26.05.2023

Frauenförderung

«Es gibt nach wie vor Klischees und Barrieren zu überwinden»

Die Filmproduzentin Derya Tuna setzt sich mit der neugegründeten Female Film & Advertising Association für mehr Chancengleichheit in der Werbe- und Filmbranche ein. Im Interview spricht sie über die fehlende Repräsentanz von Frauen, Sexismus und ihren persönlichen Antrieb.
Frauenförderung: «Es gibt nach wie vor Klischees und Barrieren zu überwinden»
«Ich selbst habe im Lauf meiner Karriere in dieser Branche miterlebt, wie schwierig es ist, sich als Frau durchzusetzen»: Derya Tuna ist Managing Director und Executive Producer bei Tuna Production und sitzt im Vorstand der Swiss Film Association. (Bild: zVg)
von Michèle Widmer

Derya Tuna, Sie haben die Female Film & Advertising Association (FFAA) ins Leben gerufen. Was hat den Ausschlag für die Initiative gegeben?
Der Ausschlag war die Erkenntnis, dass viele unternehmerisch tätige Frauen in der Branche sich nicht ausreichend repräsentiert fühlen. Es bestand der dringende Bedarf, diesem Missstand entgegenzuwirken und sich für attraktive Rahmenbedingungen, Nachwuchsförderung und Weiterbildung in der Film- und Werbebranche einzusetzen.

Im Vorgespräch erwähnten Sie auch eine erlebte Situation bei einem Dreh. Hat die Film- oder die Werbebranche ein strukturelles Sexismusproblem?
Leider ja. Sowohl die Film- als auch die Werbebranche sind mit diesem Thema konfrontiert. Eine umfassende Studie des Bundesamts für Kultur hat gezeigt, dass Frauen im gesamten Schweizer Filmschaffen, einschliesslich Kino, Werbung und Fernsehen, weniger gute Berufschancen haben als Männer. Dies zeigt sich in Bereichen wie Lohnunterschieden, Ausbildung, Berufsverbänden, Fördergeldern und der Besetzung von Schlüsselpositionen. Ich selbst habe im Lauf meiner Karriere in dieser Branche miterlebt, wie schwierig es ist, sich als Frau durchzusetzen, und war immer wieder mit Vorurteilen konfrontiert.

«Es gibt immer noch kulturelle Normen und Vorurteile, die Frauen in diesen Branchen benachteiligen»

Bei einer kürzlichen Umfrage bei den Chefinnen der grossen Werbeagenturen zum Thema Sexismus lautete der Tenor: Die Situation hat sich in den letzten Jahren verbessert, es gibt aber noch zu tun. Stimmen Sie hier ein?
Ja, dem stimme ich zu. Es ist erfreulich, dass sich die Situation in den letzten Jahren verbessert hat, aber es gibt definitiv noch viel zu tun, um Sexismus in der Branche weiterhin anzugehen und für eine gerechtere und gleichberechtigte Arbeitsumgebung zu sorgen.

Warum ist der Bereich Werbung und Film im Vergleich mit anderen Branchen möglicherweise besonders anfällig für Sexismus?
Ein Aspekt ist, dass er historisch von männlichen Strukturen und Klischees geprägt ist. Das erkennt man etwa an der oft stereotypen Besetzung von Rollen in Werbespots oder in Filmen. Es gibt immer noch kulturelle Normen und Vorurteile, die Frauen in diesen Branchen benachteiligen. Zudem sind kreative Berufe oft von einem starken Wettbewerb geprägt, der zu Ungleichheiten führen kann.

Damit die Frauen in der Branche bleiben, wollen Sie sich für attraktivere Arbeitsbedingungen einsetzen. Wo sehen Sie hier am meisten Handlungsbedarf?
Der Handlungsbedarf liegt vor allem in der Schaffung von fairen Arbeitsbedingungen und Chancengleichheit für Frauen in der Branche. Dies umfasst Massnahmen wie gleiche Bezahlung für gleichwertige Arbeit, flexible Arbeitsmodelle für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie die Förderung einer inklusiven Unternehmenskultur, die Diskriminierung und Sexismus aktiv bekämpft. 

An welchem Punkt der Karrieren verlassen die meisten Frauen die Branchen? Gibt es dazu Zahlen?
Dazu gibt es keine spezifischen Zahlen. Allerdings gibt es Untersuchungen und Berichte, die darauf hinweisen, dass viele Frauen nach der Gründung einer Familie oder aufgrund von beruflichen Herausforderungen und Ungleichheiten der Branche den Rücken kehren. Oftmals sind Frauen aufgrund von fehlenden Aufstiegs- und Weiterbildungsmöglichkeiten sowie mangelnder Unterstützung bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf frustriert und entscheiden sich für einen Ausstieg.

Zu Ihren Kernanliegen zählen die Lohndiskussion sowie die Präsenz von Frauen in Führungspositionen. Wie wollen Sie hier konkret Unterstützung bieten?
Dazu setzt die FFAA auf verschiedene Massnahmen. Dazu gehören Lobbyarbeit, um das Bewusstsein für die Bedeutung von Lohngerechtigkeit und Geschlechtervielfalt zu schärfen. Darüber hinaus streben wir Partnerschaften mit Unternehmen und Organisationen an, um Mentoring-Programme, Weiterbildungsmöglichkeiten und Netzwerke aufzubauen, die Frauen in ihrer beruflichen Entwicklung unterstützen und den Weg in Führungspositionen ebnen.

