Die «New York Times» hat am Montag angekündigt, dass sie in ihrer internationalen Ausgabe ab dem 1. Juli keine täglichen politischen Cartoons mehr veröffentlichen. Die US-Zeitung beendet in der Folge die Zusammenarbeit mit zwei Vertragscartoonisten – Heng Kim Song und Patrick Chappatte. In einer Erklärung sagte Redaktor James Bennet, die «New York Times» sei «sehr dankbar und stolz» auf die Arbeit, die die Cartoonisten im Laufe der Jahre für die internationale Ausgabe geleistet hätten.
«Ich lege meinen Stift nieder, mit einem Seufzer», schreibt der Schweizer Karikaturist Patrick Chappatte auf seiner Website. «Das ist eine Menge Jahre Arbeit, die von einem einzigen Cartoon – nicht einmal von meinem – rückgängig gemacht wurde, der nie in der besten Zeitung der Welt hätte erscheinen dürfen.» Er fürchte, es gehe hier nicht nur um Cartoons, sondern um Journalismus und Meinung im Allgemeinen, so der 52-Jährige, der seine Arbeiten auch in der «NZZ am Sonntag», «Le Temps» und im «Spiegel» publiziert.
Auslöser für das Aus war laut Chappatte eine Karikatur, die den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu als Blindenhund mit Davidstern am Halsband zeigt. Dieser Cartoon, der im April erschien, löste einen Shitstorm aus. Die «New York Times» musste sich damals entschuldigen. Bennet erklärte allerdings, die Zeitung beabsichtige schon seit einem Jahr, analog zur US-Ausgabe auch in der internationalen Ausgabe auf Karikaturen zu verzichten.
THE NEW YORK TIMES WILL END ALL POLITICAL CARTOONS I just learned, weeks after they published a syndicated Netanyahu cartoon that caused a scandal. For me, this is the end of an adventure that began 20 years ago. But the stakes are much higher. READ HERE: https://t.co/o8y43v88Yd pic.twitter.com/NBH0uyw9Jf
— Chappatte Cartoons (@PatChappatte) 10. Juni 2019
In seinem Blogpost kritisiert Chappatte ausserdem das teils aggressive Verhalten in den sozialen Medien. «Wir sind in einer Welt, in der sich moralistische Mobs auf Social Media versammeln und wie ein Sturm aufsteigen und in einem überwältigenden Schlag auf die Redaktionen fallen.» Dies erfordere sofortige Gegenmassnahmen der Verlage, die keinen Raum für Überlegungen oder sinnvolle Diskussionen lassen würden. «Twitter ist ein Ort der Aufregung, nicht der Debatte. Die empörten Stimmen neigen dazu, das Gespräch zu definieren, und die wütende Menge folgt», so Chappatte.
Dennoch bleibe er «merkwürdigerweise positiv». In einer Welt mit kurzer Aufmerksamkeitsspanne sei die Macht der Bilder noch nie so gross gewesen. Medien müssten sich nun erneuern, ein neues Publikum erreichen und aufhören, «Angst vor dem wütenden Mob zu haben», schreibt der Genfer weiter. «In der verrückten Welt, in der wir leben, ist die Kunst des visuellen Kommentars mehr denn je gefragt. Und auch der Humor.»
Laut Bennet hofft die «New York Times», mit den Karikaturisten Chappatte und Heng Kim Song künftig an anderen Projekten zusammenzuarbeiten. (cbe)