31.10.2021

Direct Day

«Werbung beeinflusst den Körper»

Werbebotschaften haben Superkräfte. Sie wirken «echt» wie Pharmazeutika, verbessern messbar die Performance von Körper und Gehirn. Das zeigt die Forschung von Medienwissenschaftler Martin Andree.
Direct Day: «Werbung beeinflusst den Körper»
«Die Informationswirkung von Rabatten gehört für mich zu den faszinierendsten Erkenntnissen», sagt Medienwissenschaftler Martin Andree. Er ist Referent am Direct Day vom 9. November. (Bild: zVg)

Herr Andree, in Ihrer Arbeit befassen Sie sich mit den Superkräften der Werbung. Welche Superkräfte hätten Sie selbst gerne?
Ich mache viel Sport und würde mir mehr Ausdauer, Kraft und Durchhaltevermögen wünschen. Aber auch die Superkraft, die eigene Aufmerksamkeit bei Bedarf zu boosten, wäre praktisch. Über maximale Klarheit im Kopf freut sich doch jeder.

Welche Superkräfte hat Werbung?
Unsere zehnjährige wissenschaftliche Forschung zeigt, dass Kommunikation eine Wirkung jenseits dessen hat, was ihr zugeschrieben wird. Die gängige Meinung zur Werbung lautet: Sie wirkt einerseits rational, weil sie Einstellungen verändert, und andererseits emotional, indem sie etwa Sympathiewerte verbessert. Doch Werbung beeinflusst nachweislich auch direkt unser biologisches System – unsere körperlichen Leistungen, die durch Produkte verstärkt werden. Die Produkte erzeugen ihre Wirkung also nicht nur durch Inhaltsstoffe, sondern genauso durch die Kommunikation dazu. Ein Energydrink etwa macht uns auch durch die Informationswirkung der Werbung auf den Körper leistungsfähiger.

Wie haben Sie das nachgewiesen?
Es gibt hierzu einen guten Forschungsstand, etwa an empirischen Vergleichsmessungen. Zum Beispiel lässt sich messen, wie der Preis die Informationswirkung beeinflusst. Dazu wurde zwei Personengruppen ein Energy-drink gegeben. Die eine erhielt ihn zum vollen Preis, die andere mit Rabatt. Nach dem Trinken mussten die Testpersonen Konzentrationstests und Matheübungen machen. Dabei zeigte sich: Wer den vollen Preis bezahlt hatte, konnte substanziell mehr Aufgaben lösen. Am isolierten Faktor Preis sieht man die Wertigkeit der Kommunikation, ihren Effekt auf die Produktwirkung. In einer anderen Studie wurde am Beispiel von Kopfschmerztabletten die Informationswirkung des Logos erforscht. Die Tabletten mit dem Logo Aspirin liessen die Schmerzen signifikant stärker nachlassen als das Produkt mit dem gleichen Wirkstoff, aber ohne Logo.

«Messungen zur Informationswirkung von Werbung auf den Körper sind alles andere als trivial»

Wie gelingt es Werbebotschaften, den Körper positiv zu beeinflussen?
Sie wirken auf komplexe Weise – in einem Verbund von Texten, Farbcodes, grafischen Elementen, Bildern und Klängen. Deshalb ist es schwierig, die Wirkung der einzelnen Faktoren zu bestimmen. Dazu müssen sie isoliert erforscht werden. Es geht also darum, jene Werbebotschaften herauszufinden, die auf den Körper möglichst stark wirken.

Gelingt das mit Testing?
Ein simpler A/B-Test, bei dem die Testpersonen sagen, welche Werbung ihnen besser gefällt, genügt hier nicht. Messungen zur Informationswirkung von Werbung auf den Körper sind alles andere als trivial. Zum Beispiel könnte ein Duschgel beworben werden mit dem Claim «Dank dieses Produkts laufen Sie 1000 Meter 3 Prozent schneller». Dazu müsste der tatsächliche Effekt der Werbebotschaft auf den Körper und die gelaufenen Zeiten gemessen werden. Ich bin sicher, dass ein solches Vorgehen kommt.

