07.06.2023

Creative Days 23

«Weibliche Führung ist nicht per se besser»

Die Schweizer Regisseurin und Schauspielerin Lisa Brühlmann gibt am Donnerstag am Kreativfestival Einblicke in die Filmbranche. Frauen sind in diesem Business massiv untervertreten. Ein Gespräch über Kinder, Karriere, Klischees – und Kunsteis.
Creative Days 23: «Weibliche Führung ist nicht per se besser»
«Gerade die Werbebranche muss enorm aufholen», sagt Lisa Brühlmann, Regisseurin, Drehbuchautorin und Schauspielerin. (Bild: Franco Tettamanti)
von Christian Beck

Frau Brühlmann, haben Frauen im Filmgeschäft einen schweren Stand?
Die aktuelle Studie des Bundesamts für Kultur zeigt es auf: 29 Prozent aller Langfilme – also nur ein Drittel – sind von Regisseurinnen, immerhin 35 Prozent von Drehbuchautorinnen und Produzentinnen und marginale 13 Prozent Kamerafrauen. Frauen sind also nach wie vor untervertreten.

Sie halten am Donnerstag an den ADC Creative Days 23 eine Keynote mit dem Titel «Abuse in the Sake of Art» («Missbrauch im Dienste der Kunst»). Fühlten Sie sich schon einmal missbraucht?
Ja, aber ich habe es meist erst hinterher realisiert. Ich habe als junge Schauspielerin absurde Dinge mitgemacht und dachte, es sei normal und diene einem möglichst guten künstlerischen Produkt. Ein Beispiel: Für einen Kinofilm musste ich einmal in den Badehosen zwei Stunden auf Eiswürfeln liegen, weil der Regisseur und die Ausstatter vergessen hatten, Kunsteis zu besorgen. Es war sehr kalt, ich habe es kaum ausgehalten. Ich wollte mich nicht beschweren, weil ich der Vision des Regisseurs folgen wollte. Doch erst später wurde mir klar: Natürlich wurde der Film dadurch nicht besser. Heute würde ich einer jungen Schauspielerin raten, sich zu wehren.

In die Schlagzeilen geriet der deutsche Regisseur und Schauspieler Til Schweiger. Es war die Rede von Schikane und Gewalt während eines Filmdrehs. Könnte es sich hier also auch um eine Art «Abuse in the Sake of Art» handeln?
Ich denke nicht. Was ich mit «Abuse in the Sake of Art» meine, ist: Wird ein Film besser, wenn man die Menschen über ihre Limits pusht? Wenn man Grenzen überschreitet? Regisseure wie Bernardo Bertolucci bei «The Last Tango in Paris» hat das zum Beispiel gemacht. Das Interessante an der Frage ist, dass manchmal das Werk tatsächlich besser wird. Aber eben nicht immer. Es geht auch anders.

«Ich liebe es, in unserer Branche zu arbeiten»

Betrachten Sie den Fall Til Schweiger eher als Ausnahme oder als die Regel im Filmgeschäft?
Ich bin etwa 20 Jahre lang beim Film und habe so etwas selbst nie erlebt und auch nicht aus meinem Umfeld gehört. Ich liebe es, in unserer Branche zu arbeiten, weil ich mit den anderen die gleiche Leidenschaft für Film teile. Ich erlebe die Menschen in der Branche als kreativ, kooperativ, humorvoll, schlau und visionär.

Sie werden in Ihrem Vortrag auch darüber sprechen, ob weibliche Führung besser ist als männliche. Wie lautet Ihre Antwort?
Natürlich ist weibliche Führung nicht per se besser. Sie ist von der gleichen patriarchalen Kultur geprägt, wie die männliche und unterscheidet sich deshalb nicht. Es hängt von den einzelnen Menschen ab. Wie man führen will, hängt ja auch stark damit zusammen, was für ein Mensch jemand sein möchte. Es ist eine bewusste Entscheidung, die Frau und Mann fällen können. Möchte jemand ein Machtmensch sein oder setzt er auf partizipative Führung?

Was können weibliche Führungskräfte besser als männliche?
Männer und Frauen haben viel mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Deshalb halte ich nichts von Klischees.

