Die Agentur besteht heute aus fünf sogenannten Superteams; jede dieser «Agenturen innerhalb der Agentur» umfasst rund 20 Mitarbeitende und betreut relativ selbstständig Projekte. Oder beim Thema Co-Kreation: Wir arbeiten heute meist sehr intensiv mit den Kunden zusammen. Oder bei der (eigenen) Digitalisierung: Wir steuern heute per Dashboard die Auslastung und die Planung der Agentur.
«Ich bin heute eher Tourmanager und weniger Frontmann»
Was ist denn die Funktion des CEO?
Meine Rolle hat sich ebenfalls stark verändert. Ich bin – in Analogie zu einer Band gesprochen – heute eher Tourmanager und weniger Frontmann. Meine Aufgabe ist es, für die Superteams optimale Rahmenbedingungen zu schaffen. Dafür zu sorgen, dass sie ideal aufgestellt sind und auch untereinander gut harmonieren. Und natürlich beschäftige ich mich zusammen mit meinen Kollegen aus der Geschäftsleitung intensiv damit, Kunden- und Mitarbeiterbedürfnisse immer besser zu verstehen und uns darauf auszurichten.
War dies vor fünf Jahren so geplant, oder hat sich dies so ergeben?
Das Reiseziel war klar, nicht aber die Route. Ich wollte der Agentur eine Struktur geben, die den Erfolg der Vergangenheit auch in Zukunft ermöglicht – die also genügend anpassungsfähig ist für die Herausforderung von übermorgen. Ich glaube, das haben wir geschafft. Auf dem Weg gab es natürlich einige Learnings.
Sie haben auch viele Mitarbeiter aus dem Ausland.
Ja, hier beobachten wir eine spannende Entwicklung: Vor zehn Jahren war es viel schwieriger, Mitarbeitende unterschiedlicher Herkunft gemeinsam einzusetzen. Beispielsweise galt unausgesprochen die Regel, dass man für die Beratung nur Schweizer Mitarbeitende engagieren könne. Heute gibt es hier viel mehr Spielraum, arbeiten doch auch auf Kundenseite lange nicht nur Schweizerinnen und Schweizer. Für uns ist diese Durchmischung sehr wichtig: Erst aus der Verbindung ganz unterschiedlicher Kompetenzen, Laufbahnen, Kulturen und Wertevorstellungen entstehen neue, grossartige Ideen. Heterogenität führt zu Variabilität. Und Variabilität ist der Schlüssel im Umgang mit Komplexität. Derzeit beschäftigen wir Mitarbeitende mit Wurzeln aus über 20 Ländern, darunter naheliegende wie Deutschland, Österreich, Italien oder Frankreich, aber auch etwas «exotischere» wie Norwegen, Brasilien, Portugal oder die Türkei.
«Die besten Leute finden sich halt nicht nur in der Schweiz»
Heisst das, dass Englisch bald Unternehmenssprache bei Jung von Matt/Limmat wird?
Das wäre nur konsequent. Die besten Leute finden sich halt nicht nur in der Schweiz. Wer mehr bewegen will, muss auch über die Ländergrenze schauen. Allerdings ist es immer noch nicht ganz einfach, jemanden aus New York für einen Job nach Zürich zu holen. Da würde Englisch als Unternehmenssprache sicher schon mal helfen.
Wie hoch ist Ihr Frauenanteil?
Über die gesamte Agentur 52 Prozent. Es gelingt uns leider noch immer nicht im gewünschten Ausmass, Frauen für Führungspositionen in der Agentur zu gewinnen. Daran arbeiten wir.
Sie haben in den letzten Jahren einige grosse Kunden wie Migros, Post, Swisslife oder zuletzt Samsung verloren …
Für Migros sind wir nach wie vor auf vielen Ebenen tägig, einfach nicht mehr im Bereich der Dachmarke. Aber klar: Man verliert nie gerne Kunden, vor allem nicht solche mit spannenden Aufgaben und grossem Potenzial. Den Verlusten stehen zum Glück ebenso attraktive Kundengewinne gegenüber, zum Beispiel in der betreffenden Zeit Helsana, Mobiliar, Ovomaltine oder Geberit. Verlust und Neugewinn von Kunden gehören zu unserem Geschäft. Mal lacht man, mal ärgert man sich.
Das Klumpenrisiko besteht immer …
Besser ein Klumpenrisiko als gar kein Business (lacht). Im Ernst: Die Wahrnehmung des (Neu-)Geschäftserfolgs von Agenturen ist immer noch stark geprägt durch Kundengewinne mit populären Kampagnen. Die Sichtbarkeit und die Bekanntheit dieser Arbeiten innerhalb der Branchenöffentlichkeit überstrahlen oft den effektiven Beitrag zum wirtschaftlichen Erfolg der Agentur. Als umfassender Kreativdienstleister beschäftigen wir uns zunehmend mit komplexeren Aufgaben, die nicht zwingend in Form einer Kampagne sichtbar werden. Beispielsweise arbeiten wir zusammen mit Geberit an einer internationalen Kommunikationsstrategie im Zuge einer Produkteinführung und der Zusammenführung verschiedener Marken. Diese Arbeit lässt sich nicht so schnell vermitteln wie eine neue lokale Plakatkampagne.
Sie kommunizieren aber auch selten bis nie neugewonnene Kunden oder strategische Projekte …
Das ist richtig und gewollt. Unsere zurückhaltende Kommunikation ist Teil unserer Haltung. Der Gewinn von Neukunden oder der Zuschlag nach einem Pitch bedeuten nur, dass man sich in einem virtuellen Rennen gegen seine Mitbewerber durchgesetzt hat. Der Beweis, ob sich die Ergebnisse der Zusammenarbeit auch in der Realität bewähren, ist durch den Zuschlag ja noch nicht erbracht.
Das ausführliche Interview mit Roman Hirsbrunner finden Sie in der Juni-Ausgabe von «persönlich». Darin spricht er unter anderem auch über Pitches und Gründer Dominique von Matt.