07.11.2022

DirectDay

«Wirkungsvolle Werbung sollte Daten nutzen»

Damit Werbung wirkt, muss sie heute bold sein – mutig, auffällig, gewagt. Ist also die richtige Werbestrategie, am lautesten zu schreien? Marketingprofessorin Anja Janoschka spricht im Interview über Lernkurven, Kreativität und Daten als Wirkungsverstärker.
DirectDay: «Wirkungsvolle Werbung sollte Daten nutzen»
«Damit Werbung wirkt, muss sie relevant sein. Sonst mag sie zwar auffallen, erzielt aber nicht die beabsichtigte Wirkung»: Anja Janoschka forscht am Institut für Kommunikation & Marketing an der Hochschule Luzern zu Themen im Digital Marketing. (Bild: zVg)

Frau Janoschka, welche Art von Werbung spricht Sie persönlich an?
Ich mag Werbung, die eine Botschaft auf den Punkt bringt – ohne grosse Umschweife, clever, mit Wortwitz, gerne auch etwas provozierend. Werbung muss für mich authentisch sein, direkt ins Auge und ins Herz springen.

Was sagt die Empirie: Welche Faktoren entscheiden darüber, ob Werbung die Menschen erreicht und eine Handlung auslöst?
Der wichtigste Erfolgsfaktor ist ein altbekannter: Damit Werbung wirkt, muss sie relevant sein. Sonst mag sie zwar auffallen, erzielt aber nicht die beabsichtigte Wirkung. Relevanz bedeutet, die Konsumierenden da zu treffen, wo es für sie wichtig ist und ihnen einen Mehrwert bietet. Für die Werbebotschaften gilt: Ich darf sie weder überfrachten noch an der Zielgruppe vorbeireden. Stattdessen müssen die Botschaften so gestaltet sein, dass ich die angesprochenen Personen rasch aktiviere und für das eigene Angebot begeistere. Das gelingt gut mit emotionalen Botschaften, die oftmals höhere Reichweiten erzielen.

Welche Funktion haben Storytelling und Content Marketing für wirkungsvolle Werbung?
Sie gehören zu den zentralen Erfolgsfaktoren. Unternehmen etablieren damit ein eigenes Narrativ, das eine Marke immer wieder ähnlich, aber trotzdem neu inszeniert. Entwickelte Inhalte lassen sich so schneller und einfacher auf verschiedenen Kanälen ausspielen und adaptiert wiederverwenden. Laut Branchenindikator 2022 von SWA und LSA sehen Schweizer Werbeauftraggeber Content Creation und Management als eine der wichtigsten Aufgaben zur Zielerreichung.

Bei TikTok lautet das Erfolgsrezept «So bold und laut wie möglich». Gilt das heute generell für Werbung?
Bis zu einem gewissen Punkt schon. Angesichts der Informationsüberflutung, der homogenen Produkte und der Fülle an Kanälen und Touchpoints hilft natürlich das Anderssein. Doch «bold» muss immer auch zur Markenwelt passen und auf die Positionierung der Marke einzahlen. Emotionale Storys sind nicht zwangsläufig laut, können aber durchaus differenzierend sein.

Verschiedene Untersuchungen zur Werbewirkung kommen zum Schluss, dass crossmediale Werbung stärker wirkt. Gibt es auch empirische Erkenntnisse dazu, warum das so ist – welche Prozesse bei diesem Werbekonsum ablaufen?
Bei crossmedialer Kommunikation treffen Werbebotschaften an verschiedenen Touchpoints kanalkonform immer wieder auf die Adressatinnen und Adressaten. So verankern sich Assoziationen von Bild- und Markenwelten im Gedächtnis der Zielgruppe. Diese Assoziationen lassen sich dann durch weitere Impulse wieder abrufen und vertiefen. So erinnert sich die Zielgruppe besser an sie. Um die Wirkung crossmedialer Werbung zu optimieren, ist die Kanalwahl entscheidend: Welche Kanäle werden während der Customer Journey wie durchlaufen und genutzt? Welche erzielen Reichweite und welche Conversions? Womit kommen wir effizient zur Masse und womit zum Individuum? Noch weiter geht der Omnichannel-Ansatz, der für eine wirkliche Verzahnung aller Kontaktpunkte sorgt und Konsumierende reibungslos zwischen den wichtigsten Touchpoints hin- und herwechseln lässt. Er ist bei Retail und im E- Commerce teils stark verbreitet. Denn er ermöglicht, ein Produkt ohne Informationsverlust zur bisherigen Customer Journey an jedem Touchpoint zu kaufen.