Welche Klischees nerven Sie?
Männer können besser einparken und Frauen besser zuhören. Das sind doch Klischees aus dem letzten Jahrhundert. Fakt ist, dass es aus verschiedenen sozialpolitischen und strukturellen Gründen bis anhin für Männer einfacher war, eine Karriere zu verfolgen.

«Auch wenn jetzt mehr Frauen eingestellt werden, wird oftmals der Lohn stark gedrückt»

Soeben wurde mit der Female Film & Advertising Association (FFAA) ein neuer Verband ins Leben gerufen. Dieser will Frauen in der Film- und Werbebranche stärken (persoenlich.com berichtete). Wie nötig ist diese Unterstützung?
Sehr nötig, weil noch immer keine Chancengleichheit besteht. Und auch wenn jetzt mehr Frauen eingestellt werden, wird oftmals der Lohn stark gedrückt. Frauen sind froh um eine Chance, auch wenn sie schlechter bezahlt werden als ihre männliche Kollegen. Das ist natürlich keine gute Entwicklung und schadet am Ende der ganzen Branche. Gerade die Werbebranche muss enorm aufholen.

«Es gibt immer noch kulturelle Normen und Vorurteile, die Frauen in diesen Branchen benachteiligen. Zudem sind kreative Berufe oft von einem starken Wettbewerb geprägt, der zu Ungleichheiten führen kann», sagte Filmproduzentin Derya Tuna in einem persoenlich.com-Interview. Würden Sie das so unterschreiben?
Ein Filmdreh bedeutet eben oft auch: Ins Ausland gehen, die Familie für einige Monate verlassen, Nacht- und Wochenenddrehs. Bei Männern schaut zu Hause die Frau viel selbstverständlicher auf die Kinder. Umgekehrt ist es nicht so einfach. Wer schaut, wenn die Mutter weg ist? Ich kenne Männer, die ihre Frauen unterstützen, aber gleichzeitig kann man die Biologie nicht wegreden. Wir Frauen sind schwanger, stillen unsere Kinder – und wollen für sie da sein. Da braucht es eben Lösungen, die Familiengerecht sind. Darüber werden sich auch viele Väter freuen, die mehr präsent sein möchten.

2020 machte der Verein Swiss Women's Audiovisual Network (SWAN) eine Studie publik, die zeigte: Die Schweizer Werbefilmproduktion ist durchgehend männlich dominiert. Auf der Liste der für den Werbefilmpreis Edi Nominierten hätten Frauen in kreativen Positionen maximal 7 Prozent ausgemacht. Warum sind Frauen hinter der Kamera derart untervertreten?
Ich finde auch: Langsam wird es peinlich. Die Werbebranche galt doch einmal als innovativ, visionär, kreativ.

«Wohlfühlen ist nicht unbedingt der Begriff, den ich mit meiner Arbeit assoziiere»

Sie selbst stehen sowohl vor als auch hinter der Kamera. Wo fühlen Sie sich wohler?
Als Regisseurin habe ich die Fäden in der Hand und kontrolliere den ganzen künstlerischen Prozess. Alle Leute, die mit mir arbeiten, habe ich selber eingestellt. Doch Wohlfühlen ist nicht unbedingt der Begriff, den ich mit meiner Arbeit assoziiere. Vor der Kamera geht es um alles andere als darum, sich wohlzufühlen.

Wenn Sie hinter der Kamera stehen: Was macht Sie zu einer guten Führungsperson?
Ich versuche, meinen Werten treu zu sein und ohne Dominanz zu führen. Ich schaffe eine kreative, freundliche, kollaborative Atmosphäre mit einer klaren Vision. Du kannst einen Film nicht allein machen. Wichtig ist natürlich, welches Team ich in den Schlüsselpositionen engagieren kann, und ich achte darauf, dass es Menschen mit ähnlichen Werten sind, wie ich sie habe.

Und wenn Sie vor der Kamera stehen: Was für eine Führungsperson wünschen Sie sich?
Das Gleiche.



An den Creative Days 23 im Schloss Sihlberg in Zürich dreht sich vom Donnerstag bis Samstag alles um Kreativität und Women's Empowerment. Zum Ticketpreis von 195 Franken erwarten die Gäste Talks, Workshops, Apéros sowie die ADC Ceremony und eine Partynacht.



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