Wenn Werbung ähnlich wirkt wie Medikamente, gibt es dann auch einen Placeboeffekt?
In der allgemeinen Wahrnehmung gilt ein Placeboeffekt als etwas Eingebildetes – als ein imaginärer Effekt, durch den man sich besser fühlt. Aber das nicht mehr der aktuelle Forschungsstand, weder bei Arzneimitteln noch bei Konsumgütern. Durch die Fortschritte bei den bildgebenden Verfahren sind wir viel weiter: Wir wissen, dass sich durch solche Informationswirkungen nicht bloss eingebildete, sondern reale Effekt ergeben. Werbung beeinflusst den Körper wie chemische Moleküle. Das bedeutet einen Paradigmenwechsel. Die Pharmaindustrie etwa müsste die Wirkung von Medikamenten neu denken. Sie weiss heute nämlich nicht mehr, was sie früher überhaupt gemessen hat. Zu welchem Teil war es die Wirkung der Inhaltsstoffe und zu welchem Teil die Informationswirkung? Das kann man durch Studien belegen, bei denen die Wirkung von Arzneimitteln weitgehend erlischt, wenn Patientinnen und Patienten nichts von der Behandlung wissen – etwa im Falle von Infusionen.

Physische Mailings sprechen mehrere Sinne an. Haben sie also besonders grosse Superkräfte?
Die empirischen Resultate belegen, dass visuelle Botschaften stärker auf den Körper wirken als reine Textbotschaften. Daher empfiehlt es sich, auf Werbemittel zu setzen, die eine Visualisierung der Informationen ermöglichen. Doch wir sehen in unseren Studien auch: Die Werbewirkung hängt immer vom Gesamtkonzept ab – vom Kampagneneffekt durch das Zusammenspiel mehrerer Touchpoints. Das zeigt sich beim bereits erwähnten Beispiel Aspirin. Für einen solch starken Informationseffekt einer Marke auf den Kopfschmerz braucht es mehr als eine Printwerbung oder einen Werbebrief, nämlich einen jahrelangen konzertierten Markenaufbau.

«Künftig könnte die Werbung selbst einen essenziellen Nutzen des Produkts erzeugen»

Wie können Unternehmen die Superkräfte der Werbung gezielt für sich nutzen?
Es braucht eine revolutionär neue Art, Produkte zu entwickeln und sie daraufhin zu optimieren, dass die Werbung möglichst starke Effekte auslöst. Heute wird zuerst in der Produktentwicklung die Rezeptur erstellt. Dann bekommt das Marketing den Auftrag, das Produkt zu bewerben. Künftig könnte die Werbung selbst einen essenziellen Nutzen des Produkts erzeugen. Sie wäre dann nicht länger bloss Dekoration. So erhält sie einen neuen Purpose. Die Arbeit des Marketingteams verstärkt die Leistung des Produkts und wirkt sich positiv aufs Leben der Konsumierenden aus.

Welche Resultate Ihrer Forschung faszinieren Sie besonders?
Die Informationswirkung von Rabatten gehört für mich zu den faszinierendsten Erkenntnissen. Denn viele Unternehmen setzen in der Werbung auf Rabattbotschaften. Damit schaden sie dem positiven Effekt ihres Produkts. Die Anbieter müssten den Kundinnen und Kunden also eigentlich sagen: «Damit das Produkt seinen vollen Nutzen erbringt, gewähren wir Ihnen keinen Rabatt.» Wenn ich das bei meinen Referaten erzähle, ist das Publikum oft amüsiert. Dieses Lachen zeigt, welch ironisches Verhältnis wir in der Branche zu unserer eigenen Arbeit haben. Wir nehmen selbst nicht ernst genug, wie viel Potenzial in den Wirkungen unserer Botschaften liegt. Stattdessen könnten wir viel selbstbewusster auftreten: Mit unserer Werbung erbringen wir einen grossen Nutzen, der sich auch wissenschaftlich messen lässt.

Interview: Thomas Hügli



Martin Andree war viele Jahre lang in Führungsfunktionen im internationalen Marketing tätig, bevor er 2019 AMP Digital Ventures gründete. Das Start-up spezialisiert sich auf KI-Applikationen und Data-Analytics. Zusätzlich ist Martin Andree Privatdozent für digitale Medien an der Universität Köln.

Andree ist Referent am Dialogmarketing-Fachevent Direct Day vom 9. November 2021 zum Thema «Prove your Value! Marketing zwischen Purpose und Performance».

Dieses Interview erschien zuerst in der Oktober-Printausgabe von «persönlich».



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