Welches Vorgehen empfehlen Sie Unternehmen, um jene Kanäle zu bestimmen, die am stärksten wirken?
Sie sollten ihre Kundinnen und Kunden möglichst gut kennen. Je mehr sie über deren Entscheidungen, Bedürfnisse und das Einkaufsverhalten wissen, desto gezielter erfolgt die Auswahl der Kanäle. Hier kommen wir ins Feld der Daten. Kontinuierlich bei jeder Kampagne an möglichst vielen Touchpoints die relevanten Kennzahlen zu erheben und Insights auszuwerten, sorgt für eine wachsende Lernkurve, eine laufende Optimierung der Kanäle und immer mehr Erfahrung. Eine quasi in Echtzeit durchgeführte Wirkungsmessung als Controlling- und Planungsinstrument ist heute sowohl auf Kanal- als auch auf Kampagnenebene möglich.

Funktioniert die Auswahl der Botschaften ähnlich? Lassen sie sich wie bei der Medienwahl auf Basis von Daten entwickeln?
Bis zu einem gewissen Punkt wird das bereits gemacht. Kampagnen werden mittels A/B-Testing optimiert und geprüft. Die grossen Tech-Unternehmen – und längst nicht mehr nur sie – spielen Botschaften teilautomatisiert aus. Sie tracken Präferenzen, Einkaufsverhalten und Warenkörbe der User und zeigen diesen über ihre Recommender-Systeme Werbung für passende Produkte.

Stimmt also die häufig gehörte Aussage «Wirkungsvolle Werbung braucht Daten»?
Ich würde es umformulieren: Wirkungsvolle Werbung sollte Daten nutzen. Wichtig ist dabei aber, sich nicht in einem Hype zu verlieren, sondern die Daten als Mittel zum Zweck zu sehen. Sie bilden eine wichtige Basis. Doch Analytics sagt uns nicht, was zu tun ist und welche Botschaften wir wie vermitteln müssen. Für die Umsetzung der Informationen wird Kopf und Verstand benötigt. Und somit bleibt der Mensch ein zentraler Faktor, wenn es darum geht, wirkungsvolle Kampagnen zu entwickeln.

Besteht die Gefahr, dass durch die datengetriebene Werbung die Kreativität auf der Strecke bleibt?
Nein, die Kreativität geht nicht verloren. Im Gegenteil: Zwischen Daten und Kreativität sollte ein gewinnbringendes Zusammenspiel bestehen. Dazu bedarf es aber der Fähigkeit, Daten zu interpretieren und dann kreativ in Kampagnen und Produkten umzusetzen. Die Inszenierung von Marken über User-generierte Avatare, die sich in den Metaversen bewegen, digital geführte Museumsbesuche und Sightseeing-Touren über Location-based Data, aber auch datenbasierte Dienste wie Trainings-Apps, die sich nach der Lebenssituation und den individuellen Bedürfnissen ihrer User richten, sind nur einige aktuelle Beispiele.

Interview: Thomas Hügli


Anja Janoschka ist Dozentin an der Hochschule Luzern. Am Institut für Kommunikation & Marketing forscht sie zu Themen im Digital Marketing. Sie ist Autorin und engagiert sich darüber hinaus als Coach, Board Member und Verwaltungsrätin.

Janoschka ist Referentin am Dialogmarketing-Fachevent Direct Day vom 15. November 2022 zum Thema «Bold is Gold – wie Botschaften wirken».

Dieses Interview erschien zuerst in der November-Printausgabe von «persönlich».

 



Kommentar wird gesendet...

Kommentare

Kommentarfunktion wurde geschlossen

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren:

Zum Seitenanfang20240427