«Wir suchen den Dialog mit anderen Branchenverbänden sowie wichtigen Playern in der Film- und Werbebranche»

Mit welchen Organisationen suchen Sie Gespräche?
Die FFAA strebt den Aufbau enger Beziehungen zu nationalen und internationalen Partnerorganisationen, Agenturen, Auftraggebern und Filmschaffenden an. Wir suchen den Dialog mit anderen Branchenverbänden sowie wichtigen Playern in der Film- und Werbebranche. Durch den Austausch und die Zusammenarbeit mit verschiedenen Akteuren möchten wir unsere Ziele effektiv vorantreiben.

Auch die Nachwuchsförderung haben Sie sich auf die Fahne geschrieben. Was sind hier die aktuellen Herausforderungen?
Wir legen Wert auf Chancengleichheit und wollen gerade junge Frauen dazu motivieren, eine Karriere in der Film- und Werbebranche anzustreben. Es gibt nach wie vor Geschlechterklischees und Barrieren, die es zu überwinden gilt. Dazu gehören die Förderung von Bildungsprogrammen, Workshops und Mentoring-Initiativen, um jungen Frauen die erforderlichen Fähigkeiten und das Selbstvertrauen zu vermitteln, um in diesen Branchen durchzustarten.

Das 2018 gegründete Swiss Women's Audiovisual Network (SWAN) macht sich für ähnliche Anliegen stark. Warum braucht es beide Vereine?
Es ist wichtig, dass es mehrere Organisationen gibt, die sich für die Belange von Frauen in diesen Branchen einsetzen. Jeder Verein kann seine spezifischen Schwerpunkte und Aktivitäten haben, um die Herausforderungen anzugehen. Durch die Zusammenarbeit und den Austausch können die Vereine voneinander lernen, Ressourcen bündeln und die Effektivität ihrer Massnahmen erhöhen, um eine nachhaltige Veränderung zu bewirken. 

SWAN hat sich im Herbst 2020 die elf grössten Deutschschweizer Produktionsfirmen im Bereich Auftragsfilm angesehen und kam auf einen Frauenanteil von 11,5 Prozent. Was hat sich hier seitdem getan?
Ich kenne dazu keine konkreten Zahlen, aber es ist durchaus möglich, dass sich seitdem Veränderungen ergeben haben, da die Sensibilisierung für Geschlechtergleichstellung in der Branche zunimmt und verschiedene Initiativen und Programme gestartet wurden, um den Frauenanteil zu erhöhen. Aktuelle Informationen und Statistiken wären erforderlich, um eine genaue Auskunft zu geben. Auch für solche Analysen wird sich die FFAA stark machen.

Sie sind im Vorstand der Swiss Film Association. Inwiefern bringt sich das Gremium für die Chancengleichheit ein?
Als Vorstandsmitglied engagiere ich mich gemeinsam mit den anderen Mitgliedern für die Förderung von Vielfalt, Gleichstellung und gerechten Arbeitsbedingungen für Filmschaffende. Unsere Hauptziele bestehen darin, die Projekte von talentierten Regisseurinnen zu unterstützen und den Austausch und die Zusammenarbeit zwischen Filmschaffenden zu fördern. Allerdings hatte ich zunehmend das Bedürfnis, mich noch gezielter auf die spezifischen Anliegen von Frauen zu konzentrieren, die ich durch meine langjährige Erfahrung in dieser Branche ja gut kenne. Daher kam ich auf die Idee, die FFAA ins Leben zu rufen.

«Es lohnt sich, sich für den Traum einzusetzen, in unserer tollen Branche nicht nur eine Nebenrolle zu spielen»

Was treibt Sie dazu an, sich über die Swiss Film Association hinaus dafür zu engagieren?
Ich glaube felsenfest daran, dass eine starke Vernetzung und ein gemeinsames Eintreten für faire Bedingungen im unternehmerischen Wettbewerb von grosser Bedeutung sind. Durch die FFAA haben wir jetzt die grossartige Gelegenheit, spezifische Aktivitäten und Programme zu organisieren, um Frauen in der Film- und Werbebranche zu ermutigen, sich zu vernetzen, voneinander zu lernen und gemeinsam für ihre Interessen einzustehen.

Nun ist seit ein paar Tagen die Website von FFAA live. Wen wollen Sie als Verein ansprechen?
Alle die unser Vorhaben unterstützen, sowie sämtliche Firmen, die Vorurteilen in der Branche entgegenwirken und Farbe bekennen wollen, sind herzlich bei uns willkommen! Unser Ziel ist es, ein möglichst breites Spektrum an Mitgliedern aus verschiedenen Bereichen der professionellen Werbe- und Filmbranche zu gewinnen. Wir wollen ambitionierte Frauen dazu ermutigen, von den vielfältigen Möglichkeiten der Vernetzung, Weiterbildung und des Engagements für Chancengleichheit zu profitieren. Es lohnt sich, sich für den Traum einzusetzen, in unserer tollen Branche nicht nur eine Nebenrolle zu spielen. Und wenn wir dabei auch noch Spass haben, dann umso mehr.

Welche Massnahmen sind in den nächsten Monaten geplant?
Wir haben so einiges geplant, um im Gespräch zu bleiben, aber Details kann ich leider noch keine verraten. Es ist wie im Film: Da gibt es oft auch ein offenes Ende, damit die Fortsetzung spannend bleibt.



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